Es ist nicht so, dass es in diesem Wahlkampf an Diskussionsstoff mangeln würde, ganz im Gegenteil. Und doch ist nun ein weiteres Thema hinzugekommen, keine 48 Stunden vor der ersten TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden. Auf den Tisch gebracht hat es die New York Times, mit einer großen Recherche, die sie am Sonntagabend veröffentlichte. Darin berichtet die Zeitung über Trumps Steuerunterlagen, in deren Besitz ihre Reporterinnen und Reporter gelangt sind. Sie zeigen, dass der US-Präsident entweder äußerst geschickt und skrupellos darin ist, Steuern zu vermeiden - oder dass er ein ziemlich erfolgloser Geschäftsmann ist.
Konkret soll Trump im Jahr 2016, als er erstmals für die Präsidentschaft kandidierte, gerade einmal 750 Dollar an Einkommensteuern auf Bundesebene bezahlt haben. In seinem ersten Amtsjahr als Präsident betrug seine Steuerrechnung erneut nur 750 Dollar. Zuvor hatte der milliardenschwere frühere Immobilienunternehmer in zehn von 15 Jahren überhaupt keine Einkommensteuern auf Bundesebene bezahlt. Zum Vergleich: Der durchschnittliche US-Steuerzahler überwies laut der Nachrichtenagentur AP im Jahr 2017 etwa 12 200 Dollar an die Steuerbehörden - 16 Mal so viel wie Trump.
Zustande kamen diese Steuerrechnungen, weil Trump hohe Verluste und Abschreibungen in verschiedenen Geschäftsbereichen geltend machte. Laut New York Times schreiben viele von Trumps Unternehmen Verluste, darunter auch mehrere der Golf-Resorts, die der Präsident unter seinem Namen vermarktet. Zudem soll Trump eine Steuergutschrift in Höhe von 73 Millionen Dollar erhalten haben, die inzwischen allerdings Gegenstand eines Rechtsstreits mit der Steuerbehörde IRS ist. Die Abschreibungen umfassen auch Beraterhonorare, die Trump für seine Tochter Ivanka geltend machte. Zudem soll Trump Kosten von 70 000 Dollar für sein Haarstyling während der TV-Sendung "The Apprentice" abgezogen haben.
Seit Jimmy Carter haben alle Präsidenten ihre Steuererklärungen veröffentlicht
In ihrem Bericht schreibt die New York Times, sie habe die Steuerunterlagen von Quellen erhalten, die auf legale Weise Zugang dazu erhalten hätten. Es gehe der Zeitung bei der Veröffentlichung darum, für Transparenz zu sorgen, so Chefredakteur Dean Baquet. Trump weigert sich seit bald fünf Jahren, seine Steuerunterlagen zu veröffentlichen. Es gibt kein Gesetz, das einen Präsidentschaftskandidaten verpflichtet, dies zu tun, doch sehr wohl eine Norm: Seit Jimmy Carter haben alle späteren Präsidenten ihre Steuererklärungen noch während ihres Wahlkampfes publiziert.
Der Präsident bezeichnete den Bericht in einer Medienkonferenz am Sonntagabend als "Fake News". Er habe "eine Menge" Steuern bezahlt, auch an den Bundesstaat New York. Trump wiederholte auch seine Behauptung, dass er seine Unterlagen nicht veröffentlichen könne, weil diese von der IRS immer noch geprüft würden. Trumps Steuererklärungen waren bereits im Wahlkampf vor vier Jahren Gegenstand von Kontroversen. Damals hatte der Republikaner in einer TV-Debatte mit seiner Gegnerin Hillary Clinton nicht bestritten, zeitweise keine Einkommensteuern bezahlt zu haben: "Weil ich schlau bin", wie er damals sagte.
Der Artikel der New York Times löste in Washington - wenig überraschend - einige Aufregung aus. Die Demokraten nahmen ihn zum Anlass, Trump zu kritisieren, und erneuerten ihre Forderung nach Klarheit über Trumps Steuersituation. Sie habe selbst als Barkeeperin Tausende Dollar an Einkommensteuern bezahlt, schrieb Alexandria Ocasio-Cortez, die 2018 für die Demokraten ins Repräsentantenhaus gewählt wurde, während Trump bloß 750 Dollar bezahlt habe. "Er hat weniger zur Finanzierung unserer Gemeinwesens beigetragen als Kellnerinnen und papierlose Einwanderer." Trump sei "ein wandelnder Betrug".
Millionen-Einkommen aus dem Ausland - auch als Präsident
Die Steuerunterlagen erneuerten aber auch den Fokus auf mögliche Interessenkonflikte des Präsidenten. Er hat sich auch nach seiner Wahl nie richtig von seinem Familienunternehmen gelöst. Laut der New York Times bezog Trump in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit 73 Millionen Dollar an Einkommen aus dem Ausland. Der größte Teil davon stammte von seinen Golf-Resorts in Schottland und Irland, daneben flossen ihm Millionen Dollar aus Lizenzverträgen auf den Philippinen und in der Türkei zu. Keine neuen Hinweise finden sich in den Unterlagen über mögliche Geschäftsbeziehungen Trumps zu russischen Kreisen, über die immer wieder spekuliert wird.
Laut den Unterlagen, aus denen die New York Times zitiert, haftet Trump zudem persönlich für Schulden in Höhe von 421 Millionen Dollar. Mehr als 300 Millionen Dollar davon würden in den kommenden vier Jahren fällig. Der Artikel zeichnet nach, wie Trump Einnahmen, die er aus seiner TV-Sendung "The Apprentice" erhielt, in verschiedene Hotelprojekte steckte, von denen viele allerdings kein Geld abwerfen. So kaufte Trump 2012 für 150 Millionen Dollar das Golfresort Doral in Florida und steckte anschließend weitere 213 Millionen in Investitionen. Trotzdem schrieb das Resort bis 2018 Verluste von 162 Millionen Dollar.
Eindeutig glücklich zeigte sich über den Artikel das Wahlkampfteam des Demokraten Joe Biden. Es dauerte nur wenige Stunden, bis in Bidens Webshop Aufkleber zu kaufen waren. Darauf steht: "Ich habe mehr Einkommensteuern bezahlt als Donald Trump".