US-Vorwahl:Donald Trump, Held der wütenden Konservativen

Die Siege des Milliardärs am Super Tuesday sind nur möglich, weil die Republikaner ihre Anhänger erst enttäuscht und dann missverstanden haben.

Von Matthias Kolb, Washington

Der Super Tuesday ist vorbei und Donald Trump hat in mehr als der Hälfte der zwölf Staaten gewonnen, in denen an diesem Tag abgestimmt wurde. Bis zum heutigen Tag hat der Milliardär zwei Drittel aller Vorwahlen für sich entschieden - und er ist drauf und dran, mit seinen Erfolgen die Partei der Republikaner in ihrer bisherigen Form zu zerstören.

"Wenn unsere Partei ein Flugzeug wäre und Sie aus dem Fenster schauen würden, dann würden Sie abfallenden Teile sehen und sich fragen, ob als nächstes das Triebwerk oder der Flügel abbricht", sagt Tim Pawlenty, ehemals Gouverneur von Minnesota und Präsidentschaftskandidat 2012, der New York Times. Schockiert müssen Mitglieder und Funktionäre der Grand Old Party (GOP) zusehen, wie Trump fast überall abräumt: Er triumphiert im Ostküstenstaat Massachusetts ebenso wie im armen Alabama.

Es gibt scheinbar nichts, was seine Popularität bremsen kann: Er kann Latinos beleidigen, sich abfällig über Frauen äußern, ein Einreiseverbot für Muslime fordern, Aussagen des Papstes als "schändlich" bezeichnen oder sich nicht vom Ku Klux Klan distanzieren. In den Umfragen wie an der Wahlurne schadet ihm das ebenso wenig wie die Tatsache, dass er Familienangehörige von Terroristen töten lassen möchte und in keinem Politikfeld Details nennen kann oder will.

Und doch gibt es eine Zahl, die diesen Erfolg erklärt: Sehr viele konservative Amerikaner fühlen sich von ihrer Partei, den Republikanern, verraten. In Georgia und Alabama lag der Wert laut CNN bei 60 Prozent; in Virginia bei 50 Prozent. Diese Beobachtung ist nicht neu: Wer heute Trump wählt, der ist wütend. Er oder sie ist sauer auf die Abgeordneten, die in Washington nicht das halten, was sie versprochen haben: nämlich Obamas Agenda zu stoppen und dafür zu sorgen, dass es ihren Wählern besser geht.

Die Wahrnehmung, dass das "System in Washington manipuliert" werde und davon vor allem große Firmen und Lobbyisten profitieren, existiert nicht nur bei Fans des selbsternannten Sozialisten Bernie Sanders: Auch viele konservative Amerikaner finden, dass Geld eine viel zu große Rolle in der Politik spielt. Dass Trump mit seinem prahlerisch-provokanten Auftreten und seinen Sprüchen, die an einen Comedian erinnern (mehr zu Trumps Rhetorik), den größtmöglichen Gegensatz zu allen Karriere-Politikern bildet, ist unübersehbar.

Den Boden für den Erfolg von Donald Trump hat die Grand Old Party selbst bereitet: Sie hat der konservativen Hälfte Amerikas sieben Jahre lang (seit Obamas Wahl Ende 2008) eingehämmert, dass die USA vor dem Untergang stehen. Dies geschah aus politischem Kalkül (Details hier) und diese konsequente Anti-Haltung führte zu einigen Wahlerfolgen bei den Kongresswahlen. Doch zugleich hat sich die wirtschaftliche Lage für viele GOP-Wähler nicht verbessert - und die Elite hat den Bezug zur Basis völlig verloren.

Die Parteichefs, Gouverneure und Abgeordneten im US-Kongress haben es gar nicht - oder viel zu spät - bemerkt, dass die republikanischen Wähler gerade nichts mehr umtreibt als der Wunsch, allen kollektiv den Mittelfinger entgegen zu strecken und zu rufen: "So geht es nicht weiter!" Und niemand verkörpert diese Haltung besser als Donald J. Trump.

Was als unumstößlich galt, wird von Trump ignoriert

Dass dieser Kandidat viele Überzeugungen, die unter Republikanern eigentlich als unumstößlich gelten, einfach ignoriert, das wird toleriert. Noch vor drei Monaten schien es unvorstellbar, dass ein konservativer Kandidat zwischen 30 und 40 Prozent bekommt, der nicht ständig davon redet,

  • den Staat auf das Minimum zu reduzieren und Steuern so radikal wie möglich zu kürzen.
  • dass er als Präsident Israel "zu 100 Prozent" unterstützen werde.

Und der stattdessen:

  • Obamacare zwar ersetzen will (durch etwas Tolles), aber zugleich verspricht, dass während seiner Präsidentschaft niemand "auf der Straße sterben" werde, weil er keine Versicherung habe.
  • sagt, dass die wegen der Durchführung von Abtreibungen umstrittene Organisation Planned Parenthood "viel Gutes" für Frauen tue.

Trumps Erfolg legt offen, dass Strategen und Intellektuelle der Republikaner ihre Wähler viel zu sehr in ein ideologisches Schwarz-Weiße-Schema gepresst haben - sogar unter den strenggläubigen Evangelikalen ist der zweifach geschiedene Donald Trump meist populärer als der Radikalchrist und Predigersohn Ted Cruz. Der Wunsch, die Hauptstadt so richtig durchzuschütteln, ist stärker als viele Prinzipien.

All dies macht aus Donald John Trump aus dem New Yorker Stadtteil Queens noch keinen guten US-Präsidenten (selbst seine Kandidatur ist für Westeuropäer eigentlich unvorstellbar) und eigentlich sollten seine Ausfälle und Beleidigungen dafür sorgen, dass er gegen die demokratische Kandidatin Hillary Clinton (danach sieht alles aus) keine Chance hat.

Aber unterschätzen sollte niemand diesen Donald Trump: Er zieht zum Beispiel auch ehemalige Arbeiter aus Industriestaaten wie Ohio, Pennsylvania oder Michigan an, die sich ihrerseits von den Demokraten im Stich gelassen fühlen. Bei seinen Events sind US-Amerikaner anzutreffen, die eine "Make America great again"-Kappe tragen, obwohl sie zuvor zwei Mal für Barack Obama gestimmt haben.

Und womöglich trauen sich momentan viele wohlhabende, gut ausgebildete Amerikaner nicht, ihre Sympathien für Trump offen zu artikulieren, wie James Hohmann von der Washington Post jüngst schrieb. So beschrieb ein "wohlhabendes Ehepaar mit Doktortiteln" in einem Brief an die ehrwürdige Financial Times, dass es für Trump stimmen werde, weil sich sonst nichts verändern werde in den USA.

Sogar im liberalen Hollywood, an der Westküste der USA, gibt es viele Trump-Fans, wie der Schriftsteller Bret Easton Ellis schockiert beobachtet hat:

Die Zeit wird immer knapper, die der republikanischen Partei-Elite und ihren vielen spendenfreudigen Milliardären noch bleibt, um eine Krönung Trumps beim Parteitag in Cleveland zu verhindern. Wie schwach der Einfluss dieser Elite derzeit ist, zeigt sich schon darin, dass selbst die Außenseiter Ben Carson und John Kasich sich weiterhin weigern, aus dem Rennen auszusteigen. Solange aber nicht klar ist, welcher Republikaner Trump herausfordern und besiegen soll, wird dieser - getragen von der Wut seiner Fans - zu neuen Siegen eilen.

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