Süddeutsche Zeitung

US-Wahl 2016:Auch Frauen können frauenfeindlich sein

  • 53 Prozent aller weißen Frauen haben bei der US-Präsidentschaftswahl für Donald Trump gestimmt. Kaum einer der Experten hatte damit gerechnet
  • Viele Amerikaner waren der Meinung, dass es nun Zeit für einen "normalen" Präsidenten im Weißen Haus war.
  • Frauen sind in der amerikanschen Politik unterrepräsentiert: Und so machte auch Clinton die Erfahrung, dass sie es einfach nicht richtig machen konnte.

Von Kathrin Werner

Connie Kessler hat Donald Trump gesagt, dass sie ihn liebt. Gebrüllt hat sie es, so laut sie konnte. Trump war zum Wählerfang auf ein Volksfest gereist in Kesslers Nähe im Bundesstaat Ohio, Massen drängelten sich um ihn, aber Kessler wieselte sich so nah heran, dass sie ihn fast anfassen konnte. "Ich liebe dich", rief Kessler ihm zu. Trump schaute ihr in die Augen und streckte den Daumen hoch, extra für sie, erzählt die 75-Jährige. "Es war einer der schönsten Momente der letzten Jahre."

Kessler, ihr Leben lang eigentlich Demokratin, hat sich freiwillig als Wahlkampfhelferin für Trump gemeldet in Ohio, einem der wichtigen Swing States, der am Ende für den Republikaner gestimmt hat. All ihre Freundinnen und ihre Tochter wählten Trump, die meisten seiner Wahlkampfhelfer in ihrer Gegend seien Frauen, sagt Kessler, die Treffen ihrer Gruppe organisiert: Christian Women for Trump.

Sie glaubt es nicht, wenn jemand sagt, dass Trump Frauen nicht respektiert. "Er hat so eine wunderbare Familie, so eine wunderbare Tochter, er ist ein richtiger Familienmensch", sagt sie. Trump möge die Frauen, er könne nur Hillary Clinton nicht leiden. "Und das kann man doch wirklich verstehen", sagt sie. "Die ist so korrupt. Für mich ist sie keine richtige Frau." 53 Prozent aller weißen Frauen haben für Trump gestimmt am 8. November. Dreiundfünfzig! Die Mehrheit!

Schwarze Frauen stimmten nicht für Trump

Sie spielten eine große Rolle bei seinem Überraschungssieg, kaum einer der politischen Experten hatte in den Prognosen vor der Wahl die Mehrheit ihrer Stimmen bei Trump verbucht. Denn es schien, als sei die Entscheidung zwischen Trump und Clinton leicht, besonders für Frauen. Clinton hat ihr Leben lang für die Rechte von Frauen und Familien gekämpft, sie hatte eine Liste an Ideen, wie sie Frauen helfen wollte: bessere Krankenversicherungen, besserer Mutterschutz, gleiches Geld für gleiche Arbeit und so weiter.

Trump dagegen beleidigt Frauen. Er nennt sie Schweine, er kritisiert ihr Gewicht, er benotet ihr Aussehen auf einer Skala von eins bis zehn und redete davon, sie gegen ihren Willen anzugrapschen. Und trotzdem: 53 Prozent. Übrigens stimmten nur vier Prozent der schwarzen Frauen und 26 Prozent der Latinas für Trump.

Auch Frauen können frauenfeindlich sein

"Wie konnte das nur passieren?", fragt Michelle Wolf, Kabarettistin bei der "Daily Show". "Ein Teil dieser Frauen wollte Hillary nicht als Präsidentin, weil sie eine Frau ist", sagt sie. "Auch Frauen können frauenfeindlich sein, vor allem wenn es darum geht zu beweisen, dass Frauen alles dürfen, was Männer dürfen, außer Präsident zu werden." Diese Wahl war eine Abstimmung darüber, wo die Untergrenze des Erlaubten für Männer liegt - und wo die Obergrenze für Frauen.

Natürlich ging es bei der Wahl nicht nur um Geschlechterfragen. Frauen wie Männer sorgen sich um die Zukunft der amerikanischen Wirtschaft und um ihre Arbeitsplätze. Sie fürchten sich gleichermaßen vor illegalen Einwanderern und Terroristen. Sie halten in derselben Weise nichts von gleichgeschlechtlichen Ehen, Abtreibungen und politischer Korrektheit und stören sich daran, dass die Demokraten zu viel für die Rechte von Minderheiten kämpfen und nicht für sie. Beiden ist das Washingtoner Politik-Establishment zuwider. Etliche Frauen und Männer haben das Gefühl, dass es nach acht Jahren Amtszeit eines Schwarzen im Weißen Haus Zeit sei für einen "normalen" Präsidenten - und das ist eben ein weißer Mann.

Es ist leichter zu verstehen, warum viele Männer Trump wählten. Er versprach ihnen, was sie hören wollten: das Ende der Globalisierung, die Rückkehr von Fabriken und von Jobs für echte Kerle, mit denen sie dank harter Arbeit genug Geld für die ganze Familie verdienen. Er versprach die Rückkehr eines Amerika, in dem sie sich auskennen.

