US-Waffenrecht:Aus Las Vegas wird niemand lernen - schon gar nicht Trump

Nirgends gibt es mehr Massaker als in den USA. Las Vegas ist der bislang größte Vorfall seiner Art, aber politisch bewegen wird sich dennoch nichts: Zu einflussreich ist die Waffenlobby.

Analyse von Thorsten Denkler, New York

Der demokratische Senator Tim Kaine aus Virginia reist als Außenpolitiker viel in der Welt herum. Kein schlechter Job eigentlich. Inzwischen, sagt er, "hasse ich es". Weil gerade nach solchen Vorfällen wie jetzt in Las Vegas sich viele im Ausland bestätigt fühlen in ihrem Eindruck, dass es nur in den USA solche Massaker und Amokläufe gebe. "Und wir machen nichts dagegen, absolut nichts". Er lächelt danach. Es ist das Lächeln eines Verzweifelten.

In Las Vegas im Bundesstaat Nevada hat in der Nacht zum Montag der bisher völlig unauffällige Stephen Paddock von seiner Zwei-Zimmer-Suite im 32. Stock des Mandalay-Bay-Hotels aus fast 60 Menschen erschossen und mehr als 500 verletzt. Sie waren alle auf einem Country-Musik-Festival, das vor dem Hotel stattfand. Als die Polizei sein Zimmer aufbrechen konnte, war er bereits tot. Suizid vermutlich.

Bisher weiß niemand, warum er geschossen hat. Seine Familie sagt, er sei nie als religiös, politisch oder sonstwie radikal aufgefallen. Und doch wurde er in der Nacht zum Montag zu einem der größten Massenmörder in der Geschichte der USA.

Paddock scheint einen tödlichen Plan gehabt zu haben. In seiner Suite wurden 23 Waffen gefunden. In seinem Haus in Mesquite nahe Las Vegas mindestens 19 weitere. Darunter viele automatische Langwaffen. Auch auf Stative geschraubte Maschinengewehre mit Zielfernrohren. Wer auf lange Distanzen viele Menschen töten will, der braucht solche Waffen. Paddock war perfekt ausgerüstet für seine Mission.

Er hat nach allem, was über ihn bekannt ist, keinen militärischen Hintergrund. Waffen waren wohl sein Hobby, wie es viele Amerikaner haben. Er dürfte sie sehr wahrscheinlich legal erworben haben. Vielleicht hat er sie noch modifiziert, sodass er mit ihnen noch mehr Schuss in kürzerer Zeit abfeuern konnte, als die legalen Versionen dies ohnehin schon können. So wie sich in Deutschland manche ihr Mofa frisieren, damit es schneller als 25 Kilometer pro Stunde fahren kann. Verboten. Aber nicht unüblich.

Und was passiert politisch? Flaggen auf Halbmast. Eine Schweigeminute. Und beten. Der Senat beginnt seine Sitzung am Montag mit einem Gebet des Haus-Geistlichen Barry Black. US-Präsident Donald Trump zitiert aus der Bibel. Und am Ende - wie immer: "God bless America", Gott schütze Amerika. Das war's.

Dabei ist klar, dass beten nicht helfen wird, Menschen davon abzuhalten, mit einer Waffe loszuziehen und Menschen zu erschießen. Aber beten ist so ziemlich das einzige, was Demokraten und Republikaner in der Regel im Konsens tun nach solchen Massakern.

In den USA haben solche "mass shootings" eine traurige Tradition. Las Vegas führt jetzt die Liste der Massaker mit den meisten Todesopfern an. Gefolgt von Orlando 2016. Und der Schießerei an der Virginia Tech Universität mit 32 Toten im Jahr 2007. Das Online-Magazin Mother Jones zählt seit 1982 bis heute 52 Massaker mit mindestens drei Toten. Von den 119 Massakern, die zwischen 1983 und 2013 in westlichen Industriestaaten passierten, fanden mehr als zwei Drittel in den USA statt. Nach Zahlen der New York Times sind seit dem Attentat von Orlando im vergangenen Jahr 585 Menschen in Schießereien erschossen und 2156 verletzt worden.

