Süddeutsche Zeitung

US-Spione in Deutschland:Nur naiv sollte man nicht sein

Lesezeit: 4 min

Man kennt sich, man hilft sich, man bespitzelt sich. Die Amerikaner meinen, das sei in Ordnung, auch unter Freunden. Sie hätten gerne, dass die Deutschen Ruhe geben. Aber was geschieht mit enttarnten Agenten?

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Tanjev Schultz

Vor Jahren ließ das FBI mit großem Aufwand den Sitz des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Washington beobachten. Der BND ist dort in der deutschen Botschaft untergebracht, einer sogenannten Residentur. Die Mitarbeiter des BND wurden observiert.

Das FBI wollte unbedingt herausbekommen, ob die Deutschen auf amerikanischem Boden ohne Wissen von US-Behörden Agenten führen. Das Ergebnis muss für das FBI enttäuschend gewesen sein: null.

Wissen ist gut, Nichtwissen ist schlecht

Wenn sich beim BND in Washington Leute melden und den Deutschen ihre Dienste anbieten, informiert er brav das FBI oder die CIA über die Offerte. Das gehört sich so unter engen Verbündeten, meinen die Deutschen. Außerdem setzt das FBI Lockspitzel ein, um die anderen zu testen.

Man muss vorsichtig sein. Nur naiv sollte man nicht sein.

Die Deutschen glaubten bis vor Kurzem, ein Freund spioniere einen Freund nicht aus. Aber aus der Sicht der US-Dienste ist Freundschaft keine wirklich bedeutsame Kategorie. Wissen ist gut, Nichtwissen ist schlecht - das ist alles, was zählt. So sagen es US-Geheimdienstleute.

Die Causa des festgenommenen BND-Mitarbeiters, der heimlich der CIA Dokumente seines Arbeitgebers überreicht haben soll, und nun der Verdachtsfall eines Mitarbeiters im Bundesverteidigungsministerium, der ohne Wissen deutscher Behörden allzu eng mit US-Diensten gewesen sein soll, werfen zwei Fragen auf.

Frage eins: Sind das wirklich nur Einzelfälle, die fast gleichzeitig bekannt wurden?

Frage zwei: Hat jemand in Washington irgendwann die prinzipielle Entscheidung getroffen, nicht nur die Kanzlerin abzuhören, sondern auch menschliche Quellen in Deutschland anzuwerben?

Das Verteidigungsministerium ist zentral für das Bündnis. Wer dort spionieren lässt, verhält sich wie ein Feind.

Oder funktioniert genau so das Geschäft? Sind die Deutschen scheinheilig, wenn sie sauer darüber sind, dass die USA in Deutschland spionieren?

Die US-Agenten, so ist zu hören, sind jedenfalls sauer darüber, was nun alles in der Zeitung steht. "Können die nicht einfach mal Ruhe geben?", hat vor Kurzem ein US-Geheimdienstler über die Deutschen gesagt.

Wie soll man auf das Treiben der US-Dienste reagieren?

Auch erfahrene Sicherheitsexperten in Berlin tun sich schwer, die Folgen der Schnüffeleien abzuschätzen. Man könnte jetzt die Ausweisung des CIA-Residenten verlangen, aber der ist noch gar nicht so lange in Deutschland.

Als der besagte BND-Mann für die CIA angeworben wurde, so um 2012, war der Resident noch nicht hier. Ihn auszuweisen, wenn er nicht verantwortlich war, hätte allenfalls symbolischen Wert.

Mit der CIA kann das Publikum noch etwas anfangen, doch wenn es - wie im Fall des Verdächtigen im Verteidigungsministerium - ums Militär geht, kommen noch andere Geheimdienste ins Spiel, und die kennen nur die Spezialisten.

Die US-Luftwaffe, das Heer und die Marine betreiben jeweils einen eigenen Dienst, dazu kommt die große Defense Intelligence Agency (DIA), mit der die Deutschen traditionell eng kooperieren.

