US-Präsident:Obama zerpflückt konservativen Angst-Wahlkampf

  • Barack Obama nutzt seine Rede zur Lage der Nation, um Aussagen konservativer Präsidentschaftskandidaten zu widerlegen.
  • Wer an seiner Ernsthaftigkeit im Kampf gegen den IS zweifle, der solle an das Schicksal von Osama bin Laden denken.
  • Er appelliert an die versammelten Senatoren und Abgeordneten, den Stillstand in Washington zu überwinden.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Barack Obama wollte alle überraschen. Als "nicht traditionell" hatten Berater seine letzte "Rede zur Lage der Nation" angekündigt und wirklich: Diese Ansprache ist anders. Dass der US-Präsident die Bilanz seiner siebenjährigen Amtszeit verteidigt, überrascht nicht. Doch der Demokrat nutzt die Bühne des US-Kongresses, um zu Beginn des Wahlkampfjahrs 2016 die Sprüche und Aussagen diverser konservativer Präsidentschaftskandidaten zu widerlegen.

Ohne Donald Trump beim Namen zu nennen, arbeitet sich Obama vor allem am streitbaren Immobilien-Milliardär ab, dessen Haltung schlicht "unamerikanisch" sei. "Wenn Politiker Muslime beleidigen, dann macht das unser Land nicht sicherer. Das hat nichts mit 'Ich sage, wie es ist' zu tun. Es ist einfach falsch. So etwas schadet unserem Ansehen in der Welt und ist Verrat an dem, was wir als Land sind", ruft Obama. Es sind Sätze, wie sie auch die demokratischen Kandidaten Hillary Clinton und Bernie Sanders ständig wiederholen.

Der 54-Jährige wirkt entspannt und selbstbewusst, als er ans Podium tritt. Er kündigt an, sich kurzzufassen: "Einige von euch sind ganz hibbelig, um wieder nach Iowa zu kommen." Er gebe gerne später Tipps für den Wahlkampf, frotzelt der Demokrat. Doch an diesem Abend will der Präsident nicht wie üblich eine Liste an Vorschlägen abarbeiten - die im republikanisch kontrollierten Kongress niemals eine Mehrheit finden werden und damit dead on arrival sind.

Also spricht Obama in den folgenden 58 Minuten vor allem über die Zukunft - und die sei äußerst positiv für die USA. Obama ruft sein Volk auf, optimistisch zu bleiben. Amerika habe viele Veränderungen erlebt: Kriege, Wirtschaftskrisen, enorme Zuwanderung sowie viele Kämpfe für mehr Bürgerrechte und bessere Löhne, so Obama. Stets hätten Leute vor der Zukunft gewarnt und Angst verbreitet - und hätten damit keinen Erfolg gehabt. "Wir haben diese Ängste überwunden, neu gedacht und gehandelt - und waren anschließend stärker als zuvor."

Diese Aussage ist als die erste von vielen Reaktionen auf die Panikmache der Republikaner im Allgemeinen und Donald Trump im Besonderen zu verstehen, die seit Monaten über Amerikas Niedergang reden und Ängste vor Muslimen und anderen Minderheiten schüren. "Nichts als heiße Luft" sei das Gerede von einer schrumpfenden US-Volkswirtschaft, ruft Obama in Richtung der Republikaner.

"Die USA sind das mächtigste Land der Welt"

Und es sei auch falsch zu behaupten, dass "die USA schwächer und unsere Feinde stärker" werden würden, ruft Obama. "Die USA sind das mächtigste Land der Welt. Mit weitem Abstand", fährt er fort. Doch dieses Gefühl haben immer weniger Amerikaner. Denn ohne Zweifel ist die Nation, an die sich Obama an diesem Abend wendet, wütend und ängstlich.

Die US-Bürger sind sauer auf jene Abgeordneten in Washington, die sich ihrer Meinung nach mehr um ihre Karriere kümmern als um die Sorgen der Wähler. Und sie fürchten einen Terroranschlag so sehr wie seit den Anschlägen von 9/11 nicht mehr: 44 Prozent halten eine weitere Attacke in naher Zukunft für "sehr wahrscheinlich".

Zur allgemeinen Verunsicherung trägt auch bei, dass US-Präsident Obama bisher nicht die richtigen Worte gefunden hat, um die Bürger zu beruhigen. Die Dschihadisten des Islamischen Staats hatte er anfangs als "Junior-Team" bezeichnet und kurz vor den Pariser Anschlägen sprach Obama davon, dass der IS "eingedämmt" sei. An diesem Abend gibt sich der US-Präsident unversöhnlich: "Das sind Killer und Fanatiker, die aufgestöbert, gejagt und zerstört werden müssen." Wer an seiner Ernsthaftigkeit zweifle, der solle an das Schicksal von Osama bin Laden denken.

