Was der Umsetzung des neuen US-Friedensplans für die Ukraine noch im Wege steht? Wenn man Donald Trump richtig interpretiert, dann ist es im Wesentlichen ein Mann mit seinem Ego: der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij. Im Weißen Haus in Washington erklärte Trump Journalisten: „Ich glaube, wir haben einen Deal mit Russland.“ Es müsse jedoch noch eine Vereinbarung mit Selenskij getroffen werden.
Bereits am Mittwoch hatte Trump in seiner Social-Media-Welt einen Post in Überlänge abgesetzt, in dem er Selenskij vorwarf, auf der Titelseite des Wall Street Journal damit „zu prahlen“, dass die Ukraine die Besetzung der Krim nicht rechtlich anerkennen werde und es da nichts zu besprechen gäbe. Diese Aussage sei für die Friedensverhandlungen mit Russland sehr schädlich, so Trump, zumal das nicht einmal ein Diskussionspunkt der gegenwärtigen Gespräche sei. „Niemand verlangt von Selenskij, die Krim als russisches Territorium anzuerkennen“, behauptet Trump.
Genau das aber hatte sein Vizepräsident J. D. Vance kurz zuvor getan. Als er auf seiner Indienreise von Reportern zu dem US-Friedensplan befragt wurde, sagte Vance: „Wir werden die territorialen Linien etwa dort einfrieren, wo sie im Moment sind.“ Und das heißt nichts anderes als: Wenn es nach den USA geht, dann bleiben sowohl die Krim als auch große Teile der russisch besetzten Gebiete in der Ostukraine bis auf Weiteres unter der Kontrolle von Wladimir Putin. Der Kriegstreiber im Kreml hätte damit einen gewichtigen Teil seiner Ziele erreicht.
„Wenn er die Krim will, warum haben sie dann nicht schon vor elf Jahren dafür gekämpft?“, fragt Trump
Weitere Details zu dem Friedensplan nannte Vance nicht, nur so viel: Beide Seiten müssten sich in Verzicht üben, und beiden sei dafür ein „klarer Vorschlag“ unterbreitet worden. Tatsächlich gibt es da aber einen Unterschied: Nach dem, was von dem US-Plan bislang bekannt ist, müssten die Russen lediglich einige der eroberten Gebiete in der Ukraine wieder abtreten, also Gebiete, die ihnen gar nicht gehören. Bei den Ukrainern hingegen geht es um den Verzicht von Teilen ihres eigenen Staatsgebietes.
Trump demonstrierte in einer Frage, die er in diesem Zusammenhang an Selenskij richtete, erhebliche Geschichtsvergessenheit: „Wenn er die Krim will, warum haben sie dann nicht schon vor elf Jahren dafür gekämpft, als sie ohne einen einzigen Schuss an Russland übergeben wurde?“
Zunächst einmal will der ukrainische Präsident die Krim natürlich nicht aus einer größenwahnsinnigen Laune heraus, wie Trump suggeriert, sondern weil sie völkerrechtlich zur Ukraine gehört. Zweitens handelt es sich um eine Umkehr der Schuldfrage, weil es bei Trump so klingt, als sei nicht der Angreifer Putin an dem Territorialkonflikt um die Krim schuld, sondern die angegriffenen Ukrainer, die sich damals nicht ordentlich verteidigt hätten. Dass Wolodimir Selenskij noch nicht der Präsident der Ukraine war, als die Russen die Krim 2014 besetzten, gerät angesichts dieses bizarren Vorwurfs Trumps schon fast zu einem nebensächlichen Detail.
Und: Der US-Präsident wirft den Ukrainern für das Jahr 2014 genau das vor, was er jetzt von ihnen verlangt: Damals haben sie sich auf einen Deal eingelassen, das Minsker Abkommen, anstatt ihr Territorium mit Waffen zu verteidigen. Jetzt will er, dass sie die Verteidigung ihres Landes einstellen und sich auf einen Deal mit Donald Trump einlassen. Einen sogenannten Friedensplan, der klingt, als hätte ihn Wladimir Putin per Eilbrief nach Mar-a-Lago geschickt.
Die Sprecherin des Weißen Hauses artikuliert den Zorn der Isolationisten
Man ist es gewohnt von diesem US-Präsidenten, dass er allerlei widersprüchliche Botschaften gleichzeitig auf die Welt einprasseln lässt, und jeder muss dann für sich selbst herausfinden, was der eigentliche Kern der vielen Botschaften sein könnte. Einerseits sagt Trump nun, er freue sich darauf, der Ukraine und Russland helfen zu können, aus diesem „kompletten Schlamassel“ herauszukommen. Andererseits griff er den ukrainischen Präsidenten am Mittwoch so scharf an wie seit dem 28. Februar nicht mehr, dem Tag, als er ihn aus dem Weißen Haus hinausgeworfen hatte.
