Süddeutsche Zeitung

US-Republikaner und Gesundheitsreform:Wütende Elefanten

Dem Sturmlauf der Konservativen zum Trotz gelingt es Obama, ein historisches Gesetz zu verabschieden. Bei den Republikanern mischt sich in die Empörung auch Selbstkritik - zu Recht.

Gökalp Babayigit

Natürlich, in ihren Reaktionen überschlagen sich die konservativen Kräfte wieder einmal: "Der größte Machtmissbrauch und die schlimmste Arroganz, die Washington je gesehen hat" überschreibt eine Kommentatorin für den Sender Fox News ihre Abrechnung mit dem Gesetz, das nicht wenige als historisch ansehen.

Das Repräsentantenhaus hat die Senatsvorlage für Präsident Obamas wichtigstes innenpolitisches Vorhaben, die Gesundheitsreform, mehrheitlich gebilligt. Seit Mitte der sechziger Jahre hat das Parlament in den USA nicht mehr ein solch gewichtiges sozialpolitisches Gesetz verabschiedet. Obama wird es voraussichtlich im Laufe des Dienstags unterschreiben. Für manche steht fest: Seine erste Legislaturperiode ist jetzt schon ein Erfolg. Der Mann hat Geschichte geschrieben.

In die Geschichte eingehen werden indes aber auch die vergangenen 14 Monate, in denen dem amerikanischen Volk eine Schlacht sondersgleichen geboten wurde. Verglichen mit dem populistischen und propagandistischen Sturmlauf der US-Konservativen rund um die Tea-Party-Bewegung wirken die verbalen Scharmützel in Berlin - zwischen Regierung und Opposition oder zwischen Regierungspartei und Regierungspartei - wie Friedensgespräche. Wie eine wildgewordene Herde Elefanten rannten die Republikaner - in Anlehnung an ihr Wappentier - gegen die Reform an.

Tyrann Obama, der sich über den Wählerwillen hinwegsetzt. Der Sozialist, der die Vereinigten Staaten in ein kommunistisches Land verwandeln will: Den Gegnern der Gesundheitsreform war kein Vergleich zu krude, als dass er nicht zur Verunglimpfung der Demokraten und ihres Projekts "Health Care" herangezogen werden konnte. Bis kurz vor der Abstimmung agitierten republikanische Abgeordnete gegen das Gesetz und wollen auch jetzt, nach dem Votum, weiter dagegen vorgehen. So planen mindestens zehn Bundesstaaten - darunter auch demokratisch regierte -, gegen Health Care zu klagen.

Obamas erklärtes wichtigstes innenpolitisches Vorhaben zum Scheitern zu bringen, ihn, der den Wechsel versprochen hatte, als Luftnummer bloßzustellen, die Demokraten als ineffiziente Dampfplauderer zu enttarnen, das waren die Ziele der Republikaner, die sich vor mehr als einem Jahr zu einer weitreichenden Entscheidung hinreißen ließen: Beim Thema "Health Care" sollte Fundamentalopposition betrieben werden.

Die laute Tea-Party-Bewegung erlebte regen Zulauf, in den Townhall Meetings bekamen die Abgeordneten die Wut der Bürger zu spüren. Doch am Ende half die Mobilmachung nichts. Das Gesetz tritt in Kraft - und stellt die Republikaner vor ein großes Problem. Was passiert, sobald die Bürger in den kommenden Monaten merken, dass sich die schrillen Kassandrarufe der Konservativen nicht bewahrheiten werden? Wenn sich die USA nicht in China verwandeln, sondern das Gesetz tatsächlich mehr Amerikanern hilft, gesund zu bleiben oder gesund zu werden?

