Wer von der A 8 aus Richtung München nach Stuttgart fährt, dem fällt sofort ins Auge, dass in Baden-Württembergs Landeshauptstadt die Amerikaner präsent sind: Autofahrer werden mit speziellen Verkehrsschildern auf die "US-Installations" hingewiesen und zu den Kasernen nach Stuttgart-Möhringen und -Vaihingen geleitet.
Gäbe es diese Schilder allerdings nicht, würden die meisten wohl gar nicht mehr bemerken, dass immer noch US-Soldaten in Stuttgart stationiert sind - auf den Straßen sind keine Frauen und Männer in Uniform zu sehen, auch im Verkehr fallen Autos des US-Militärs nicht weiter auf.
Tatsächlich ist Stuttgart jedoch ein sehr bedeutender Standort der US-Army - bisher. Das könnte sich nun ändern; die Region ist von den Plänen zum Truppenabzug, die US-Verteidigungsminister Mark Esper und General Tod Wolters am Mittwoch vorstellten, besonders betroffen.
Jason Condrey ist als derzeitiger Chef der amerikanischen Standortverwaltung, der U.S. Army Garrison Stuttgart (USAG), für die Unterbringung und Ausstattung von nicht weniger als 25 000 Amerikanern zuständig - Soldaten, Zivilisten und ihre Angehörigen, die meist für drei bis fünf Jahre nach Baden-Württemberg kommen. Condreys Stab verwaltet Wohnungen auf den Kasernengeländen in den Stadtteilen Möhringen und Zuffenhausen und betreibt insgesamt drei Grundschulen, eine Middle und eine High School.
Zu den Mietern zählen nicht nur das Militär, sondern auch andere US-Behörden. Condrey selbst ist eine Art lebendiger Beweis für die lange Tradition der amerikanischen Streitkräfte in der Gegend: Der Oberst wurde in Stuttgart-Bad Cannstatt geboren, als seine Eltern dort stationiert waren.
Größter Stützpunkt sind heute die Patch Barracks im Stadtteil Vaihingen, ein Kasernengelände, das sich auf einem mehr als 70 Hektar großen Areal hinter einer mehrspurigen Schnellstraße und einem Gewerbegebiet im Wald versteckt. Die Patch Barracks bilden eine kleine Stadt in der Stadt mit Büros, Supermarkt, Kino und der Middle School für Sechst- bis Achtklässler.
Hier befindet sich das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa (Eucom), das nach Mons in Belgien verlegt werden soll - wenn es nach dem Willen von US-Präsident Donald Trump geht. Laut Stars and Stripes, einer Zeitung für Angehörige der US-Streitkräfte, sind etwa 600 Soldaten und 300 Zivilisten im Hauptquartier der Eucom beschäftigt. Von hier aus werden militärische Operationen unter anderem in Osteuropa und der Ukraine geplant.
Nach der Pressekonferenz vom Mittwoch ist nicht klar, wie weit die Abzugspläne reichen und in welchem Zeitraum sie umgesetzt werden sollen. Laut Wolters könnte auch das erst 2007 geschaffene Hauptquartier der US-Streitkräfte in Afrika (Africom) verlegt werden, ebenso das Kommando für die Spezialeinsatzkräfte in Afrika und Europa.
Trotz Trumps wiederholter Ankündigung, die Truppenstärke in Deutschland drastisch reduzieren zu wollen, war ein Abzug zumindest aus Stuttgart kein Thema: In den vergangenen Jahren wurden die High School und eine Grundschule neu gebaut, und in Planung ist gerade der Neubau eines riesigen Supermarkts am Stützpunkt in Böblingen, nur wenige Kilometer südwestlich von Stuttgart.
Für den Wohnungsbau könnten am Ende Riesenflächen frei werden
Wie gravierend die wirtschaftlichen Auswirkungen wären, wenn die amerikanischen Streitkräfte Stuttgart tatsächlich verließen, ist allerdings schwer einzuschätzen. Industrie- und Handelskammer und Handelsverband äußern sich pflichtgemäß besorgt. Andere verweisen indes darauf, dass die Amerikaner vor allem in ihren eigenen Einrichtungen einkaufen und dort auch Dienstleistungen nutzen.
Für den angespannten Wohnungsmarkt könnte der Abzug sogar ein Segen sein, würden damit doch Flächen von 170 Hektar in Möhringen, Vaihingen und Zuffenhausen verfügbar. Zum Vergleich: Beim umstrittenen Städtebauprojekt auf den Gleisflächen, die durch den Bau eines neuen Bahnhofs und das Projekt "Stuttgart 21" in der Innenstadt frei werden, geht es um 100 Hektar.
Viele Politiker indes würden den Abzug wohl bedauern. Nicht, weil der wirtschaftliche Schaden so groß wäre, sondern weil Freundschaften zwischen Deutschen und Amerikanern, die in den vergangenen sieben Jahrzehnten entstanden sind und die im Privaten, in Clubs und Chören gepflegt werden, verloren gingen. Auf Initiative von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatten die Stationierungsländer der US-Truppen, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz, vor gut einer Woche einen Brief an US-Abgeordnete geschickt, in der Hoffnung, Trumps Pläne noch vereiteln zu können.
Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) kritisierte das am Mittwoch vorgestellte Konzept: "Mit ihrer Entscheidung kündigt die US-Administration unter Präsident Trump Hals über Kopf die seit Jahrzehnten gewachsene enge Zusammenarbeit in einer Strafaktion gegen einen Verbündeten und ohne Konsens im US-Kongress auf." Stuttgart habe immer gute Beziehungen zu den Soldaten, den Zivilangestellten und ihren Angehörigen gepflegt. Und Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) sagte in anderen Worten so ziemlich dasselbe: "Ich bin ziemlich sicher, die Soldaten, die hier in Stuttgart sind, hätten anders entschieden. Wir waren, sind und bleiben gute Gastgeber für unsere amerikanischen Freunde."