US-Präsident Obama und die Abrüstung:Vom Messias zum Macher

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Obama zeigt, dass er den Nobelpreis nicht nur fürs Reden erhalten hat: Die USA wollen künftig prinzipiell auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten - auch wenn das Land angegriffen wird.

W. Jaschensky

Barack Obama drückt aufs Tempo. Vor einem Jahr hat er in Prag seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt gezeichnet. Vor einem halben Jahr teilte das Nobelpreiskomitee mit, dass er nicht zuletzt deshalb den Friedensnobelpreis erhält.

Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Erst bringt der US-Präsident den ersten umfassenden Rüstungskontrollvertrag seit fast zwei Jahrzehnten auf den Weg, keine zwei Wochen später stellt er Amerikas Nuklearstrategie auf den Kopf. Und für kommende Woche hat er mehr als 40 Staats-und Regierungschefs zum Nukleargipfel nach Washington geladen. Der US-Präsident will seinen Kritikern zeigen, dass er den Visionen und Vorschusslorbeeren Taten folgen lassen kann.

Vor der offiziellen Vorstellung der neuen Nuklearstrategie skizziert Obama in einem Interview mit der New York Times, wie die Nuclear Posture Review aussehen soll. Erstmals verpflichten sich die USA demnach, keine Atomwaffen gegen Nicht-Atommächte einzusetzen, die sich an den Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen halten. Sogar dann, wenn die Vereinigten Staaten mit biologischen oder chemischen Waffen angegriffen werden.

Diese Bedrohungen will Obama künftig mit "einer Reihe abgestufter Optionen" begegnen, einer "Kombination aus alten und neuen konventionellen Waffen". Amerikanische Atombomben sollen nun nur noch Gegner von einem Angriff mit Nuklearwaffen abschrecken.

"Das ist ein entscheidender Schritt, um seinen Traum von einer atomwaffenfreien Welt näher zu kommen", sagt Oliver Thränert, Abrüstungsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik zu sueddeutsche.de. "Sie verschafft Obama eine enorme Glaubwürdigkeit bei seinem Anliegen."

In seiner berühmten Prager Rede hat Obama diesen Traum erstmals laut geträumt. "Als die einzige Weltmacht, die schon eine Atomwaffe eingesetzt hat, haben wir eine moralische Verpflichtung, zu handeln", rief Obama Zehntausenden Zuhörern zu, die auf dem Hradschiner Platz gekommen waren, um der Botschaft des US-Präsidenten zu lauschen.

Dass Obama diese moralische Verpflichtung ernst nimmt, hat er schon mit "New Start" bewiesen. "Mit diesem Abkommen senden die USA und Russland - die beiden weltgrößten Atommächte - ein klares Signal, dass wir führen wollen", sagte Obama, als er vor Journalisten die Einigung verkündete.

Die vereinbarten Einschnitte in die Atomwaffen-Arsenale sind nach Einschätzung von Experten zwar bescheiden, symbolisieren aber einen politischen Neustart. Seit die beiden Länder im Sommer 1991 mit dem Start-1-Vertrag Obergrenzen für strategische Atomwaffen und deren Trägersysteme festgelegt haben, hat sich an der Abrüstungsfront nichts Wesentliches getan.

Noch bevor Obama am Donnerstag zusammen mit dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew das Abkommen in Prag unterzeichnen wird, präsentiert der Friedensnobelpreisträger nun also die neue US-Nuklearstrategie. Obamas Kalkül ist, dass auch andere Staaten das Interesse verlieren, an Atomwaffen zu gelangen, wenn Amerika zeigt, dass es seine Sicherheit auch ohne nukleare Abschreckung gewährleisten kann.

Dass ein solch massiver Strategiewechsel nicht unumstritten ist, wird an einer Zahl deutlich: 150. So viele Treffen waren nötig, um Obamas Vision in ein Papier zu packen, wie ein Mitarbeiter des Präsidenten der New York Times verriet. Konservative Kritiker der Strategie fürchten, der Verzicht auf nukleare Abschreckung könnte die USA schwächen und zu einem leichteren Ziel für potentielle Gegner machen. In dem New-York-Times-Interview versucht Obama deshalb gleich, diese Ängste zu zerstreuen: "Ich werde alle Werkzeuge bewahren, die nötig sind, damit die amerikanischen Bürger sicher und sorgenfrei sind."

Doch eine defensivere Nuklearstrategie hat nicht nur Implikationen für die Sicherheit der USA. "Nukleare Abschreckung war selbst auch immer Instrument der Nichtverbreitungspolitik, da Alliierte und Partner so keine eigenen Kernwaffen zu ihrem Schutz bauen mussten", sagt SWP-Experte Thränert. Das Ergebnis dieser Bedenken ist eine wichtige Einschränkung in der neuen Strategie: Sie gilt nicht für "Außenseiter" wie Iran oder Nordkorea, die den Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen entweder verletzt oder abgelehnt haben.

Irans nukleare Ambitionen dürften zum Prüfstein für Obama werden. "Wenn Iran Atommacht wird, könnten Obamas Visionen schnell hinfällig werden", sagt Thränert. Die USA versuchen seit langem, im UN-Sicherheitsrat härtere Sanktionen gegen das Regime in Teheran zu erwirken, scheitern aber immer wieder an China. Vergangenen Donnerstag erklärte sich Peking nach monatelanger Weigerung immerhin bereit, Verhandlungen über neue Sanktionen gegen Iran aufzunehmen.

Kommende Woche wird Obama Gelegenheit haben, mit dem chinesischen Staats- und Parteichef Hu Jintao persönlich zu reden. Am 12. und 13. April kommen Staats-und Regierungschefs aus mehr als 40 Staaten zum Nukleargipfel nach Washington. Im Mittelpunkt des Gipfels steht die Frage, wie verhindert werden kann, dass Atomwaffen oder spaltbares Material in die Hände von Terroristen fallen.

Obama wird mit Hu aber wahrscheinlich auch über einen Regierungschef sprechen: Mahmud Ahmadinedschad. Viele Amerikaner halten Irans Präsidenten ohnehin für einen Terroristen.

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