Süddeutsche Zeitung

US-Republikaner:Trump zerstört Reagans Partei

Ronald Reagan wird von den Republikanern als Ikone verehrt. Sein Parteifreund Donald Trump hat einige Gemeinsamkeiten mit ihm, doch die fallen angesichts der Unterschiede kaum ins Gewicht.

Von Matthias Kolb, Simi Valley

In diesem Gebäude geht es um die ganz großen Geschichten. Hier kämpft das Gute gegen das Böse, hier gibt es eine Vielzahl von Verbrechern und Bedrohungen - und natürlich einen Superhelden. Dieser Superheld ist Ronald Reagan und der Begrüßungsfilm in der ihm gewidmeten Presidential Library hämmert den Besuchern diese Botschaft ins Hirn. Mit seinem Bombast erinnert der kurze Film an einen Hollywood-Blockbuster mit Arnold Schwarzenegger oder Jean-Claude Van Damme.

"1980 ist Amerika so schwach wie nie. Die alten Rezepte haben versagt. Böse Mächte bedrohen die Welt. Ein Mann hatte den Mut, den Kampf aufzunehmen. Er wich nicht zurück und kämpfte für die Freiheit, auch im Angesicht des Todes. Sein Ziel war es, ein Land zu verändern - doch er veränderte die Welt." Der Film läuft in voller Lautstärke in Dauerschleife, damit kein Zweifel aufkommt: Reagan hat nicht nur den Kommunismus besiegt, sondern auch den Kapitalismus gerettet.

Bis heute führt in der US-Politik kein Weg vorbei an Ronald Wilson Reagan, der von 1981 bis 1989 im Weißen Haus saß und 2004 als 93-Jähriger starb. Er gilt als einer der "größten US-Präsidenten des 20. Jahrhunderts". Zum 100. Geburtstag titelte das Time-Magazine "Warum Obama Reagan liebt" und druckte ein Interview mit dem Demokraten. Der Grund für die Bewunderung: Mit Sätzen wie "Amerika ist zu groß, um sich mit kleinen Träumen zufriedenzugeben" baute Reagan das nationale Selbstbewusstsein wieder auf.

Von Los Angeles fährt man nicht mal eine Stunde bis zur Ronald Reagan Presidential Library und wie bei allen Präsidenten-Museen erwartet die Besucher keine allzu kritische Auseinandersetzung. Informationen über die verheerenden Folgen von Reagans "Krieg gegen Drogen"? Fehlanzeige. Größte Attraktion ist das alte Air Force One-Flugzeug, vor dem alle vier Jahre die konservativen Kandidaten um die Wette debattieren. Der neue Reagan zu sein, das behauptet fast jeder Republikaner von sich.

Das macht Reagan so attraktiv für die Republikaner

In seinem Buch "Why the Right Went Wrong" über den US-Konservativismus bezeichnet E. J. Dionne Reagan als "schwammigen Helden". Dank dessen Biografie könne ihn jeder für sich in Anspruch nehmen: Tea-Party-Hardliner à la Ted Cruz verehren ihn für seine Rolle in der erzkonservativen Bewegung der Sechziger und Siebziger, die den Staat zusammenkürzen wollte. Moderate Republikaner loben Reagans Pragmatismus als Präsident: Er habe damals auch Steuern erhöht (heute undenkbar) und mit den Demokraten Kompromisse geschlossen. Und wer wie Marco Rubio eine aktivere US-Außenpolitik fordert, der bekommt schnell das Etikett "Reagans Erbe" verpasst.

Neben seinem unbestreitbaren Charisma gibt es einen weiteren Grund, wieso Reagan alle überstrahlt: Die anderen Republikaner-Präsidenten taugen nicht als Vorbilder. Bush jr.: Wegen Irakkrieg und Schulden umstritten. Bush sr.: Wahlverlierer. Nixon: Trat nach Watergate zurück. Ford: Nixon-Vize und Wahlverlierer. Eisenhower: Glaubte an positive Rolle des Staates.

