US-Präsident Obama:Zweifel am Raketenschild

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Abkehr von Bushs Plänen: Die Hinweise verdichten sich, dass die neue US-Regierung vom Bau der Raketenabwehr in Osteuropa abrückt - auch wenn Polen das noch bestreitet.

Thomas Urban, Warschau

Das Weiße Haus in Washington will laut dem Bericht einer Warschauer Zeitung den Bau eines Raketenschildes in Polen und Tschechien nicht weiterverfolgen. Die linksliberale Gazeta Wyborcza berichtete am Donnerstag auf ihrer Titelseite, die Entscheidung für den Verzicht sei "praktisch schon gefallen".

In der Bevölkerung von Polen und Tschechien gibt es Widerstand gegen den Raketenabwehrschild. (Foto: Foto: Reuters)

Der US-Korrespondent des Blattes beruft sich dabei auf Informationen aus der amerikanischen Rüstungsindustrie. Der polnische Verteidigungsminister Bogdan Klich sagte hingegen, Warschau habe bislang keinerlei Anlass für die Annahme, dass Washington seine vertraglichen Verpflichtungen nicht einhalten werde. Ein Regierungssprecher in Washington nannte den Zeitungsbericht "unzutreffend".

Beide Seiten hatten im vergangenen Sommer einen Vertrag über den Bau von Stellungen für Abwehrraketen unweit der pommerschen Kreisstadt Stolp (Slupsk) geschlossen. In Tschechien soll das Leitradar für das System gebaut werden, das nach der offiziellen amerikanischen Darstellung Raketen aus "Schurkenstaaten", vor allem aus Iran, abfangen soll. Moskau hat wiederholt vehement gegen das Projekt protestiert.

Hauptquelle für den Bericht der Gazeta Wyborcza ist der amerikanische Rüstungslobbyist Riki Ellison, Vorsitzender der Missile Defense Advocacy Alliance, einer mehrere tausend Mitglieder zählenden Gruppe zur Unterstützung der Raketenabwehr. Ellison hat nach eigenen Worten in der vergangenen Woche an einer Konferenz über den Raketenschild in Huntsville im US-Bundesstaat Alabama teilgenommen.

Aus den Aussagen von hohen Vertretern des amerikanischen Verteidigungsministeriums und der US-Streitkräfte könne nur geschlossen werden, dass Washington sich von dem Projekt mit den Stützpunkten in Polen und Tschechien verabschiedet habe, sagt er. Die Gazeta Wyborcza zitiert Ellison: "Die ausgesendeten Signale der Generäle des Pentagons sind absolut klar: Diese US-Regierung sucht in der Frage der Raketenabwehr andere Lösungen."

Nach seinen Worten erwähnten die Regierungsvertreter weder Polen noch Tschechien auch nur ein einziges Mal. Laut US-Medien arbeitet die Rüstungssparte von Boeing an einem mobilen Raketenschild, der feste Silos überflüssig machen würde, wie sie in Polen geplant sind.

Der Kommentator des Warschauer Blattes sieht in den Informationen aus Washington einen weiteren Beleg dafür, dass derzeit die Beziehungen zwischen den USA und Polen so schlecht wie nie seit der Wende von 1989 seien. Polen spiele in den strategischen Überlegungen von US-Präsident Barack Obama keine Rolle, doch dürfe es Warschau nicht hinnehmen, dass die Interessen der ehemaligen Ostblockstaaten, die nun der Nato angehören, zu wenig Berücksichtigung finden.

Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass Obama Rücksicht auf Moskau nehme. Dieselbe Vermutung äußerte Ellison. Die Spezialisten Obamas für das Projekt setzten sich nach Ellisons Worten dafür ein, dass die Abfangraketen auf Schiffen sowie in Israel, der Türkei und auf dem Balkan aufgestellt werden.

In Polen war der geplante Raketenschild zunächst sehr umstritten gewesen. Bei Umfragen sprachen sich bis zu zwei Drittel dagegen aus. Hingegen forcierten Staatspräsident Lech Kaczynski und sein Zwillingsbruder Jaroslaw, der von 2006 bis 2007 die Regierung führte, das Projekt, das sie noch aus der Regierungszeit der postkommunistischen Sozialdemokraten geerbt hatten.

Nach der Wahl des Liberalkonservativen Donald Tusk zum Premierminister im Herbst 2007 gerieten die Verhandlungen indes ins Stocken. Das Kabinett Tusk setzte offenbar darauf, eine endgültige Entscheidung bis nach den Präsidentenwahlen in den USA im November 2008 hinauszuzögern.

Doch mit dem russischen Einmarsch in Georgien im vergangenen August kippte die Stimmung in Polen: Vertreter fast aller Parteien sowie die meisten Medien sprachen sich nun für einen raschen Vertrag über die Stationierung des Raketenschildes aus. Das Hauptargument lautete, durch die Stationierung von Amerikanern in Polen würde die Sicherheitslage des Landes erheblich verbessert.

Kritiker wenden ein, dass Polen durch eine Stationierung der US-Abwehrraketen selbst Ziel terroristischer Attacken werden könne. Auch würde Russland Mittelstreckenraketen im Bezirk Kaliningrad (Königsberg) aufstellen, unmittelbar hinter der Nordgrenze Polens.

Die US-Botschaft in Warschau wollte zum Bericht der Gazeta Wyborcza keine Stellung beziehen. Obama hatte nach Regierungsantritt im Januar eine Überprüfung des Projekts angekündigt, das sich das Weiße Haus nach Meinung von Experten auch wegen der immensen Kosten derzeit nicht leisten möchte.

© SZ vom 28.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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