US-Präsident stoppt Schild:Obamas Raketentest

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Der Verzicht auf das Raketenschild ist für US-Präsident Obama mit hohem politischen Risiko verbunden. Dass er es dennoch wagt, zeugt vom Mut des Präsidenten.

Paul-Anton Krüger

Seit Monaten war Barack Obama schon damit beschäftigt, einen politischen Drahtseilakt vorzubereiten. Im März, nur Wochen nach seinem Amtsantritt, fühlte der US-Präsident vorsichtig in Moskau vor, nun wagt er den nächsten Schritt.

Obama nimmt Abschied von jenem Rüstungsprojekt seines Vorgängers George W. Bush, das nicht nur zur größten Belastung für Amerikas Beziehungen zu Russland geworden war, sondern auch viele Verbündete in Westeuropa verprellt hatte: der geplanten Raketenabwehr in Osteuropa. Es zeugt von Mut, Risikobereitschaft und Entschlossenheit, dass der Präsident diesen Verzicht nun wagt, obwohl er für ihn mit einem hohen politischen Risiko verbunden ist.

So setzt Obama zunächst auch nur einen Fuß aufs Seil: Er legt die osteuropäische Komponente der Raketenabwehr aufs ewige Eis und begründet dies damit, dass die künftige Bedrohung durch Langstreckenraketen aus Iran nicht so akut sei wie bisher angenommen. Gegen die vorhandenen Geschosse mit kürzerer Reichweite aber kann man sich auch mit bereits erprobten Systemen wappnen.

Die sind viel billiger und weniger umstritten als die von Bush vorgesehenen zehn Abfangraketen in Polen und das Radarsystem in Tschechien. Mit dieser Entscheidung signalisiert Obama Russland, dass es ihm ernst ist mit einem Neuanfang der Beziehungen.

Das Projekt Raketenschild symbolisierte bis zuletzt die Zerrüttung zwischen Washington und Moskau, auch wenn der Streit realer Grundlagen entbehrte. Russland wusste, dass sich das System nicht gegen seine Atomraketen richtete, auch wenn die Regierung stets betonte, der Raketenschild gefährde das strategische Gleichgewicht. Obama setzt darauf, dass es Russland nun leichter fallen wird, einen neuen Vertrag zum Abbau der Nuklearstreitkräfte zu schließen. Damit möchte er seinem Ziel einer globalen Abrüstung Glaubwürdigkeit verschaffen - und den Atomwaffensperrvertrag stärken. Beides soll verhindern helfen, dass Iran sowie andere Länder oder gar Terroristen in den Besitz der Höllenwaffe kommen.

Die Botschaft an Teheran aber bleibt: Wir halten eure Raketen in Schach, wir sind nicht erpressbar, und keine iranische Rüstungsanstrengung ändert das. Auch Moskau hat ein Interesse daran, zu verhindern, dass die Bedrohung aus Iran wächst, und dieses Interesse könnte nun sogar größer werden - denn andernfalls könnten die USA die Schild-Pläne wiederbeleben. Dieses Druckmittel hat Obama nicht aus der Hand gegeben - zu Recht, denn der bereitwilligen Kooperation Moskaus kann er nicht sicher sein.

Zugleich hat der Präsident sich elegant aus den Fesseln herausgewunden, die ihm die Ideologen aus der Bush-Regierung noch kurz vor dem Machtwechsel anzulegen versucht hatten, indem sie Stationierungsverträge mit Prag und Warschau schlossen. Indem er sich auf die neue Bedrohungseinschätzung beruft, bleibt es ihm erspart, seinen Vorgänger bloßzustellen. Hätte er das System einfach in andere Länder verlegt, hätte das die Bush-Behauptung widerlegt, Polen und Tschechien seien die einzigen geeigneten Standorte, um Raketen aus Iran abzufangen.

Auch das Argument, die Abwehr sei zu teuer und ihre Wirksamkeit nicht erwiesen, wollte Obama nicht allein bemühen. Denn damit hätte er sich dem Vorwurf ausgesetzt, nicht alles zu tun für die Verteidigung des Landes. Den Protest der Konservativen, der gewiss kommen wird, könnte er dann noch schwerer abwehren.

Obamas größte Herausforderung aber wird sein: Er muss den Verdacht entkräften, er knicke gegenüber Russland ein. Das muss ihm nicht nur im Washingtoner Kongress gelingen, sondern auch bei den Verbündeten in Osteuropa. Sie fürchten, dass manche in Moskau das Abrücken von der Raketenabwehr als Zeichen der Schwäche missdeuten könnten und sich ermutigt fühlen, ähnlich wie in Georgien russische Interessen auch andernorts mit Panzern durchzusetzen.

Obama hat jedoch reichlich Möglichkeiten, mit dem Glauben aufzuräumen, vor allem der Raketenschild sei Gradmesser der Bündnistreue gegenüber Polen und Tschechen, die sich von der Stationierung von US-Soldaten eine Sicherheitsgarantie gegen Moskau versprachen.

Die USA könnten den Osteuropäern nun etwa lang erbetene Luftabwehrsysteme liefern, die tatsächlich einen Gewinn an Sicherheit bringen. Sie können in der Nato darauf hinwirken, dass Polen, Tschechen und andere sich des Beistands der Verbündeten versichert fühlen. Die Nato kann gemeinsame Manöver in diesen Ländern abhalten, wenn nötig auch Stützpunkte errichten. Auch sollte das Bündnis bei der Arbeit an seinem neuen strategischen Konzept und der Verteidigungsplanung die Bedrohungswahrnehmung der Osteuropäer berücksichtigen.

Genau dabei könnte auch die Bundesregierung dem US-Präsidenten helfen. Deutschland hat gute Beziehungen zum Kreml, es sollte sich als wichtigster Nachbar Polens und Tschechiens aber auch für deren Sorgen mit Blick auf Moskau zugänglicher zeigen. Obama wird seinen Aufbruch zu einer neuen, kooperativeren Außenpolitik nur schwer vollenden können, wenn Europa ihn nicht geschlossen dabei unterstützt.

© SZ vom 18.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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