In die Wut über den verlorenen Kampf mischt sich bei den Konservativen auch Selbstkritik. Die Republikaner mögen sich noch feiern dafür, den Boden für womöglich erfolgreiche Kongresswahlen im November bereitet zu haben, indem sie dem Ärger über die Regierung eine Plattform gaben. Doch nach Ansicht von David Frum, einem bekannten konservativen Journalisten und ehemaligen Berater von George W. Bush, haben es sich die Konservativen zu großen Teilen selbst zuzuschreiben, diese "schlimmste Abstimmungsniederlage seit den sechziger Jahren" kassiert zu haben.

Ja, die total überhitzte Debatte hat einerseits die Menschen mobilisiert. Doch viel mehr fällt ins Gewicht, dass den Republikanern durch sie der Handlungsspielraum genommen wurde. Wie sollen konservative Abgeordnete auch in der Sache verhandeln und eigene, in ihren Augen bessere Alternativen ins Spiel bringen, wenn "Health Care" als reines Teufelszeug verschrien wird? "Wir folgten den radikalsten Stimmen in der Bewegung", schreibt Frum, "und sie führten in diese demütigende und unumkehrbare Niederlage".

Die konservativen Kräfte haben den Meinungsmachern in den Radio- und Fernsehanstalten die Wortführerschaft überlassen. "Die Niederlage für die freie Marktwirtschaft und die republikanischen Werte ist in Wahrheit ein Sieg für die konservative Unterhaltungsindustrie" verurteilt Frum Lautsprecher wie Glenn Beck oder Rush Limbaugh. "Ihre Zuhörer werden nun noch zorniger und noch frustrierter und noch enttäuschter sein" - und in größerer Zahl ihr Radio oder Fernsehgerät einschalten.

Was für die Republikaner aber beinahe noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass Obama den Amerikanern zeigen konnte, wie ernst er es mit seiner Politik des Wechsels, mit dem "Change", meint. Nun kann ihm nicht mehr vorgeworfen werden, nur Reden zu schwingen, statt Taten zu vollbringen. In den letzten Tagen vor der Abstimmung galt seine gesamte Konzentration der Reform. Geplante Reisen nach Australien und Indonesien wurden kurzfristig abgesagt. Der Präsident setzte Zeichen. Der Einsatz, der ihn auch bei diversen Reden wieder zur Hochform aus Kandidaten-Zeiten auflaufen ließ, hat sich gelohnt.

Ein Berater der Demokraten bringt auf politico.com die Bedeutung dieses verabschiedeten Gesetzes für die erste Obama-Amtsperiode auf den Punkt: "Jeder Demokrat und viele Unabhängige werden sagen: 'Ach du Sch... Dieses Obama-Ding war ernst gemeint. Er hat wirklich getan, was er gesagt hat.' Der politische Wert dieser Meinung ist unermesslich."

Je lauter die Konservativen nun bis November das Gesetz verteufeln, desto eher erscheinen sie nach Obamas erstem großen Gesetz als schlechte Verlierer. Ob sich auch der Furor in der Bevölkerung so lange aufrechterhalten lässt - vor allem vor dem Hintergrund, dass sich jene apokalyptischen Warnungen vor dem Ende der USA nicht bewahrheiten werden - gilt als zweifelhaft. Bessert sich etwa die wirtschaftliche Situation bis dahin, wird der Groll gegenüber der Regierung lange nicht so groß sein. Auch wenn die "Health Care" zu greifen beginnt, sehen viele den Rückhalt für die Konservativen bröckeln. Aus den aufrechten Patrioten, zu denen sich die Republikaner stilisierten, könnten dann sture Neinsager werden.

Ein Versprechen wird Obama in Zukunft indes nicht mehr einlösen können. Als er ins Weiße Haus zog, wollte er überparteilich regieren. Das wird ihm mit diesen Konservativen nicht mehr gelingen. "Hell, no, you can't!" - "Zum Teufel nein, Sie können nicht!" warf der republikanische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, bei der Debatte um die finale Abstimmung den Demokraten an den Kopf. Doch, sie konnten. Und sie werden auch in Zukunft - ganz ohne Hilfe der Republikaner.

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