US-Reaktionen auf Terror in Paris:Hillary Clinton muss sich von Obamas Aussagen zum IS distanzieren

In der TV-Debatte der Demokraten geht die Ex-Außenministerin auf Abstand zum US-Präsidenten. Donald Trump klagt darüber, dass in Paris "nur die bösen Kerle" Waffen getragen hätten.

Von Matthias Kolb, Washington

Es sind vor allem die Republikaner, die nun rund um die Uhr über nationale Sicherheit, Bedrohung durch Islamisten und die richtige Strategie im Kampf gegen den selbst ernannten Islamischen Staat (IS) reden wollen. Die Anschlagserie in Paris mit mindestens 129 Toten dominiert alle US-Nachrichtensendungen und befeuert die politischen Diskussionen im Präsidentschaftswahlkampf. Auch die Demokraten widmen sich ausführlich dem Thema: Ihre zweite TV-Debatte der Präsidentschaftsbewerber beginnt mit einer Schweigeminute für die Opfer. Anschließend drehte sich 30 Minuten lang alles um den Kampf gegen den globalen Terrorismus im Allgemeinen und die IS-Terrormiliz im Besonderen.

Für Hillary Clinton ist dies Chance und Risiko zugleich. Einerseits kann sie ausführlich über ein Thema sprechen, über das ihre Herausforderer - Senator Bernie Sanders und Ex-Gouverneur Martin O'Malley - eher wenig wissen. Andererseits hat sie als Außenministerin genau jene Außenpolitik von Barack Obama mitgeprägt, die nun von vielen Experten und allen Republikanern kritisiert wird.

Clinton distanziert sich von Obamas Wortwahl

In der TV-Debatte musste sie deswegen zu einer Formulierung des Präsidenten auf Abstand gehen. Ausgerechnet wenige Stunden vor den Anschlägen in Paris hatte er gesagt, dass der IS "momentan nicht an Stärke" gewinne. Sein Team habe eine Strategie entwickelt, um die Terrormiliz "einzudämmen", sagte Obama.

Von dieser Wortwahl distanzierte sich Clinton deutlich: "Der IS kann nicht eingedämmt werden - er muss besiegt werden." Die USA müssten ihre Anstrengungen im Anti-Terror-Kampf intensivieren, forderte sie. Washington könne in diesem Kampf nicht alleine agieren, sollte aber eine "Führungsrolle" übernehmen.

Die erwartbare Kritik von Bernie Sanders: Clinton habe als Senatorin 2003 dem Irak-Krieg zugestimmt, der zur Destabilisierung der Region geführt habe. Das brachte die Clinton nicht aus der Fassung. Sie bezeichnete das Votum erneut als "Fehler" und spielte ansonsten ihre jahrelange Erfahrung aus. Als Sanders die Türkei, Jordanien, Saudi-Arabien und Iran auffordert, sich stärker im Syrien-Konflikt zu engagieren und Soldaten zu schicken, konterte Clinton, dass Jordanien Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen habe. Die Türkei und die Golf-Staaten müssten sich allerdings klar entscheiden: "Stehen sie auf unserer Seite im Kampf gegen diese Dschihadisten oder nicht?"

Die schrecklichen Bilder aus Paris ließen die Innenpolitik in den Hintergrund rücken und persönliche Attacken auf die Ex-Außenministerin unangebracht erscheinen. Diese TV-Diskussion wird deswegen an der Lage wenig ändern: Knapp drei Monate vor den ersten Vorwahlen liegt Clinton in allen Erhebungen weit vorn.

Trump bringt Paris mit Waffengesetzen in Verbindung

Der Umfragekönig der Republikaner sorgte erneut für Schlagzeilen: Donald Trump machte die strengen Waffengesetze in Frankreich für die hohe Zahl an Toten verantwortlich. "Wenn ihr nach Paris schaut: Niemand war dort bewaffnet außer den bösen Kerlen. Niemand", rief der Milliardär bei einer Veranstaltung in Texas.

Er sei überzeugt, dass die Situation im "Bataclan"-Club "ganz, ganz anders" verlaufen wäre, wenn einige Besucher bewaffnet gewesen wären. Trump, der die Umfragen der republikanischen Präsidentschaftsbewerber anführt, hatte sich schon nach den Anschlägen auf das Charlie Hebdo-Satiremagazin ähnlich geäußert.

Neben Trump sprachen sich auch alle anderen konservativen Kandidaten für ein stärkeres Engagement des US-Militärs im Kampf gegen die IS-Miliz aus. Jeb Bush verlangte von Obama, dass Amerika endlich "die globale Führungsrolle" übernehme und anerkenne, dass der Kampf gegen Extremisten der "Krieg unserer Zeit" sei. "Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln", forderte Ted Cruz. Der populäre Ex-Gehirnchirurg Ben Carson brachte sogar den Einsatz von US-Bodentruppen ins Spiel, um die Terrormiliz "auszulöschen".

Wie Cruz möchte Carson keine Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, da diese vom IS "infiltriert" seien könnten. Dem widersprach Clinton in der TV-Debatte: Die USA sollten 65 000 Syrer aufnehmen, wenn sie eine penible Überprüfung und Befragung durch die Behörden überstehen.

Alle Republikaner warfen dem US-Präsidenten vor, im Kampf gegen die IS-Terrormiliz versagt zu haben. Sie unterstellten ihm Realitätsferne und fehlenden Mut. Als Beleg nannten sie eben jenes Interview, in dem von "Eindämmung" die Rede ist.

US-Bevölkerung sah Einsatz gegen IS schon pessimistisch

In einer Anfang November durchgeführten Umfrage waren 54 Prozent der Amerikaner dafür, US-Soldaten zurück in den Irak und nach Syrien zu schicken, um die Dschihadisten zu bekämpfen. Zwei Drittel sind überzeugt, dass die USA und ihre Alliierten derzeit den Kampf gegen die IS-Miliz verlieren. Die Republikaner machen Obamas Truppenabzug aus dem Irak für den Aufstieg des IS verantwortlich, während die Demokraten den von George W. Bush angeordneten Einmarsch in den Irak als Hauptursache nennen.

Vor dem Abflug zum G-20-Gipfel in der Türkei kam Präsident Obama erneut mit dem Nationalen Sicherheitsrat zusammen. Die Geheimdienste gehen momentan von keinerlei "spezifischer oder glaubwürdiger" Terror-Bedrohung für die USA aus, teilte das Weiße Haus mit. Außerdem gebe es keine Informationen, die dem Urteil Frankreichs widersprächen, dass die IS-Miliz hinter der Anschlagserie steckt.

In der New York Times melden sich mehrere Ex-Regierungsberater zu Wort. "Der IS ist nun auch eine Bedrohung jenseits des Nahen Ostens", warnte Frances Townsend, die wichtigste Anti-Terror-Beraterin von George W. Bush. Michael Leiter, der sowohl unter Bush als auch unter Obama dem Nationalen Anti-Terror-Zentrum vorstand, sagte der Zeitung: "Wenn einer solchen Organisation so viel Bewegungsfreiheit gegeben wird und sie nicht entschlossen bekämpft wird, dann dürfen sich die Leute nicht über Anschläge wie auf das russische Flugzeug wundern."

Und Matthew Olsen, ein weiterer Ex-Chef des Nationalen Anti-Terror-Zentrums, entwarf ein beunruhigendes Szenario: "Der Druck auf die USA und den Westen wächst, aggressiver zu reagieren. Wir verstärken unsere Angriffe auf den IS. Und auch die Dschihadisten attackieren uns immer mehr."

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