Süddeutsche Zeitung

US-Präsident und Öffentlichkeit:Obama in Gefahr

Als erster amtierender US-Präsident wird Obama in einer Talkshow auftreten. Er macht wieder Wahlkampf - weil er muss. Um seine ehrgeizige Agenda durchzusetzen, braucht er die Öffentlichkeit auf seiner Seite.

Reymer Klüver

Am Donnerstag wird Barack Obama bei Jay Leno auftreten. Ein amtierender amerikanischer Präsident in einer Late-Night-Talkshow - das hat es noch nie gegeben. Ungewöhnliche Zeiten scheinen ungewöhnliche Mittel zu erfordern. Dafür war Obama immer gut.

Der Auftritt ist Teil einer aggressiven Marketing-Strategie. Organisationen wie die linke Lobbygruppe MoveOn.org haben dieser Tage eine millionenschwere Anzeigenkampagne gestartet und werben für Obamas Pläne. Seit dem Wochenende hat Obamas einstige Wahlkampforganisation, die sich nun Organizing for America nennt, 13 Millionen E-Mails verschickt. Darin werden alle Freunde gebeten, ihren Wahlkreis-Abgeordneten im Kongress anzurufen und ihn daran zu erinnern, wie wichtig es für Amerika sei, dass der neue Präsident seine Ziele verwirklichen könne. Nach zwei Monaten im Amt macht Obama schon wieder Wahlkampf: Er kämpft um sein politisches Programm.

Was als langfristige Strategie angelegt war, ist über Nacht zur tagesaktuellen Notwendigkeit geworden. Der Frust über die Bonuszahlungen für die Manager des maroden Versicherungsgiganten AIG, den es ohne eine aus Steuermitteln finanzierte Stützungsaktion gar nicht mehr gäbe, droht Obama und seine Leute einzuholen. Noch ist der Präsident populärer, als es seine Vorgänger zum gleichen Zeitpunkt in ihrer Amtszeit waren. Mehr als drei Fünftel aller Amerikaner geben ihm ihre Zustimmung. Aber die Stimmung kippt.

Ausgerechnet die Finanzmanager von AIG, die zum großen Kladderadatsch beitrugen, haben nun Millionenzulagen kassiert - das macht Obamas ohnehin prekäre Lage noch schwerer. Die Milliardenausgaben für die Banken und Finanzfirmen waren schon bisher nicht gerade populär in den USA. Bis jetzt aber ging Obamas Doppelstrategie auf. Zum einen zeigte er Verständnis für den Groll seiner Landsleute über die Unsummen zugunsten der Wall Street. Zum anderen verwies er darauf, dass es keine Alternative gebe: Die Milliarden würden am Ende den Durchschnittsamerikanern helfen, weil die Stützungszahlungen viel größere Pleiten oder gar den Zusammenbruch des Finanzsystems insgesamt verhinderten.

Das galt gestern, bevor die Wut über die verlorenen Millionen für die AIG-Manager hochkochte. So lange Obama keinen Weg findet, sie zur Rückgabe der Bonus-Zahlungen zu bewegen (und wie sollte ihm das gelingen?), wird er keinen Cent mehr vom Kongress bekommen für eine weitere Milliarden-Spritze zur Rettung des Finanzsystems. Ein zweites Konjunkturprogramm? Könne er vergessen, heißt es im Kongress. Der 3,6-Billionen-Dollar-Haushalt für 2010? Wäre schon Makulatur. Vor allem die großen, aber teuren Pläne, die Gesundheitsreform, die Wende in der Klimapolitik, die Bildungsreform - hätte sich alles erledigt. Im Kongress würde sich sofort die große Koalition der Verweigerer zusammenfinden: die Republikaner, die ihn ohnehin scheitern sehen wollen, und zahlreiche Demokraten, die ob der öffentlichen Empörung über die fehlgeleiteten Steuergelder um ihre Wiederwahl fürchten müssen. Obamas ambitioniertes Reformprogramm steht auf der Kippe.

In der Sache AIG hat der Präsident tatsächlich Fehler zu verantworten. Bisher ist Obama die Antwort schuldig geblieben, warum er oder sein als Wunderknabe annoncierter Finanzminister Timothy Geithner nicht früher gehandelt haben. 170 Milliarden Dollar hat AIG schon aus der Steuerkasse erhalten. Weitere 30 Milliarden stehen an. 80 Prozent der Unternehmensanteile sind im Bundesbesitz. Und da soll es Washington nicht möglich sein, Millionen-Geschenke für Manager zu stoppen?

Der Hinweis, dass die Vereinbarungen mit AIG noch von der alten Regierung getroffen wurden, dass es sich also um eine stinkende Hinterlassenschaft von George W. Bush handelt, verfängt nicht: Der Großteil der Boni wurde vergangene Woche ausgezahlt. Da hätten die Neuen Zeit genug gehabt, sich etwas auszudenken. Und sei es, dass die Obama-Truppe die Öffentlichkeit mobilisiert und den Zorn geschürt hätte - das kann sie ja besonders gut.

Obama weiß, dass er nur mit Hilfe der Öffentlichkeit regieren kann. Trotz der Mehrheiten der Demokraten im Kongress kann er sich nicht auf seine Parteifreunde verlassen. Das hat ihn der Streit der vergangenen Wochen um den aufgeblähten Nachtragsetat gelehrt. Da dachten alle Abgeordneten nur an ihre Projekte und scherten sich nicht darum, die von ihrem Präsidenten geforderte Haushaltsdisziplin einzuhalten.

Obama kann sein ehrgeiziges Programm gegen die Einzelinteressen im Kongress nur durchsetzen, wenn er die Öffentlichkeit auf seiner Seite weiß. Diese Regierungsform - sozusagen die Herrschaft per indirektem Plebiszit, des permanenten Wahlkampfs - hat einen entscheidenden Haken: Sie funktioniert nur, solange Obama sich der öffentlichen Meinung wirklich sicher sein kann. Auch deshalb ist der Streit um die Managerzulagen so wichtig. Obama muss ihn für sich entscheiden. Sonst ist seine politische Autorität schwer beschädigt, kaum zwei Monate nach Amtsantritt.

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Quelle:
SZ vom 19.3.2009
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