Also wird Ronald Reagan zur Republikaner-Ikone erhoben, die vor allem die Jugend für konservative Werte begeistern soll. Auf der CPAC-Konferenz, wo sich Jahr für Jahr vor allem junge Konservative versammeln, wirkt die Verehrung fast grotesk: Es gibt kostenlose Reagan-als-Cowboy-Poster, Dutzende Biografien und sogar Bilderbücher. Dass die Propaganda wirkt und viele Studenten den Ex-Präsidenten für einen Helden halten, zeigt nicht nur die Schlange vor einem Papp-Reagan, um Selfies zu schießen (mehr bei jetzt.de). Sie denken wie Mary Beth, die noch nicht geboren war, als Reagan regierte: "Er ist der größte Präsident aller Zeiten. Er hat unser Land zusammengeführt, Obama spaltet es."

Was Trump und Reagan gemeinsam haben

2016 ist es unmöglich, durch die Presidential Library zu laufen, ohne an Donald Trump zu denken - der sich fraglos auch für einen Helden und Weltenretter hält. Dass Trump den Slogan "Make America Great Again" von Reagans Wahlkampf 1980 übernahm, ist nur eine Parallele. Nach Kindheit und Studium in Illinois arbeitete Reagan von 1937 an als Schauspieler in Hollywood. Noch wichtiger war jedoch ein Engagement in den Fünfzigern: Jahrelang moderierte er mit "General Electric Theater" die erfolgreichste Sonntags-Sendung im US-Fernsehen. Wie beim Reality-TV-Star Trump lernten Millionen Amerikaner Reagan also als unpolitische Figur kennen - ein großer Vorteil, als er schließlich zum Politiker wurde.

Genau wie Trump bewies Reagan ideologische Flexibilität: Er gehörte erst den Demokraten an, bevor er Republikaner wurde. In der Präsidenten-Bibliothek zeigen viele Film- und Redenausschnitte, dass Reagan den Spitznamen "The Great Communicator" zu Recht trug. Er sprach von einem "Rendezvous mit dem Schicksal", das die Amerikaner hätten, und nannte die Sowjetunion das "Reich des Bösen". In einer TV-Debatte fragte er das Publikum: "Geht es Ihnen heute besser als vor vier Jahren?" Danach hatte Jimmy Carter keine Chance mehr auf die Wiederwahl.

Der 70-jährige Trump wird bei der Vereidigung im Januar der älteste Präsident aller Zeiten sein, doch viele Anhänger verweisen darauf, dass Reagan kaum jünger war. Beide Männer seien erfolgreiche Außenseiter, sagen die Trump-Fans, und wie Reagan wird der Geschäftsmann versuchen, Amerika neues Selbstbewusstsein zu geben. Doch spätestens hier fängt die Mythenbildung und Geschichtsklitterung an: Anders als Trump verfügte Reagan über Prinzipien und hinreichend politische Erfahrung.

Wie Trump die Reagan-Republikaner zerstört

So war er nicht nur Gouverneur von Kalifornien (1967-1975), sondern kandidierte vor 1980 zwei Mal vergeblich in den Vorwahlen fürs Weiße Haus. Sein Durchbruch war eine flammende Rede, in der er für den erzkonservativen Barry Goldwater warb und danach enge Beziehungen zu evangelikalen Christen aufbaute. Unter Reagan rückten die USA nach rechts, auch weil der Ex-Schauspieler und Radiomoderator die konservativen Ideen in einprägsame Formeln kleidete. Seit seiner Präsidentschaft standen die Republikaner für drei Dinge: Sie waren sozial konservativ, wollten freie Marktwirtschaft sowie geringe Steuern und waren stets bereit, das starke Militär auch einzusetzen.