Es seien die „aufwieglerischen Äußerungen“ von Selenskij, die es so schwierig machten, diesen Krieg beizulegen, schrieb Trump auf Truth Social. Und er drohte nun ganz unverhohlen damit, der kompletten Annexion der Ukraine an Russland im Zweifelsfall tatenlos zuzusehen. „Die Lage ist schlecht für die Ukraine – sie kann Frieden haben oder noch drei Jahre kämpfen, bevor sie das ganze Land verliert.“ Der Mann, der „keine Karten in der Hand“ habe, sollte jetzt mitmachen. Der Mann ohne Karten ist in Trumps Spielcasino-Bild natürlich Selenskij. So hat er ihn schon Ende Februar beim abrupt beendeten Washington-Besuch verunglimpft.
Die neue US-Regierung reagiert immer dann besonders allergisch, wenn jemand den – augenscheinlichen – Verdacht äußert, Washington stehe in diesem Krieg eher an der Seite Moskaus. Genau das hatte Selenskij aber unlängst in einem Interview mit dem Sender CBS getan – und sich damit wohl eine neue Welle des Zorns zugezogen. Die amerikanischen Steuerzahler hätten Milliarden Dollar zur Unterstützung der Ukraine ausgegeben, und „genug ist genug“, sagte Karoline Leavitt, die Sprecherin des Weißen Hauses, am Mittwoch. Damit brachte sie die Haltung der Isolationisten in der Maga-Bewegung auf den Punkt.
Gespräche in London verlaufen trotz aller Drohungen offenbar gut
Es gehört zu der fast schon üblich kuriosen Gemengelage, dass am Mittwoch in London trotz allem zwischen Europäern und Amerikanern über die Zukunft der Ukrainer verhandelt wurde. Und die Tatsache, dass US-Außenminister Marco Rubio wegen des Ärgers über Selenskij seine Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte, schien der Gesprächsatmosphäre offenbar nicht geschadet zu haben. Aus seiner Sicht sei das Treffen „sehr produktiv und erfolgreich“ gewesen, sagte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow.
Das war vor dem bisher schwersten russischen Luftangriff in diesem Jahr auf Kiew. In der Nacht zum Donnerstag starben in der ukrainischen Hauptstadt mindestens zwölf Menschen bei Drohnen- und Raketeneinschlägen. Mehr als 70 wurden verletzt, unter ihnen sechs Kinder. Präsident Selenskij brach unter Eindruck der Attacke einen Besuch in Südafrika vorzeitig ab. Und auch Trump kritisierte Putin entgegen seiner Gewohnheit scharf und unzweideutig. Auf Social Media schrieb er: „Wladimir, STOPP!“
Wie es nun weitergeht? US-Regierungssprecherin Leavitt wich der Frage in Washington aus, ob sich Trump und Selenskij am Wochenende am Rande des Papstbegräbnisses in Rom zu einem Gespräch begegnen werden. Dem Nachrichtenportal Axios zufolge soll sich der US-Gesandte Steve Witkoff am Freitag ein weiteres Mal mit Wladimir Putin treffen. Als praktisch ausgeschlossen galt, dass die USA und die Ukraine am Donnerstag ihren Vertrag zu den Seltenen Erden unterzeichnen würden, so wie Trump das eigentlich angekündigt hatte. Dieser Vertrag (amerikanische Waffen gegen ukrainische Rohstoffe) hat den Charakter einer Erpressung und hätte ursprünglich Ende Februar im Weißen Haus unterschrieben werden sollen, was bekanntlich daran scheiterte, dass Selenskij seine Meinung zum Friedensplan vor laufenden Kameras äußerte.
Wenn es um die Krim geht, zeigte sich Selenskij von Trumps Auslassungen wenig beeindruckt. Die Ukraine werde auf die Krim nicht verzichten, schrieb er bei Telegram und auf X: „Die Ukraine wird immer im Einklang mit ihrer Verfassung handeln, und wir sind absolut sicher, dass unsere Partner – insbesondere die USA – sich an ihre starken Entscheidungen halten werden.“ Angehängt hatte er die Krim-Erklärung der USA von 2018. Darin wird Russland zum Rückzug von der Krim aufgefordert. Ein Standpunkt übrigens, den Trumps Außenminister Rubio vor drei Jahren, noch als Senator, geteilt hatte: „Die Vereinigten Staaten dürfen Putins Ansprüche nicht anerkennen, sonst schaffen wir einen gefährlichen Präzedenzfall für andere autoritäre Regime“, sagte er damals.
Der Druck auf die Ukraine aber wächst, Tag für Tag, Stunde um Stunde. „Der Präsident ist sauer, und seine Geduld läuft aus“, sagte Leavitt am Mittwoch. Und Vizepräsident Vance stellte den Ukrainern von Indien aus noch einmal ein unmissverständliches Ultimatum. Es sei an der Zeit, dass sie „Ja“ sagten zu dem Friedensplan, andernfalls würden sich die Vereinigten Staaten aus dem Verhandlungsprozess zurückziehen.
Der Artikel ist eine aktualisierte Fassung; er wurde ergänzt um Äußerungen der Präsidenten der USA und der Ukraine und um die Nachricht vom Luftangriff auf Kiew.