US-Vorwahlen der Republikaner:Kauz außer Konkurrenz

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Der 76-jährige Ron Paul schneidet im republikanischen Vorwahlkampf erstaunlich gut ab. Vor allem junge Leute begeistern sich für die Botschaft des ältesten Bewerbers: für eine Welt, in der nur Gottes Fügung und die unsichtbare Hand des Marktes zählen. Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur hat er indes nicht. Gerade das macht ihn für seine Partei so gefährlich.

Christian Wernicke, Manchester, New Hampshire

Der alte Mann, der da die Holzbühne betritt, wirkt nicht wie ein Präsident. Und er sieht nicht aus wie einer, der den mächtigsten Job der Welt je haben will: Sein Gang wirkt tapsig, und der dunkle Anzug schlackert um seinen hageren Körper. Beim Reden beugt Paul seinen grauhaarigen Schädel vor, oft nickt er sich selbst zu, und so hat der 76-jährige Kongressabgeordnete aus Texas über die Jahre einen Buckel ausgebildet. Denn er redet viel. Und oft endlos.

Ron Paul (mit Ehefrau Carol) war der heimliche Sieger von New Hampshire. (Foto: AFP)

In der Nacht seines Triumphes jedoch kommt er nie weit. "President Paul", schreien seine Anhänger, der stickige Hotelsaal am Rande von Manchester droht zu bersten. Ron Paul lächelt, selig blickt er herab auf seine Jünger, die allesamt seine Enkel sein könnten: "Wundervoll", entfährt es ihm, "all die Jahre habe ich nicht gewusst, dass ihr da seid."

Seit vier Jahrzehnten kämpft Paul für seine Vision einer radikal-libertären, nur Gottes Fügung und der unsichtbaren Hand des Marktes gehorchenden Welt - und dieser 10. Januar 2012 ist sein größter politischer Moment: Bei der zweiten Vorwahl im Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur ist er Zweiter geworden, fast jeder vierte Wähler stimmte für den Außenseiter: "Dies ist ein Sieg für die Sache der Freiheit!", ruft Paul mit seiner typisch blechernen Stimme. "Yeah!", schallt es vom Parkett zurück, "President Paul, President Paul!"

US-Präsident wird Paul niemals. Das bleibt Barack Obama, oder das schafft im November vielleicht Mitt Romney, der Parteifavorit und mit beinahe 40 Prozent der Stimmen überlegene Sieger von New Hampshire. Paul weiß das, auch wenn er jetzt feixt, er sei Romney "hautnah auf den Fersen". Der Großvater und einstige Arzt ist kein Politiker, der auf ein Amt schielt. Dieser Kauz läuft außer Konkurrenz, was all die anderen Parteifreunde nur noch mehr beschämt, die Romney jagen wollen und nun abgeschlagen hinter Paul landeten.

Paul nutzt den Wahlkampf, um seine Ideen unters Volk zu bringen. Er ist Amerikas anarchischer Anti-Obama, der (ähnlich wie der Demokrat 2008) eine Bewegung gegen "die da oben" anführt - gegen Washington, gegen die US-Zentralbank, gegen die Generäle und die Rüstungskonzerne, die er auch in dieser Nacht wieder als "militärisch-industriellen Komplex" geißelt. Paul zwinkert seinem Publikum zu. "Ich muss schmunzeln, wenn sie euch und mich jetzt als gefährlich beschreiben", sagt er und grinst, "aber es stimmt: Wir sind gefährlich für den Status quo!"

Ron Paul ist anders, und er träumt von einem radikal anderen Amerika. Von zweierlei Unglück vor allem will er seine Nation erlösen: Vom "Spielgeld", zu dem der Dollar verkommen sei, weil der Greenback seit 1971 nicht mehr durch Gold gedeckt ist und "die Fed (die US-Zentralbank) uns ins Desaster einer Inflation treibt". Und von "der Hybris", die Amerika plage, weil es "wie ein Weltpolizist überall interveniert und uns per Verschuldung in die Verarmung treibt".

Bisweilen verirrte sich der politische Eremit und verbreitete Newsletter, die vor schwarzem Rassenkrieg, Aids oder übermächtigen Juden warnten. Heute wettert er gegen Krankenversicherung, Klimaschutz, Kampfeinsätze. Nimmermüde predigt er Amerikas Rückzug von der Welt - "und den Wiederaufbau der Freiheit in unserem Land". Denn sonst drohe Niedergang.

Der alte Mann löst helle Begeisterung aus mit seinen düsteren Szenarien, gerade bei Jungwählern. So wie am Wahltag, als Paul vor dem Stimmlokal in der Webster High School von Manchester vorfährt und ihm drei Polizisten mühsam den Weg freikämpfen wollen. Zwecklos, weiter als bis zur Haupttreppe, wo ihn zwei Dutzend skandierende Jungfans wieder als "Präsident Paul, Präsident Paul" begrüßen, kommt der Herr Abgeordnete nicht. Knapp hundert Journalisten und fünfzig Wahlbürger versperren den Weg. Paul kehrt um.