Es gilt als erwiesen, dass die Zahl erschossener Menschen steigt, wenn der Erwerb von Waffen einfach und verbreitet ist. In den USA ist er einfach. Und verbreitet. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten dieser Gesellschaft, dass in manchen Bundesstaaten Jugendliche bis 21 keine Bar betreten dürfen, aber mit 16 Jahren ohne Weiteres eine Waffe kaufen können.

Nach Schätzungen sind in den USA mehr als 300 Millionen Waffen in Privatbesitz. 42 Prozent der Erwachsenen Amerikaner geben nach einer jüngsten Studie an, in einem Haushalt mindestens einer Waffe zu leben. In so gut wie jedem Land der Erde wären nach solchen Taten die Waffengesetzte längst verschärft worden.

Waffenbesitz einschränken? Nicht in den USA.

Nicht in den USA. Trumps Sprecherin Sarah Huckabee Sanders machte an diesem Montag schon klar, dass jetzt nicht die Zeit sei, über strengere Waffengesetze zu reden. Weil dafür in den USA nie die Zeit ist.

Wird diese Tat also etwas ändern? Die Antwort ist einfach: Nein.

Nicht einmal Trumps Vorgänger Barack Obama hat es geschafft, die Waffengesetze auch nur leicht zu verschärfen. Obama wollte lediglich ein nationales Waffenregister durchsetzen. Alle Waffenkäufer sollten einen Hintergrundcheck über sich ergehen lassen müssen. Nur mit einer Lizenz sollte eine Waffe gekauft werden können. Das verpflichtende Waffenregister haben die Republikaner im Kongress behandelt, als wollte Obama den Amerikanern ihre geliebten Waffen komplett wegnehmen. Weil sie die Mehrheit Abgeordnetenhaus hatten, kam das Gesetz unter Obama nie durch.

Das Land ist, was sein Waffengesetz angeht, fest in der Hand der NRA, des Nationalen Waffenverbandes. Die haben das nötige Geld, um eine Wahl-Kampagne entweder zu einem Erfolg zu machen. Oder eine Politiker-Karriere zu zerstören. Etwa 250 Millionen Dollar stehen ihr dafür jedes Jahr zur Verfügung. Dazu kommen gut fünf Millionen hochmotivierte Mitglieder, die sich jedem entgegenstellen, der ihr Recht auf Waffen beschränken will.

Viele Republikaner im Kongress, die heute in beiden Häusern die Mehrheit haben, sind geradezu abhängig vom Wohlwollen der NRA. Und auch manche Demokraten wollen sich die NRA lieber nicht zum Gegner machen. Dass Hillary Clinton im Wahlkampf angekündigt hatte, Obamas Versprechen aufzunehmen und die Waffengesetze zu verschärfen, war unter Demokraten nicht unumstritten. Standhaft ist sie: Am Montag twitterte sie, die Nation müsse endlich gegen NRA aufbegehren.

Präsident Trump hat sich dagegen schon im Wahlkampf voll auf die Seite der NRA gestellt. Als Ende 2015 in der Pariser Konzerthalle Bataclan bewaffnete Männer über 90 Menschen während eines Konzertes erschossen, sagte Trump: Wenn die Gäste Waffen gehabt hätten, wäre "die Situation eine völlig andere" gewesen. "Niemand hatte dort Waffen, nur die schlechten Kerle. Keine hatte Waffen. Keiner." Auf Twitter machte er sich lustig: "Ist es nicht interessant, das so etwas in Paris passiert ist, in einem Land mit den strengsten Waffengesetzen?"

Die NRA hat ihm zum Dank im Mai 2016 als ihren Kandidaten ausgerufen. Im April dieses Jahres hat er auf dem NRA-Jahreskongress gesprochen. Und sich dort als "Freund und Vorkämpfer" der NRA im Weißen Haus präsentiert.

Von ihm wird in dieser Frage nichts zu erwarten sein.

Immerhin: Im Repräsentantenhaus wird ein neues Pro-Waffen-Gesetz jetzt erstmal nicht verhandelt. Waffenbesitzer sollten damit leichter Schalldämpfer für ihre Lieblinge kaufen können. In Las Vegas konnte der Schütze nur deswegen schnell gefunden werden, weil die Schüsse seinen Standort verraten haben. Aber dass das Gesetz über kurz oder lang die nötigen Mehrheiten im Kongress bekommt, gilt als ausgemacht. Alles andere wäre eine echte Überraschung.

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