US-Republikaner Mitt Romney:Kandidat ohne Eigenschaften

Mitt Romney hat ein Image-Problem: Die Wähler begreifen nicht, wer der Republikaner ist und warum er unbedingt ihr Präsident werden will. Der Parteitag in Tampa soll den früheren Gouverneur in ein warmes Licht rücken. Romney versucht, sich menschlich zu zeigen - und gewährt plötzlich sogar Einblicke ins Private.

Christian Wernicke, Washington

Es war ein zutiefst menschlicher Moment, und es ging, irgendwann im Wahlkampf 2008, für ein paar Minuten mal wirklich ehrlich zu. All die Männer, die als Aspiranten für die republikanische Präsidentschaftskandidatur gleich zur TV-Debatte antreten und sich vor laufender Kamera balgen würden, waren nochmals aufs Herrenklo geeilt, um Druck abzulassen.

Mitt Romney

Wer ist dieser Mann - und warum will er US-Präsident werden? Der Republikaner Mitt Romney muss noch Überzeugungsarbeit leisten, vor allem in persönlicher Hinsicht.

(Foto: AP)

John McCain, Rudy Giuliani, Mike Huckabee und die übrigen Konkurrenten standen brav aufgereiht vor der gekachelten Wand, nur einer fehlte: Mitt Romney. Zeit, um zu lästern. "Er ist ein Arschloch", sprach John McCain am Urinal, "ein verdammter Schwindler." Die Kollegen nickten beifällig. Um zu gewinnen, so bekundete Giuliani, "würde der Typ doch alles sagen."

Auch Mike Huckabee, so erzählt es das Insider-Buch "Game Change" vom Diskurs mit offenen Hosenschlitzen, habe seinerzeit beigepflichtet: Der einstige Baptistenprediger mutmaßte, "dass Romney keine Seele hat". Da ging die Tür auf, und Mitt Romney betrat das Herrenklo. Im Raum war es still. Einer nach dem anderen zog den Reißverschluss hoch und ging von dannen. Romney blieb allein zurück.

Die Szene ist mehr als viereinhalb Jahre her. Aber der Moment beschreibt, wie verhasst dieser Willard Mitt Romney (kurz "WMR") unter seinesgleichen war - und vielen, klammheimlich jedenfalls, bis heute noch ist. Den damals 60-jährigen Multimillionär, der als kühler kalkulierender Hedgefonds-Manager reich geworden war, sahen McCain & Co. als einen, der sich den Einzug ins Weiße Haus notfalls erkaufen würde.

Anerkannt war zwar Romneys Verdienst, die Olympischen Winterspiele 2002 vor der Pleite gerettet zu haben. Dennoch verabscheuten sie den früheren Gouverneur von Massachusetts als einen aalglatten Opportunisten, als einen Schönling mit verdächtiger, weil allzeit perfekter Frisur.

"Schlüpfrig - nicht menschlich"

Romneys eigener PR-Stratege, der Medienberater Alex Castellanos, soll dem frustrierten Republikaner damals per Power-Point-Präsentation die harte Wahrheit vorgeführt haben. "Man weiß nicht, woher WMR kommt. Keine Geschichte jenseits von kaltem Geschäft, olympischer Wende, Gouverneur im Stile eines Vorstands-Vorsitzenden", diagnostizierte Castellanos, "Wahrnehmung - Scharlatan. Schlüpfrig - nicht menschlich."

Mit diesem und gegen dieses Image kämpft Romney nun schon seit fast sechs Jahren. Im Februar 2007 hatte Willard Mitt Romney seinen Traum offenbart, 44. Präsident der Vereinigten Staaten werden zu wollen. Das gelang 2008 letztlich Barack Obama, dem Demokraten.

Romney hat geackert, hat seither vier Jahre lang unauffällig Parteigrößen im Land umworben, sich mühsam den Respekt von einstigen Gegnern wie McCain und Giuliani erdienert. Nun möchte Romney als Nummer 45 in die Geschichte eingehen.

Immerhin, diesmal hat er den Vorwahlkampf seiner Partei überstanden: Es war eine Schlammschlacht, aber Romney - von Anfang an der "unausweichliche Kandidat" und Favorit des Establishments - wird nun diese Woche in Tampa, Florida, von der "Republican Convention" mit viel Radau und Konfetti zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten der "Grand Old Party" gekürt. Sie respektieren ihn inzwischen, und viele werden sogar so tun, als würden sie ihn lieben.

Endlich an der Spitze - mit dem gleichen Imageproblem

Und doch hat der Kandidat, nun endlich an der Spitze, mit Amerikas Wählern nach wie vor immer ein und dasselbe Imageproblem: Die Menschen wissen nicht, wer er ist. Sie begreifen nicht, was er will - und warum er unbedingt Präsident werden möchte. Nicht einmal einer unter vier Landsleuten (22 Prozent) glaubt, dass Romney sage, was er wirklich denke - drei Fünftel hingegen meinen, er rede den Menschen nach dem Mund.