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Ein junger Mann in Jeans, grauem Pullover und Skimütze, der Paul kurz die Hand schütteln durfte, ist dennoch glücklich. "Für mich ist er der Geist der Freiheit", sagt er heiser. Er selbst ist Ökonom, nach vier Jahren College und einem Jahr Arbeitslosigkeit hat er nun einen Job, "und abends studiere ich daheim weiter - aber andere Bücher als auf der Uni". Vor allem Friedrich August von Hayek begeistert den Mittzwanziger mit dem dünnen Bart, der österreichische Nobelpreisträger, der mit seinem Klassiker "Der Weg zur Knechtschaft" auch Ron Paul den Weg wies und jedweden Markteingriff des Staates als ersten kleinen Schritt zur großen Diktatur geißelte.

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Der junge Freigeist, der partout seinen Namen nicht nennen will ("Das darf ich nicht!"), strebt weiter: "Sorry, ich muss zum nächsten Termin." Pauls Freiheitsbewegung ist straff organisiert, ihre Freiwilligen dienen mit Korpsgeist.

Und Pauls Botschaft gegen das Establishment zieht nicht nur marktradikale Jünger an. Auch von links strömen Fans herbei. Erin Sherman zum Beispiel, die Tanzlehrerin mit dem silbernen Ring im Nasenflügel, hat vor drei Jahren noch Barack Obama gewählt. Sie befürwortet sogar dessen Gesundheitsreform, anders als Ron Paul. Aber der Präsident hat keine Chance mehr bei ihr, seit er im Dezember ein Gesetz unterschrieb, das die unbefristete Inhaftierung terrorverdächtiger US-Bürger ohne Richterspruch erlaubt. "Nie wieder!", schwört sie.

Seit einer Stunde friert die 34-jährige Frau am Straßenrand von Meredith, einem Feriendorf am blauen Lake Winnipesaukee und winkt fröhlich jedem Auto mit ihrem Paul-Plakat zu. Sherman ist Kriegsgegnerin, so schnell wie möglich sollten alle Truppen heimkehren: "Das wollen auch die Soldaten." Zum Beweis deutet sie auf das Plakat, das neben ihr am Pick-up-Truck lehnt und auflistet, woher die Spenden stammen. Mitt Romneys Großgönner sind drei Banken, für Paul hingegen spenden angeblich drei Bürgergruppen am meisten, die allesamt Uniform tragen: erstens die Luftwaffe, zweitens das Heer, drittens die Marine.

Pauls Antikriegsbotschaft und seine Mahnung zum globalen Rückzug eint seine Anhänger. In New Hampshire waren es unabhängige und linksgeneigte Wähler, die Paul überproportional stützten. Zwar will Erin Sherman, anders als ihr Idol, keinesfalls die Vereinten Nationen abschaffen, und den Armen in Afrika sollen die USA ebenfalls weiter helfen.

"Aber das sind nur Details", sagt sie, ihr geht es ums Prinzip, um die ganze Richtung: "Was wir brauchen, ist ein Neuanfang", sagt sie und wippt auf den Zehenspitzen. "Amerika muss sich völlig neu ausbalancieren - und das verlangt, das wir umkehren. Wenigstens für ein paar Jahre."

Ihr Held bleibt anders, auch nach dem Erfolg von New Hampshire. Weshalb sich die meisten Paul-Anhänger nicht ausmalen mögen, im November für einen anderen Republikaner zu votieren. "Von denen kriegt keiner meine Stimme", schwört Sherman, "das sind nur pretty boys, mehr nicht." Leere Schönlinge.

Sherman ahnt, dass die Rebellion irgendwann in der Opposition endet. Und das "die da oben", die anderen, doch wieder die Parteiführung gewinnen werden. Sie hofft, dass ihr Held dann trotzig bleibt - und eigensinnig tut, was er bisher zurückweist: "Ich hoffe, dass er dann allein antritt, als dritter Kandidat."

Den Verdacht, er wolle als unabhängiger Bewerber den Republikanern wertvolle Stimmen und wahrscheinlich den Sieg abspenstig machen, hat Paul in der Wahlnacht erneut dementiert. "Zum 138. Mal", wie er zählt, "weil die Journalisten mich immer wieder dasselbe fragen". Dritte Partei? "Nein, ich habe das nicht vor, ich plane das nicht!" Aber eine kleine Hintertür muss er offenhalten. Sonst wäre er nicht mehr gefährlich.

© SZ vom 12.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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