Die DIA ist ein Riesenladen. Sie beschäftigt mehr als 16 500 Soldaten und Zivilisten. Das sind fast dreimal so viele Mitarbeiter, wie der BND hat. Der US-Geheimdienst-Apparat ist komplex, man kommt, je nach Zählweise, auf 16 oder mehr Behörden, von denen die CIA, die NSA und die DIA die bekanntesten und größten sind.

Etwa 50 Milliarden Dollar im Jahr geben die USA für ihre Geheimdienste aus, dazu gut 20 Milliarden, die in Spähprogramme des Militärs fließen.

Wer eine Fremdsprache beherrscht, kann bei der DIA sein Gehalt steigern. Es gibt eine Liste begehrter Sprachen. Mit dabei: Deutsch. Als zwei Agenten des BND - beide ausgebildete Soldaten - im Irak-Krieg in Bagdad Informationen sammelten, bekam auf Umwegen auch die DIA das Material.

Man kennt sich, man hilft sich. Doch kann man sich wirklich ganz aufeinander verlassen?

Was die Deutschen und deren Dienste so treiben, fanden die Amerikaner schon immer interessant. In Zeiten des Kalten Kriegs legte die CIA Dossiers an über die Kollegen des BND, darunter sehr private Informationen.

Eine private Affäre konnte immer auch eine Geheimdienst-Affäre sein. Am Standort Deutschland spähten die USA nicht nur den Feind im Osten aus. Sie beschafften auch Daten über den Bündnispartner.

Mit den Leuten von der DIA, die in Berlin auch beim BND ein- und ausgehen, soll der verdächtigte Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums früher schon bei Auslandseinsätzen viel zu tun gehabt haben.

Vor allem zu einem der DIA-Mitarbeiter soll sein Kontakt sehr eng gewesen sein. Die Ermittler haben den Verdacht, es könnte sich um eine Art Agentenführer handeln. Genau wissen sie das aber nicht.

Oft belächelt, aber ziemlich effizient - der Militärische Abschirmdienst

Bei der Geschichte kommt ein deutscher Nachrichtendienst ins Spiel, der von anderen oft belächelt wird, der aber ziemlich effizient arbeitet: der Militärische Abschirmdienst der Bundeswehr (MAD). Er soll in dem Ermittlungsverfahren wichtige Erkenntnisse geliefert haben. Der Verdächtige wurde abgehört und observiert.

Es ist ungewöhnlich, dass sich der MAD für Kontakte zu US-Diensten interessiert. Das ergibt sich schon aus der Aufteilung der Dezernate des MAD. Die Abteilung II kümmert sich um Inlandsoperationen. So war es auch im Fall des Soldaten. Die Gliederung der Dezernate orientiert sich an Ländern, Regionen und Aufgaben. Dezernat C 1 ist zuständig für Spionagefälle mit Bezügen zu Russland.

Bei Bedarf kümmert es sich auch um Aktivitäten aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Das Dezernat C 2 betreut China und den Rest der Welt, C 3 ist für präventive Spionageabwehr zuständig, und C 4 bearbeitet IT-Fälle in der Bundeswehr, bei denen es einen Spionageverdacht gibt.

Die DIA oder andere US-Dienste kommen in dieser Welt nicht vor, im Gegenteil: Der MAD legt Wert darauf, bei der Spionageabwehr nicht nur zum BND und zum Verfassungsschutz vertrauensvolle Kontakte zu unterhalten, sondern auch zu den ausländischen Partnerdiensten.

Ganz vorneweg zu den Amerikanern. Auf internationalen Tagungen tauschen sie Erkenntnisse zu Operationen und zu den Methoden gegnerischer Agenten aus.

Der Fall des verdächtigten Deutschen, gegen den nun ermittelt wird, dürfte den Austausch mit den USA in Zukunft nicht gerade erleichtern. Das betrifft den MAD, letztlich betrifft es aber die gesamten deutsch-amerikanischen Beziehungen.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2014
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