US-Vorwahl im Bundesstaat Illinois:Wo Politik wie geschmiert läuft

"Geht früh und oft wählen": Mitt Romney muss bei den Vorwahlen der US-Republikaner in Illinois unbedingt gewinnen und hält seine Wähler mit Chicago-Witzen bei Laune. Obamas Wahlheimat steht in Amerika für Vetternwirtschaft und Korruption - und für straffällige Demokraten.

Matthias Kolb, Washington

Mitt Romney Campaigns In Illinois Ahead Of Primary

Mitt Romney bei einem Wahlkampf-Auftritt in Illinois: Witze auf Kosten der Demokraten

(Foto: AFP)

Diesen Seitenhieb auf Barack Obama ließ sich Mitt Romney nicht entgehen. Einen Tag vor der wichtigen Vorwahl in Illinois rief der Favorit des Parteiestablishments seine Anhänger auf, "früh und oft wählen" zu gehen. So mache man dies doch in Chicago, witzelte er. Der Spruch kam bei den Republikanern gut an, denn schließlich gilt die Wahlheimat des aktuellen US-Präsidenten unter Amerikanern als Synonym für korrupte Politiker, Vetternwirtschaft und schmutzige Tricks.

Damit sich der 65-Jährige irgendwann vollends auf die Auseinandersetzung mit Obama konzentrieren kann, muss er bei Auftritten wie in Springfield die Parteibasis mit flotten Sprüchen überzeugen und konservative Werte demonstrieren. Romney muss an diesem Dienstag unbedingt die Primary in Illinois gewinnen, damit die Zweifel an seiner Tauglichkeit als Kandidat nicht noch stärker wachsen. In Umfragen liegt der Ex-Gouverneur aus Massachusetts vor Rick Santorum - sein Vorsprung schwankt zwischen vier und 14 Punkten.

An der Universität von Chicago warf Romney dem US-Präsidenten vor, mit seiner Politik die Wirtschaftsfreiheit und damit den Wohlstand Amerikas zu gefährden. Auf dem Campus der Hochschule hätte Romney bei Dick Simpson vorbeischauen können, um noch mehr über die Besonderheiten der Politik in Illinois und vor allem in Chicago zu erfahren - und so weiteren Stoff für Witze zu sammeln.

Der Politologe Simpson hat mit Kollegen kürzlich die aktuelle Version des Anti-Korruption-Reports vorgelegt. Für den Economist steht nach der Lektüre fest: Chicago ist die "Hauptstadt der Korruption" und auch im Rest des Bundesstaats gedeiht die Vetternwirtschaft. Seit 1976 seien 1828 Abgeordnete, Angestellte des öffentlichen Dienstes und andere Amtsträger wegen Korruption verurteilt worden. In Chicago sprach man jeden dritten Stadtrat schuldig. In fast allen Fällen hätten die Amtsträger Schmiergeld kassiert, um bestimmte Bauvorhaben zu genehmigen oder öffentliche Aufträge der Millionenmetropole entsprechend zu steuern.

Jahrzehntelang lief in Chicago nichts ohne diese Familie: Richard J. Daley hatte 22 Jahre als Bürgermeister regiert, als er 1976 in seinem Büro zusammenbrach. Überall hielten precinct captains Kontakt zu den Bürgern, fragten nach Problemen, organisierten Wählerstimmen für die Demokraten und fädelten Geschäfte ein. Wenn ein Stadtrat nicht spurte, dann wurde in seinem Stimmkreis keine Schlaglöcher mehr ausgefüllt. Der FAZ schilderte ein Abgeordneter seine Begegnungen mit dem alten Daley: "Alles, was ich ihm je gesagt habe, war: Yes, Sir! Mit dem redete man nicht einfach. Der war eine Institution."

Sein Sohn Richard M. Daley führte bis Mai 2011 die Geschicke der Stadt - ebenfalls 22 Jahre. William M. Daley, ein anderer Spross, arbeitete bis Januar 2012 als Stabschef für Barack Obama im Weißen Haus. Der Posten war frei geworden, weil Vorgänger Rahm Emanuel zum Bürgermeister der Windy City gewählt wurde. Emanuel arbeitet zurzeit eifrig daran, seinem alten Chef Barack Obama eine schöne Bühne für den Nato-Gipfel im Mai herzurichten. Politik-Experte Dick Simpson ist vorsichtig optimistisch, dass sich Rahm Emanuel weiterhin für Transparenz einsetzt.

Wie tief der politische Sumpf in Illinois ist, wurde den Amerikanern erst vor einer Woche wieder bewusst: Vor laufenden TV-Kameras verabschiedete sich der frühere Gouverneur Rod Blagojevich von seiner Familie, bevor er seine 14-jährige Haftstrafe antrat. Vor dem Haus hielten Anhänger ihrem gestrauchelten Helden Plakate mit der Aufschrift "Nur Gott ist perfekt" entgegen. Blagojevich war - natürlich - wegen Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch verurteilt worden, weil er versucht hatte, den Senatssitz von Barack Obama nach dessen Wahl zum Präsidenten meistbietend zu versteigern. Mit seinem Absturz ist der 55-jährige Demokrat aber nicht allein: In den letzten vierzig Jahren wurden bereits drei der sechs Gouverneure von Illinois wegen Korruption verurteilt - darunter aber auch ein Republikaner.

Egal, wer für die Republikaner ins Rennen gegen Obama gehen wird: Er wird immer wieder auf den Chicago way anspielen. Auch wenn der US-Präsident auf Hawaii geboren wurde, so sieht er die drittgrößte Stadt Amerikas als Heimat an. Mehrere enge Berater wie David Axelrod oder David Plouffe wurden am Lake Michigan sozialisiert; dort befindet sich auch das Wahlkampfhauptquartier von "Obama 2012".

Im Januar hatte Newt Gingrich, der zurzeit wenig beachtete Konkurrent von Romney und Santorum, vor allem die Tea-Party-Fans mit Anti-Chicago-Sprüchen zu begeistern versucht. Nach seinem Sieg in South Carolina rief er seinen Anhängern zu: "In diesem Wahlkampf wird es einen Wettstreit zwischen der Ausnahmestellung Amerikas und dem Radikalismus von Saul Alinsky geben." Der 1909 geborene Bürgerrechtler setzte sich vor allem für die Rechte von Minderheiten ein. Alinsky organisierte erfolgreiche Kampagnen, dank denen sich etwa die Wohnbedingungen für Afroamerikaner verbesserten.

Seine Erfahrungen fasste er in seinem Buch Rules for Radicals. A Pragmatic Primer for Realistic Radicals zusammen, über das Hillary Clinton einst ihre Abschlussarbeit schrieb. Im Wahlkampf 2008 sollte diese Arbeit als Beweis für die Linksradikalität der heutigen US-Außenministerin dienen. Und dass Barack Obama einst als Sozialarbeiter tätig war, passt für viele Fox-News-Experten und Verschwörungstheoretiker perfekt ins Bild. Die Tatsache, dass Obama den 1972 verstorbenen Alinsky nie getroffen hat, wie die Washington Post bemerkte, wird die republikanischen Berater nicht stören. Für solche Feinheiten ist im Wahlkampf immer weniger Platz.

Linktipp: Die Besonderheiten des Chicago way wurden vor einem Jahr in einer Reportage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Titel "Die geschmierte Stadt" beschrieben.

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