Süddeutsche Zeitung

Abzug von US-Soldaten:Mützenich: USA betreiben Politik aus "Willkür und Druck"

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Der SPD-Fraktionschef fordert, milliardenschwere Rüstungsvorhaben mit den USA zu überdenken. Ein Oppositionspolitiker gibt Trump teilweise recht - sicherheitspolitisch gebe Deutschland ein "Bild des Jammers" ab.

Von Mike Szymanski, Berlin

Nach dem angekündigten Teilabzug von etwa 12 000 US-Soldaten aus Deutschland steuert das deutsch-amerikanische Verhältnis auf einen neuen Tiefpunkt zu. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich plädiert dafür, dass Berlin nun selbst Konsequenzen zieht und Rüstungsvorhaben mit den USA auf den Prüfstand stellt. Präsident Donald Trump betreibe eine Politik aus "Willkür und Druck", dies könne "nicht die Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit" sein, sagte Mützenich der Süddeutschen Zeitung. "Vor diesem Hintergrund werden auch die Rüstungskooperationen in einem neuen Licht bewertet werden müssen."

Seitens der Regierung ist die Ankündigung des Truppenabzugs bislang lediglich "zur Kenntnis" genommen worden. Kanzlerin Angela Merkel, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) sind im Urlaub.

Aktuell geht es vor allem um zwei Beschaffungsvorhaben, bei denen die US-Industrie jeweils im Umfang von mehreren Milliarden Euro zum Zuge kommen soll. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will die in die Jahre gekommene Tornado-Kampfjetflotte etwa zur Hälfe durch 45 F-18-Flugzeuge des US-Herstellers Boeing ersetzen. Das Vorhaben ist auch deshalb in der SPD höchst umstritten, weil ein Teil dieser Jets technisch in die Lage versetzt werden soll, im Kriegsfall in Deutschland stationierte US-Atombomben ins Ziel zu tragen. Bislang kommt Deutschland dieser Verpflichtung aus dem Konzept der sogenannten Nuklearen Teilhabe mit den Tornados nach.

Derzeit laufen Vorgespräche mit den USA. Das Geschäft könnte ein Volumen von mindestens etwa acht Milliarden Euro haben, wie jüngst eine Kostenschätzung von Greenpeace ergab. Beschlussreif dürfte das Geschäft allerdings frühestens 2022 werden.

Weitere Milliarden für neue Hubschrauber - aus den USA?

Wesentlicher weiter fortgeschritten ist die Beschaffung neuer, schwerer Transporthubschrauber als Ersatz für die ebenfalls ans Ende ihrer Lebenszeit gekommenen CH-53-Transporthubschrauber der Bundeswehr. Zwei US-Hersteller bewerben sich derzeit jeweils mit deutschen Partnerunternehmen um diesen Großauftrag, für den das Parlament 5,6 Milliarden Euro eingeplant hat. Die Entscheidung über den Kauf soll 2021 fallen.

Mützenich jedoch sieht kaum noch eine Basis für eine solche Zusammenarbeit mit Washington. Trump hatte den im Grundsatz bereits im Juni angekündigten Teilabzug der US-Truppen mit aus seiner Sicht zu geringen Verteidigungsausgaben Deutschlands begründet und unter anderen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato angeführt. Es sieht vor, dass sich alle Bündnispartner bis 2024 daran annähern, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.

Deutschland hat sich inzwischen angenähert, die Verteidigungsausgaben in den vergangenen Jahren kontinuierlich, teils deutlich erhöht - liegt mit 1,38 Prozent aber immer noch deutlich unter dem Ziel. Mützenich erklärte nun: "Der Truppenabzug und dessen Begründung sind ein weiterer Beleg für die Irritationen und die zunehmende Entfremdung zwischen den USA und Deutschland. Während der Präsident das Ganze im Verständnis eines Schuldeneintreibers kommentiert, schiebt der Verteidigungsminister strategische Erwägungen hinterher." Mützenich folgert daraus: "Egal, was man gelten lassen will: Willkür und Druck können nicht die Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit bilden."

"Trump versucht, innenpolitische Feldgewinne zu erzielen"

US-Verteidigungsminister Mark Esper hatte am Mittwoch bekannt gegeben, dass die USA etwa ein Drittel der bislang in Deutschland stationierten Soldaten möglichst rasch abziehen wollen. Gut die Hälfte der etwa 12 000 betroffenen Soldaten sollen in die USA zurückgeholt, weitere 5600 in andere Nato-Länder verlegt werden. Zudem sollen zwei Kommandozentralen verlagert werden.

Außen- und Sicherheitspolitiker von Union und FDP äußerten die Hoffnung, dass die Abzugspläne von Trump dem Präsidentschaftswahlkampf geschuldet seien und möglicherweise in dieser Form am Ende nicht umgesetzt würden. "Trump versucht, innenpolitische Feldgewinne für die in weniger als 100 Tagen anstehende US-Wahl zu erzielen. Die Schwächung des Westens nimmt er dabei billigend in Kauf", sagte der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter der SZ. Berlin habe seit 2014 die "chronische Unterfinanzierung" der Bundeswehr gestoppt, aber Trump erkenne dies nicht an. Nun gewähre er Russland mit dem Truppenabzug sogar ein "Abrüstungsgeschenk". Mit Blick auf Widerstände im Kongress erscheine eine "Revidierung der Entscheidung immer noch im Bereich des Möglichen".

Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagte der SZ: "Abzuwarten bleibt, ob die Maßnahmen, die einen enormen logistischen und zeitliche Aufwand erfordern, noch vor der Wahl umgesetzt werden können." Aus seiner Sicht könnte Trump-Herausforderer Joe Biden, sollte er im Herbst gewählt werden, noch etwas ändern. "Biden kennt Deutschland gut, möglicherweise würde er die Entscheidung im Falle eines Wahlsiegs revidieren, aber auch er würde massiv auf mehr Engagement und eine verantwortungsvollere Sicherheitspolitik der Bundesregierung drängen."

Lambsdorff sieht Berlin, und dort vor allem die SPD, in einer Mitverantwortung für die jüngsten Entscheidungen aus Washington. "Auch wenn es populär und teilweise richtig ist, Donald Trump zu kritisieren, muss man wissen, dass schon der sehr beliebte Barack Obama mehr Engagement Deutschlands in der NATO verlangt hat", sagte er. So sei der Truppenabzug "auch die Quittung für die jahrelange Weigerung der Bundesregierung, ein schlüssiges sicherheitspolitisches Konzept vorzulegen". Deutschland gebe "sicherheitspolitisch ein Bild des Jammers ab" und anders als seine Vorgänger nehme Trump nun keine "diplomatische Rücksicht" mehr.

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