Im Juli erklärten 52 Prozent, sie hätten "eine unvorteilhafte Sicht" von ihm, nur 37 Prozent äußerten sich "wohlwollend". Und jeder dritte selbsterklärte Romney-Wähler gibt auf Nachfrage zu, mehr als die Begeisterung für den Republikaner treibe ihn die Abneigung gegen Obama an die Wahlurne. Romney ist, nach mittlerweile 66 Monaten Selbstbewerbung, der undurchschaubare, unnahbare, der fremde Kandidat geblieben: ein ewiger Unbekannter.

Das liegt zum Teil an ihm selbst. Bei öffentlichen Auftritten agiert Romney merkwürdig steif, fast ungelenk. So als fühle er sich in seiner eigenen Haut nicht wohl. Dieser Mann war auch als Ur-Kapitalist nie Visionär, kein großer Erfinder oder mutiger Innovator. Er war Prozessanalyst, Kosten-Nutzen-Rechner, Effizienzexperte. Und er war und ist anpassungsfähig.

Als moderater Republikaner im liberalen Massachusetts verteidigte er einst Abtreibung, Schwulenrechte oder Waffengesetze, als nationaler Kandidat kämpft er heute fürs Gegenteil. Selbst seine größte Errungenschaft als Gouverneur in Boston - die Einführung einer obligatorischen Krankenversicherung, von Obama als Modell für seine Gesundheitsreform gepriesen - verleugnete Romney im Vorwahlkampf.

Moralisten schmähen den Republikaner deshalb als "Wendehals", als "Flip-Flopper". Er selbst dürfte dies nüchtern als Anpassung an veränderte Bedingungen im relevanten politischen Markt deuten.

Auf Daddys Spuren

Romney ist Perfektionist. Alles muss stimmen, weshalb in seiner Kampagne alles filigran geplant wird - und auch so wirkt. Wenn der Kandidat dann, wie vorigen Freitag an der Seite seiner geliebten Ehefrau daheim im Bundesstaat Michigan, einmal den Pfad vorgestanzter Phrasen verlässt ("Ich liebe diesen Ort, wo Ann und ich aufgewachsen sind!"), dann geht's prompt schief: "Niemand hat mich je nach meiner Geburtsurkunde gefragt. Sie wissen, dass dies der Ort ist, an dem ich geboren wurde."

Die Anspielung auf die jahrelange Hetze erzkonservativer Aktivisten, die Barack Obama als illegitimen Usurpator mit gefälschten Dokumenten verunglimpft hatten, war missraten. Die Demokraten polterten scheinempört, Romney mache gemeinsame Sache mit Demagogen. Und unabhängige Beobachter bemängelten schlechten Stil. Romney tat verblüfft, zuckte hilflos mit den Achseln. "Das war Spaß", versicherte er Stunden später, "wir brauchen doch ein bisschen Humor im Wahlkampf."

In Michigan und in Detroit, der alten Autoschmiede Amerikas, wähnen viele Romney-Deuter den wahren Quell seines präsidentiellen Drangs. Denn hier war sein Vater, George Romney, nicht nur ein erfolgreicher Konzernmanager. In den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts war Romney Senior auch ein überaus beliebter Gouverneur mit Ambitionen auf das Weiße Haus.

Mitt, der älteste Sohn, bewunderte seinen Daddy - und musste mit ansehen, wie sein Idol 1968 mit ein paar unvorsichtigen Bemerkungen über den Vietnamkrieg alles verspielte. Nun versucht der Erstgeborene, die Scharte auszuwetzen. "Ich wünschte, mein Vater könnte dies erleben", hat Romney Junior neulich gesagt. Er lächelte stolz, fast glücklich.

Aspirant mit Begleitschutz

Romneys Kampagne bemüht sich neuerdings, Mitt, den Mitmenschen, vorzustellen. Der gesamte Parteitag in Tampa soll den Kandidaten in weichen, warmen Farben zeichnen. Plötzlich lässt Romney, der bisher seine Privatsphäre wie seine Familie hermetisch gegen mediale Einblicke abschirmte, Blicke durchs Schlüsselloch zu.

Journalisten dürfen in den Mormonen-Tempel vordringen und den Aspiranten beim Gebet sehen, Freunde erzählen, wie "locker" ihr Kumpel doch sei - und wie er voller Hingabe seiner Frau seit 15 Jahren zur Seite steht, als die Ärzte bei Ann Multiple Sklerose diagnostizierten.

Wer ist Mitt Romney? Diese Frage soll der Parteitag beantworten. Mit der Nominierung von Paul Ryan, seinem rechten Vize-Kandidaten, hat der unbekannte Spitzenkandidat vor zwei Wochen versucht, sich eine Identität zu leihen. Nun muss er selbst zur Persönlichkeit reifen. Er ist der Kandidat, Aspirant für Nummer 45, also allzeit mit Begleitschutz. Was auch bedeutet: Auf der Herrentoilette bleibt er bis zum 6. November nie mehr allein zurück.

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