US-Präsidentschaftswahl:Der unberechenbare Trump wittert seine Chance

Republican presidential nominee Donald Trump greets supporters during a campaign stop at the Canfield County Fair in Canfield

Der Vorsprung seiner Widersacherin Hillary Clinton schmilzt: Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Canfield, Ohio.

(Foto: REUTERS)
  • Am Labor Day Anfang September beginnt die entscheidende Phase im US-Präsidentschaftswahlkampf.
  • Die Demokratin Hillary Clinton ist weiter favorisiert, allerdings ist ihr Umfrage-Vorsprung auf Donald Trump zusammengeschmolzen.
  • Der Wahlkampf dürfte bis zuletzt schmutzig bleiben - große Bedeutung kommt der ersten TV-Debatte Ende September zu.

Von Matthias Kolb, Washington

Je länger ein Wahlkampf dauert, umso wichtiger sind Traditionen und Rituale. Alle vier Jahre ziehen die US-Kandidaten erst durch die Maisfelder von Iowa und besuchen South Carolinas Kirchen, bevor sich am Super Tuesday die Favoriten absetzen und der Vorwahlkampf sich entscheidet. Zu den Parteitagen, den Krönungsmessen der Kandidaten im Frühsommer, steigt das Interesse, doch richtig ernst wird es erst Anfang September am Labor Day, dem amerikanischen Tag der Arbeit.

"Früher war der Termin wie der Anstoß eines Football-Spiels", sagt die Analystin Amy Walter vom renommierten "Cook Political Report". Weil der Feiertag als Beginn des eigentlichen Wahlkampfs gilt, sind die US-Medien nun voll mit Zwischenbilanzen. Doch die unberechenbare Anti-Establishment-Stimmung (am Labor Day 2015 galt Donald Trump bei fast allen Experten als Witzfigur) führt neben vorsichtigeren Prognosen auch zu einer gewissen Müdigkeit. Analystin Walter formuliert es in der New York Times so: "Heute fühlt es sich eher an wie der Beginn des dritten Viertels."

Der Sportvergleich verdeutlicht zweierlei: Das Publikum kennt die Akteure und die US-Bürger haben sich längst eine Meinung über Trump und Hillary Clinton gebildet. Der Immobilienmogul ist seit 40 Jahren dauerpräsent und die ehemalige First Lady steht ähnlich lange im Rampenlicht. Und zu Beginn der zweiten Halbzeit ist die eine Seite oft im Vorteil, was den Gegner zu mehr Risko zwingt. Dies sind die fünf wichtigsten Punkte zum Schlussspurt des US-Wahlkampfs:

1. Wenn Clinton verliert, ist sie selbst schuld. Die Demokratin führt weiter in den Umfragen (drei Prozent im "Real Clear Politics"-Durchschnitt), doch ihr Acht-Punkte-Vorsprung ist weg. Eine aktuelle CNN-Erhebung sieht Trump knapp vorn. Es könnte also enger werden als noch Anfang August gedacht (mehr auf Nate Silvers Website 538).

Die Grundzüge der Wählerschaften der Kandidaten sind klar: Jungwähler bevorzugen Clinton, während Trump bei Älteren populärer ist. Die Mehrheit der Weißen würde momentan für Politneuling Trump stimmen (bei weißen College-Absolventen kommt Clinton auf 49 Prozent). Der historische Trend spricht aber für sie: Seit 1984 erhielt stets der Kandidat auch am Wahltag die meisten Stimmen, der am Labor Day vorne lag (Al Gore verlor 2000 trotzdem gegen Bush). Allerdings kam in diesem verrückten Wahlkampf schon vieles anders als früher.

2. Die erste TV-Debatte wird der Schlüsselmoment. Wenn Moderator Lester Holt am 26. September Trump und Clinton auf die Bühne bittet, werden viele Millionen in Amerika wie im Rest der Welt zusehen. Für Trump, der vermutlich auch in drei Wochen hinten liegen wird, geht es um alles: Er muss den unentschlossenen Wählern zeigen, dass er die USA als Präsident vertreten kann. Auch wenn die Erwartungen niedrig sind, wird dies eine schwere Aufgabe.