Auf der anderen Seite: Hillary Clinton, eine ehrgeizige Frau, der Inbegriff des Kulturwandels, der ihnen Angst macht. Trump steht für das unzweifelhaft Männliche, er redet laut, entschuldigt sich nie und betonte sogar, dass seine Wähler sich um die Größe seines Gemächts keine Sorgen machen müssten. "Ein richtiger Mann, der sagt, was er denkt", nennt Kessler das, die Wahlkampfhelferin aus Ohio.

Dabei dürfte Sexismus eigentlich keine Rolle gespielt haben bei der Entscheidung zwischen Trump und Clinton. Schon 1999 sagten 92 Prozent der Amerikaner in einer Gallup-Umfrage, dass sie auch eine Frau zum Präsidenten wählen würden, wenn sie gut qualifiziert und Mitglied ihrer jeweiligen Partei wäre. 1937 lag die Zahl nur bei 33 Prozent. Niemand gab je offen zu, dass er Clinton als Frau ablehnt, immer gehe es gegen sie als Politikerin. "Die Frage, ob man eine Frau als Präsident will, hört man kaum noch", sagte Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway in einem Interview im Februar. "Was man hört ist: ,Wollt ihr diese Frau?'"

53 Prozent

aller weißen Frauen votierten für Donald Trump, bei Frauen ohne College- Abschluss waren es sogar 62 Prozent. Die einzige weiße Wählergruppe, die Hillary Clinton knapp für sich entscheiden konnte, waren die Frauen mit einem Hochschul-Abschluss: 51 Prozent von ihnen stimmten für sie.

Medien schürten Hass gegen Clinton

Große Teile Amerikas hassen Hillary Clinton, seit Jahrzehnten haben republikanische Politiker und ultrarechte Medien diesen Hass geschürt. Es war leicht für sie, denn Clinton ist schon ihr Leben lang Politikerin und stand deshalb pausenlos in der Öffentlichkeit. Da passieren Fehler - und auch die Fehler ihres Ehemanns wurden ihr stets zugerechnet. Korruption, Interessenskonflikte, E-Mail-Server, immer wieder tauchten neue Clinton-Skandale auf, wurden ausgiebig untersucht und dann verworfen. Aber etwas blieb hängen. Und Clinton konnte sich nicht so gut verteidigen wie der unterhaltsame, laute Trump.

Clinton setzte auf Fakten und Pläne, nicht darauf, dass die Massen sie liebten wie ihren Mann, wie Barack Obama - und wie Trump. "Die Leute sagen, ich bin langweilig im Vergleich zu Donald", scherzte Clinton kurz vor der Wahl. "Aber ich bin überhaupt nicht langweilig. Ich bin Mittelpunkt jeder Party, zu der ich gehe - ich war bei drei."

Clinton machte die Erfahrung, die viele Frauen kennen: Sie können es einfach nicht richtig machen. Beim untreuen Mann bleiben oder ihn verlassen? Beides falsch. Sie sind zu laut, zu schrill, zu ehrgeizig - oder zu schwach, zu weich, zu langweilig. Sie sollen mehr lächeln, aber bitte nicht zu viel und nicht das falsche Lächeln. Clinton wurde stets vorgeworfen, sie sei roboterhaft, steif, unnahbar, unterkühlt, nicht authentisch.

Feministin ist nach wie vor ein Schimpfwort

Frauen sind in der amerikanischen Politik extrem unterrepräsentiert, extremer als in den meisten anderen Ländern der Welt. Circa 19 Prozent der Kongressabgeordneten und weniger als ein Viertel aller Parlamentarier auf Länderebene sind Frauen. Nur sechs von 50 Gouverneuren sind Frauen. 100 Prozent aller Präsidenten waren Männer. Und doch gab es in all den Artikeln und Umfragen vor der Wahl kaum jemanden, der offen sagte, dass er oder sie nicht für Clinton stimmen würde, weil sie eine Frau ist. Allerdings gibt es ebenfalls nur eine kleine Zahl Frauen, die Clinton wählen wollten, weil sie eine Frau ist.

Die Solidarität unter Frauen ist nicht sehr groß, Feministin ist für viele Amerikanerinnen ein Schimpfwort, es gibt deutlich mehr Brüderlichkeit als Schwesterlichkeit.

Weiße Frauen sind in erster Linie weiß und in zweiter Linie Frauen - und schlossen sich bei der Wahl darum ihren frustrierten, weißen Vätern, Brüdern und Männern an. Es gibt auch Geschäftsfrauen, die für Trump stimmten, weil sie glaubten, er sei besser für die Wirtschaft. Aber viele konservative Frauen halten erfolgreiche Frauen mit Karrieren und Ambitionen für einen Angriff auf ihr Lebensmodell. Clinton versuchte, ihnen entgegenzukommen, indem sie betonte, sie sei ja liebende Mutter und Großmutter - es hat nicht gereicht.

Viele von Trumps Anhängern haben bei seinen Wahlreden im Chor gerufen, auch die Frauen: "Trump that bitch" - übertrumpf diese Ziege! Eine Leserbriefschreiberin an die SZ nennt Clinton in ihren E-Mails regelmäßig "cunt", vornehm ausgedrückt: Schlampe. Die Grenze des Sagbaren ist gesunken in diesem Wahlkampf. Mädchen, die geglaubt haben, dass sie alles werden können, wenn sie sich trauen und hart arbeiten, lernen, dass sie zwar noch immer alles werden können in Amerika - nur nicht Präsidentin.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2016/lkr
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