Schon Anfang 2016 schrieb das konservative National Review: "Wenn Trump siegt, sind die Reagan-Republikaner tot". Der Gipper (so ein beliebter Spitzname) kürzte Sozialhilfe in den Achtzigern, während der Populist Trump im Wahlkampf versprach, das Sozial- und Gesundheitssystem eher auszubauen. Auch wenn Trump Reagans "Frieden durch Stärke"-Mantra oft zitiert, deutet er eine andere Außenpolitik an. Die Nato in Frage stellen? Bündnisse, die nicht auf Werten basieren, sondern auf Finanzzahlungen? Schmusekurs mit dem autokratischen Russland? Ablehnung von Amerikas Rolle als "Weltpolizist"? Undenkbar unter Reagan.

Ein weiterer Unterschied ist der Stil: Reagan war vielen zu konservativ, er dämonisierte Drogensüchtige und unterstützte diverse Militärregime in Lateinamerika. Doch im Umgang war Reagan stets freundlich, höflich und statesman-like: Beleidigungen politischer Gegner und Häme gegenüber Frauen oder Behinderten, wie sie bei Trump gang und gäbe sind, sind nicht überliefert.

Wenn Kritiker fragen, ob Trump nicht anfangen sollte, Akten zu lesen und sich in Dossiers einzuarbeiten, dann verweisen seine Berater darauf, dass auch Reagan seine Geheimdienst-Briefings nicht in schriftlicher Form bekam, sie wurden ihm mündlich vorgetragen. Trump werde es ähnlich halten (er will sich nur ein Mal pro Woche informieren lassen) und viel delegieren - etwa an seinen Vize Mike Pence.

Doch diese Parallele zu ziehen, ist scheinheilig, denn Reagan hatte durch Reisen, seine Arbeit als Gouverneur und langjähriger Wahlkämpfer ein besseres Verständnis und Wissen über Außen- und Sicherheitspolitik. Und der lange verbreitete Eindruck, wonach Reagan über den Dingen schwebte und sich in den Regierungsalltag nie eingemischt habe, sei durch neue Forschungen nicht mehr zu halten, sagte Reagan-Biograf Lou Cannon kürzlich in einem Washington Post-Podcast.

Die Tour durch die Presidential Library endet auf der Terrasse mit einem malerischen Blick über das Simi Valley. Weiter hinten befindet sich das Grab von Ronald Reagan, seit März liegt dort auch seine geliebte Frau Nancy (hier der SZ-Nachruf). Auf der Terrasse steht ein Stück der Berliner Mauer, die kurz nach Reagans Zeit im Weißen Haus wirklich fiel.

Trump-Berater Bannon ist besessen von Reagan

Wie regelmäßig weitere Vergleiche in den kommenden Wochen und Monaten gemacht werden, bleibt abzuwarten. Bisher ist es für den 45. Präsidenten sehr schmeichelhaft, mit dem 40. Präsidenten verglichen zu werden. Und zumindest ein Mann wird im Weißen Haus dafür sorgen, dass dieses Narrativ erhalten bleibt: Steve Bannon. Der künftige Chefberater von Trump war vor seiner Zeit als Chef von Breitbart News unter anderem auch Dokumentarfilmer.

2004 drehte er das Reagan-Biopic "In the Face of Evil", das zu 100 Prozent dem Superhelden-Narrativ folgt und Nationalsozialismus und Kommunismus unter dem Begriff "Biest" zusammenfasst. In der Art von Michael Moore wird viel mit Archivmaterial und Musik gearbeitet und Reagan als tiefreligiöser Retter der freien Welt angepriesen, der das Biest getötet habe. Reagan war für Bannon "ein Radikaler", der alle Widerstände überwindet. Auch Bannon ist erzreligiös und seit 9/11 von der Gefahr des islamischen Terrorismus besessen. Wenn er in Trump einen neuen Reagan sieht und weiterhin viel Zugang zu ihm hat, dann bedeutet das nichts Gutes.

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