Im politischen Amerika dieser Tage ist das Selbstverständliche bemerkenswert: zum Beispiel, dass den Demokraten Joe Biden und den Republikaner John McCain eine langjährige politische Rivalität, aber auch eine fast ebenso lange Freundschaft verbindet.
Solche Beziehungen waren im US-Senat einst an der Tagesordnung, vom zermürbten Washington des Jahres 2017 aus betrachtet allerdings erscheinen sie in ein nostalgisches Licht getaucht.
Der ehemalige Vizepräsident Biden war es, der dieses Jahr dem immer noch amtierenden Senator McCain die Freiheitsmedaille (Liberty Medal) des National Constitution Center in Philadelphia überreichte. Und er sprang laut applaudierend auf, als der an einem Gehirntumor erkrankte 81-Jährige in seiner Rede mit dem politischen Zeitgeist abrechnete, der im Weißen Haus und um das Weiße Haus herrscht.
McCain: "Wenn wir die Welt, die wir für drei Viertel eines Jahrhunderts organisiert und angeführt haben, zu fürchten beginnen; die Ideale vergessen, die wir um den Globus vorangebracht haben; die Pflichten internationaler Führung und unsere Pflicht, die 'letzte große Hoffnung auf Erden' zu sein: Wenn wir dies aufgeben für einen unausgegorenen, unechten Nationalismus, der von Menschen zusammengebraut wurde, die lieber Sündenböcke finden als Probleme zu lösen - dann ist das so unpatriotisch wie das Festhalten an jedem anderen erledigten Dogma der Vergangenheit, das Amerikaner auf die Müllhalde der Geschichte verfrachtet haben."
Und: "Wir leben in einem Land, das auf Idealen aufbaut, nicht auf Blut und Boden."
McCain hatte bereits in seinen Reden zu den Gesundheitsgesetzen der Republikaner kritisiert, dass der Kongress in Washington keinen Respekt mehr für Normen und Zusammenarbeit zeige. Er hatte US-Präsident Donald Trump mehrmals indirekt bescheinigt, in McCains Feld der Außenpolitik keine Ahnung zu haben.
Abrechnung mit dem neuen Konservatismus
An diesem Montag rechnete er nun mit der Strömung des identitären Nativismus und der Isolation des "America First" ab, die Trumps ehemaliger Chefberater Stephen Bannon oder sein Redenschreiber Stephen Miller und auch der US-Präsident selber verkörpern. Namen musste er dabei nicht nennen.
McCain, Präsidentschaftskandidat im Jahr 2008, gilt als Vertreter traditioneller republikanischer Standpunkte. Als eine Figur des alten Washingtons, in dem Republikaner und Demokraten noch Kompromisse schlossen. Bannon hat angekündigt, in den kommenden Wahlkämpfen nativistische und Anti-Establishment-Kandidaten zu unterstützen, um die Partei weiter hin zur reinen Lehre des elitenkritischen und nativistischen Konservatismus zu rücken.
McCain gehört zu einer anderen Generation, ihn betrifft das nicht mehr: Seine Wiederwahl würde theoretisch erst in fünf Jahren anstehen - er wäre dann 86 Jahre alt. Weil sein Krebs eine besonders aggressive Form ist - mit dreiprozentiger Überlebenschance für den Erkrankten -, geht es dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten wie schon bei seinem Veto gegen die konservativen Gesundheitspläne ums Prinzip, um sein Vermächtnis.
McCains Anhänger, die nicht zuletzt unter außenpolitischen Funktionären auf beiden Seiten des Atlantiks zu finden sind, attestieren dem ehemaligen Kriegsgefangenen eine klare moralische Haltung und eine tiefe Verbindung zum amerikanischen Verständnis von Freiheit. Seine Kritiker verweisen darauf, dass der vom Kalten Krieg geprägte Senator allerdings für jene Neigung zum Interventionismus steht, mit dem die USA über Jahrzehnte oft weniger Freiheit als Instabilität exportierten.
Diese Widersprüche sind nicht neu. Das Verfassungsmuseum in Philadelphia hatte die Liberty Medal bereits zuvor so unterschiedlichen Preisträgern wie dem Dalai Lama, Bono, Tony Blair oder dem Wissenschaftler James Watson verliehen.