Wieso Obama zu Reformen des politischen Systems aufruft

Die eigentliche Bedrohung seien heute instabile Staaten, in denen Terrorgruppen wie al-Qaida und der IS gedeihen können. Erneut betont er, dass der Islamische Staat "keine existenzielle Bedrohung" für die USA darstellen würde. Es helfe nur der IS-Propaganda, wenn Politiker davon reden würden, dass die Dschihadisten "eine der größten Religionen der Welt" repräsentierten. Das Getöne mancher Republikaner über einen "Dritten Weltkrieg" (Chris Christie) oder die Ankündigung von "Flächenbombardements" über syrischen Städten (Ted Cruz) sei völlig kontraproduktiv.

Bei aller Deutlichkeit von Obamas Worten: Im polarisierten und emotionalen Polit-Klima der USA dürften nur wenige Republikaner plötzlich ihre Meinung über Obamas Anti-Terror-Politik ändern. Doch der Präsident denkt wohl an die vielen swing voters, die keiner Partei angehören und deren Stimmen jede Wahl entscheiden.

Obama zählt Fortschritte der vergangenen sieben Jahre auf

Ohne Selbstlob kommt eine "State of the Union"-Rede nicht aus und so referiert Obama voller Selbstbewusstsein, was sich in den USA seit dem 20. Januar 2009 verbessert hat: 18 Millionen Amerikaner sind dank Obamacare nun krankenversichert, 14 Millionen neue Jobs sind entstanden. Die Arbeitslosenrate sei nur noch halb so hoch - und der US-Autoindustrie gehe es so gut wie nie.

Vehement verteidigt Obama seine Klimapolitik ("Ihr könnt das gern weiter leugnen, aber dann werdet ihr einsam sein. Das US-Militär und 200 Staaten der Welt denken anders"). Und er will, dass die USA als erstes Land den Krebs als Krankheit bezwingen.

In dieser State of the Union-Rede verzichtet der 54-Jährige auf das Ritual, die Gäste in der Loge der First Lady zu begrüßen. Dies kommt überraschend, denn eine Woche, nachdem er im Alleingang etwas schärfere Regeln zum Waffenbesitz beschlossen hat, war der Stuhl neben Michelle Obama demonstrativ leer geblieben, um an die 30 000 US-Amerikaner zu erinnern, die jedes Jahr durch Schüsse getötet werden - und nun keine Stimme mehr haben würden.

Stattdessen wirbt er zum Ende der knapp einstündigen Rede nochmals um nationale Einigkeit und Kompromissbereitschaft. "Ich bedauere, dass das Misstrauen und die Verbitterung in meiner Präsidentschaft schlimmer geworden ist", sagt Obama. Dennoch appelliert er an die versammelten Senatoren und Abgeordneten, den Stillstand in Washington zu überwinden: "Viele von euch würden gern mehr zusammenarbeiten, aber ihr traut euch nicht, um die Wiederwahl nicht zu gefährden. Ich weiß das, weil ihr mir das gesagt habt."

Auch wenn Geld eine viel zu große Rolle in der Politik spiele und "eine Handvoll Familien" und Lobbygruppen die Wahlen finanzieren würden, sollten die US-Bürger nicht resignieren. "Es ist einfacher, in Zynismus zu verfallen und zu denken, dass Wandel unmöglich sei", ruft Obama. Gerade wegen der Schwächen im politischen System sei es wichtig, wählen zu gehen und sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

"Wir sollten uns zuallererst als Amerikaner ansehen"

Und in den letzten Minuten seiner letzten State of the Union ist Obama wieder jener Hoffnungsträger, der mit seinen inspirierenden Reden 2004 landesweit bekannt wurde und 2008 als Kandidat die USA und die halbe Welt verzauberte. "Wir sollten uns nicht zuerst als schwarz oder weiß betrachten, als homo- oder heterosexuell, als Demokraten oder Republikaner. Wir sollten uns zuallererst als Amerikaner ansehen."

Zum Schluss betont Obama, dass er überzeugt sei, dass die USA dank seiner optimistischen und weltoffenen Bürger in einer guten Verfassung seien: "Euretwegen blicke ich voller Zuversicht in die Zukunft. Weil ich an euch glaube." Den Glauben an Obama hat die konservative Hälfte Amerikas, die für den 44. Präsidenten vor allem Verachtung übrig hat, längst verloren. Doch in den Ohren jener Amerikaner, die ihn zwei Mal gewählt haben und seine Politik für richtig halten, dürften diese Sätze positive Erinnerungen auslösen.

Sie werden ähnliche Worte noch oft hören, denn auch in dieser Hinsicht war die "Rede zur Lage der Nation" alles andere als traditionell: Sie dürfte die Grundlage für viele Wahlkampfauftritte Obamas sein. Denn sein Erbe bleibt nur dann erhalten, wenn ihm wieder ein Demokrat oder eine Demokratin im Weißen Haus nachfolgt.

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