Vor der TV-Debatte wird gebetet. Die 115 Zuschauer im Saal 6 des "Flix Brewhouse"-Kino in Des Moines falten die Hände und senken den Kopf. "Herr, halte deine schützende Hand über unserem Land, helfe den Schwachen. Herr, halte auch deine schützende Hand über Dr. Carson, unseren nächsten Präsidenten", sagt ein Mann vor der Leinwand und aus 115 Kehlen schallt es "Amen!"
Wen diese Menschen als Nachfolger von Barack Obama als US-Präsident im Weißen Haus sehen wollen, ist klar: Sie tragen "Ben 2016"-Aufkleber an der Brust und schwenken Schilder, auf denen "Carson 2016. Heal. Inspire. Revive" steht. Heilen, inspirieren und (Amerikas Größe) wiederbeleben, all das verspricht der 64-jährige Ben Carson, der neben Donald Trump die Überraschung des Vorwahlkampfs der Republikaner ist. Der ehemalige Gehirnchirurg führt mit 28 Prozent in Iowa in allen Umfragen und liegt sogar in der jüngsten landesweiten Erhebung vor Trump.
Hinter den Zahlen verbirgt sich ein interessantes Phänomen. Wie der Milliardär Trump hat der Afroamerikaner noch nie ein politisches Amt innegehabt, doch dies macht ihn für viele Besucher attraktiv. "Dr. Carson ist nicht wie all die anderen Kandidaten vor ihm. Er macht mir Hoffnung", sagt William Morris. Der 58-jährige Anwalt ist einer von allenfalls zehn Schwarzen, die die Debatte aus Colorado mit anderen Carson-Fans im Kinosaal gucken. Dessen Hautfarbe spiele aber keine Rolle: "Mir sind Carsons Glaube und sein Auftreten wichtiger."
Nach der zweistündigen Übertragung und Gesprächen mit mehreren Zuschauern wird deutlich, dass die Basis die Kandidaten nach anderen Kriterien bewertet als die Experten in den TV-Studios.
Höflichkeit zahlt sich aus. Der 64-jährige Mediziner ist stets ruhig, er erhebt selten seine Stimme und verkündete schon am Anfang der Debatte, dass er sich an Reagans "11th Commandment" (das elfte Gebot) halten wolle. Nach dieser Regel soll kein Republikaner einen anderen kritisieren. Während Analysten Carson "Passivität" unterstellen und sein Konkurrent Trump über dessen "Schläfrigkeit" witzelt, kommt Höflichkeit bei vielen Wählern an.
"Mir gefällt es sehr, dass er nicht aggressiv auftritt und die anderen nicht angreift", sagt Ben Dreyer. Der 36-jährige Versicherungsmakler ist überzeugt, dass es der Grand Old Party schadet, wenn sich die Kandidaten gegenseitig niedermachen. Carsons höfliches Auftreten erklärt seine enorme Popularität: In Iowa, wo am 1. Februar die erste Vorwahl stattfindet, finden ihn 84 Prozent der Wähler sympathisch. Wenn Carson etwas kritisiert, dann sind es jene Dinge, die fast alle Konservativen hassen: Etwa staatliche Subventionen ("ein Haufen Müll") und die Political Correctness, die die USA angeblich ruinieren.
Die Verachtung für Washington ist enorm. Es überrascht wenig, dass Ben Carson bei diesem Heimspiel den lautesten Applaus erhält. Doch es fällt auf, für wen das Publikum nie klatscht: Wenn Ohios Gouverneur John Kasich seine Erfahrung im Weißen Haus und als Abgeordneter betont - und wenn Jeb Bush das Wort ergreift. Beide verkörpern das Polit-Establishment in der Hauptstadt Washington, das als korrupt und ungerecht empfunden wird.
"Die Abgeordneten im Kongress denken nur an ihre Wiederwahl", schimpft Bart Collins. Der 61-Jährige sammelte schon Unterschriften für die "Run Ben Run"-Kampagne, um Carson zur Kandidatur zu bewegen. Diese Wut auf Washington macht den lärmenden Außenseiter Donald Trump für viele attraktiv, doch auch Gouverneure wie Chris Christie können mit donnerndem Applaus rechnen, wenn sie rufen: "Wenn euch Washington etwas Kostenloses verspricht, dann haltet euer Portemonnaie fest. Dann wird es teuer."