US-Präsident zur NSA-Affäre:Wie Obama die Maßstäbe verschiebt

Barack Obama zeigt Verständnis für die deutschen Ängste, doch er übersieht einen entscheidenden Punkt: Die Gefahr der NSA-Programme liegt nicht in ihrem Missbrauch, sondern in ihrer Logik. Weil der US-Präsident sie kritiklos übernimmt, macht er den Eingriff in die Privatsphäre salonfähig.

Ein Kommentar von Johannes Kuhn

Barack Obama hat alle wichtigen Fragen gestellt: Was bedeutet es für unsere Privatsphäre, wenn mehr und mehr Informationen digital gespeichert werden? Was heißt das für die Arbeit der Geheimdienste - vor allem für die der amerikanischen, die hier über "erheblich größere Fähigkeiten" als andere Länder verfügen, wie er offen zugab?

Die Antworten des US-Präsidenten fielen aus europäischer Sicht leider auch in seinem ZDF-Interview unbefriedigend aus. Der Schutz der Privatsphäre benötige ein "Update", seine Vorschläge zu Änderungen der Geheimdienstpraxis seien "der Anfang, nicht das Ende der Diskussion". Ähnliches hatte er es bereits in seiner Rede formuliert.

Die Wahrheit ist: Barack Obama hat sich entschieden. Für die Logik der NSA. Weil er, daran lässt er keinen Zweifel, von Arbeit und Ethik seiner Geheimdienste überzeugt ist. Und weil er der Geisteshaltung des Anti-Terror-Kampfes, die er einst überwinden wollte, nicht entkommen kann: Nach dieser ist im 21. Jahrhundert das Bedürfnis nach absoluter und uneingeschränkter Sicherheit zentraler Bestandteil der Freiheit westlicher Demokratien.

Wie diese Sicherheit zu gewährleisten und was für sie relevant ist, bestimmen weiter NSA und Co. - der Rahmen, den Obama ihnen für die Auslandsspionage gegeben hat, ist groß und lässt Spielraum. Vor allem aber enthält er die Geheimdienst-Definition von digitaler Privatsphäre: Nicht das schrankenlose Sammeln persönlicher digitaler Informationen überschreitet demnach die Grenze zwischen Recht und Unrecht, sondern nur die ungerechtfertigte Auswertung der Datenmassen.

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US-Präsident Barack Obama während seiner Rede am Freitag.

(Foto: AFP)

Abhängig von Obamas Versprechen

Das Grundverständnis, was digital schützenswert und unkompromittierbar zu sein hat, war in der westlichen Welt bis dato ein anderes. Aus "Meine Daten sind sicher" wird "Meine Daten sind sicher, weil die NSA verantwortlich handelt". Damit einher geht die Erkenntnis: Die Achtung der kommunikativen Privatsphäre ist nicht an deutsche Gesetze, sondern an Fähigkeiten und Kontrolle internationaler Geheimdienste gebunden.

Natürlich wäre es naiv, von der US-Regierung Maßnahmen zum Schutz deutscher Grundrechte zu erwarten. Diese hätten zudem nichts an der Tatsache geändert, dass der digitale Lebensraum für sämtliche Geheimdienste ein wichtiges Ziel ist. Auch und gerade in solchen Ländern, in denen Kontrollinstanzen keine Rolle spielen - aber ebenfalls für die Mitglieder der Europäischen Union, inklusive Deutschland.

Rüstungswettkampf in digitaler Überwachung

Doch mehr als vage Versprechen, die Bitte um Vertrauen und die Simulation einer Debatte hätte er vorlegen können. Mit seiner Haltung hat Obama den internationalen Rüstungswettkampf in digitaler Überwachung quasi offiziell eröffnet. Der Schaden dürfte größer sein als das, was seine Kontrollmaßnahmen reparieren.

"Ostdeutschland zeigt uns, was passiert, wenn ein großer Überwachungsstaat existiert und er sich gegen seine eigenen Bürger wendet", sagte der US-Präsident im ZDF. Und warb für die Existenz einer Überwachungsmaschine, die weltweit agiert und in bislang nie gekanntem Ausmaß Informationen sammelt. Dies ist ein Widerspruch - und sollte es auch bleiben.

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