Er wird Clinton nur besiegen, wenn er am Rednerpult überzeugt - und etwa beweist, dass er sich in Details einarbeiten kann. "Trump muss zeigen, dass er akzeptabel ist", urteilt der konservative Meinungsforscher Neil Newhouse. An sich sollte Clinton in den drei Rededuellen (das letzte findet am 19. Oktober statt) bestehen: Ihr Problem ist ja eher, dass sie zu viele Details kennt und von Normalbürgern nicht verstanden wird. Doch der ebenso unberechenbare wie medienerfahrene Trump weiß, dass er einen besonderen Moment braucht: Es kann also "in tausend verschiedene Richtungen" gehen, wie sich Polit-Blogger Chris Cillizza freut. Langweilig wird es sicher nicht.

3. Es geht um Organisation und Mobilisierung. Da es im US-Wahlsystem darauf ankommt, die wichtigen swing states zu gewinnen (mehr in diesem SZ-Erklärstück), ist Planung ebenso wichtig wie Organisation. Hier ist Clinton im Vorteil: Sie sammelt mehr Spenden, gibt drei Mal so viel für Wahlkampfbüros aus. Außerdem arbeiten für sie Obamas beste Strategen und Daten-Nerds.

Mit deren Hilfe hat sie gute Chancen, die nötigen Stimmen von Schwarzen, Latinos, jüngeren Wählern sowie Uni-Absolventen zu bekommen. Um genug Demokraten zu mobilisieren, kann sie sich auf eine progressive "All-Star-Truppe" verlassen: Neben US-Präsident Barack Obama trommeln auch dessen Frau Michelle und die Senatoren Elizabeth Warren und Bernie Sanders für die 68-Jährige. Gleiches gilt für Ehemann Bill und Tochter Chelsea - und für quasi alle Stars und Sternchen aus Hollywood und aus der Popmusik. Als prominente Unterstützer für Donald Trump dürften neben seinem Vize Mike Pence wieder die erwachsenen Kinder (vor allem Tochter Ivanka) durchs Land reisen.

4. Wem nützt die "October Surprise"? Bis zum Wahltag wird viel Unvorhersehbares passieren. Wenn ein Thema dann für einige Tage alles bestimmt, ist im Washingtoner Polit- und Mediensprech von "October Surprise" die Rede. 2012 war dies vor allem Hurricane Sandy, der Mitt Romney aus den Schlagzeilen verdrängte, während sich Obama an der Seite des Republikaners Chris Christie als Krisenmanager präsentierte.

Naturkatastrophen oder Terroranschläge (im In- oder Ausland) können die Stimmungslage der US-Wähler ebenso beeinflussen wie neue Enthüllungen zu den diversen Skandalen, die mit Donald Trump und Hillary Clinton assoziiert werden. Die Demokraten haben mit Bangen eine Ankündigung von Wikileaks-Gründer Julian Assange registriert, "noch viel mehr Material" aus den gehackten E-Mails der Demokraten zu veröffentlichen.

5. Die Amerikaner mögen keinen der Kandidaten. Wenn im November auf den Wahlzetteln die Option "Keiner von beiden" stünde, spottete das konservative Wall Street Journal neulich, dann hätten Clinton und Trump keine Chance. Die Zeitung zitierte Umfragen, wonach nur jeder dritte Befragten die Demokratin positiv beurteile - beim Republikaner Trump ist es nicht mal jeder Vierte (24 Prozent). Und beim Jahreskongress der US-Politikwissenschaftler in Philadelphia witzelte ein Teilnehmer: "Wenn Gott gewollt hätte, dass wir wählen, dann hätte er uns bessere Kandidaten gegeben."

Dass die Bewerber des Jahres 2016 von vielen als "unehrlich" (mehr zu Hillary Clintons E-Mail-Skandal und der Familienstiftung) beziehungsweise als aufbrausend (Trumps Streit mit der Soldaten-Familie Khan) und fremdenfeindlich (Trumps Aussagen über Latinos) wahrgenommen werden, ist hinlänglich bekannt. Also dominieren im Wahlkampf Beschimpfungen, Attacken und Anklagen: Das Argument, der Kandidat der Gegenseite bringe die USA an den Rand des Untergangs, nutzen sowohl Demokraten als auch Republikaner.

Diese Dämonisierung hat weitreichende Folgen: Wer immer Obama im Weißen Haus nachfolgt, wird es schwer haben, mit den Abgeordneten der anderen Partei zusammenzuarbeiten. Da das Polit-System der USA nur selten deutliche Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus zulässt, spricht viel dafür, dass die Spielräume des 45. US-Präsidenten begrenzt bleiben.

Linktipp: Die Washington Post hat in allen 50 Bundesstaaten die Wähler befragen lassen - die mitunter erstaunlichen Ergebnisse (Clinton ist in Texas knapp hinter Trump) sind hier nachzulesen.

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