Süddeutsche Zeitung

US-Präsident Obama in der Kritik:Der Enttäuscher

Seine Amtszeit dauert noch 44 Monate, doch die Steueraffäre um die Tea Party, die Bengasi-Kontroverse und die Bespitzelung von Journalisten fesseln US-Präsident Obama. Trotz seiner jüngsten Gegenoffensive werden ihn die Republikaner gnadenlos jagen. Viel schlimmer aber ist: Der US-Präsident hat die Glaubwürdigkeit verspielt, mit der er das Volk hinter sich versammeln wollte.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Washington

Das Bonmot stammt von Mark Twain, dem bis heute beliebtesten Schriftsteller der Nation. Ende April war's, als Barack Obama Anleihe bei Amerikas Idol nahm. "Gerüchte über mein Ableben mögen ein wenig übertrieben sein", spottete der Präsident. Er wollte, per Flucht in die Ironie, einem Schwall schlechter Nachrichten entkommen und bedeuten: Totgesagte leben länger! Nun, nur zwei Wochen später, schlagen die Wogen gleich mehrerer Skandale über dem Weißen Haus zusammen. Und es hat begonnen, was Obama neulich spöttelnd abtun wollte - sein politisches Ende.

Sicher, Obama bleibt noch 44 lange Monate im Amt. Aber schon heute ist absehbar: Diese Skandale werden ihn fesseln, ihn aller Gestaltungsmacht berauben. Der Präsident mag beteuern, nicht schuld daran zu sein, dass seine Steuerbehörde rechte Regierungsgegner diskriminierte. Dass er nichts davon wusste, dass sein Justizministerium Journalisten bespitzeln ließ. Oder dass er - trotz all der inzwischen offenbarten Propaganda seiner Mitarbeiter - nichts zu verbergen habe bei der Aufarbeitung des Terroranschlags auf das US-Konsulat in Bengasi. Dennoch, weil er als Präsident die letzte Verantwortung trägt, werden die Republikaner ihn als Ersten jagen. Dreieinhalb Jahre lang, gnadenlos und voller Lust.

Amerikanisches Ur-Misstrauen in jedwedes Regierungshandeln

So ähnlich würde es jedem Präsidenten ergehen. Für Obama jedoch sind die jetzt enthüllten Fehlurteile und Übergriffe seiner Beamten und Behörden ein doppelt lähmendes Gift. Denn erstens schüren sie - als Staatsaffären - mehr denn je das amerikanische Ur-Misstrauen in jedwedes Regierungshandeln. Republikaner schert das wenig. Die Demokraten aber, die weit mehr auf Regeln und Regierungsprogramme bauen, brauchen ein Mindestmaß an Zuversicht in Washingtons Kompetenz. Sonst können sie keine Politik, eben keinen Staat machen.

Zweitens kommt für Obama verheerend hinzu, dass die Skandale sein wichtigstes politisches Kapital ruinieren: die persönliche Glaubwürdigkeit. Das konservative Drittel Amerikas mag den Demokraten verabscheuen - aber Obama hat seine Wiederwahl mit Wohlwollen gewonnen: Millionen Amerikaner hegten bisher mehr Sympathien für den Mann als für dessen Politik. Jetzt geht es steil bergab.

Das trifft weit mehr als Obamas Image - es zerstört seine gesamte Strategie für die zweite Amtszeit. Denn dieser Präsident wollte nicht nur halbwegs populär sein und allzeit den Rückhalt seiner Landsleute spüren. Nein, Obama wollte - als Lehre aus der Agonie seiner ersten Amtszeit - gleichsam das Volk hinter sich scharen und gegen den Kongress regieren. Er wollte, getragen von hohen Sympathiewerten und gestählt vom Elan seiner Aktivisten, die Gesetzesblockade der Republikaner im Parlament durchbrechen. Die Angst vor den Wählern sollte die Republikaner endlich zu jenen Kompromissen zwingen, die sie seit mehr als vier Jahren verweigerten.

Dass dieser Plan aufgehen würde, war schon immer fraglich. Obamas erster großer Test, gewagt in nun vergangenen, noch rosigen Zeiten, scheiterte Mitte April kläglich. Der Senat blockierte einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des US-Waffenrechts - obwohl 90 Prozent der Bevölkerung in Umfragen ihr Einverständnis signalisierten, obwohl Tausende Obama-Anhänger eine Kampagne für die Reform versucht hatten. Die Chancen, mit derselben Strategie den Republikanern etwa einen Kompromiss zur Sanierung der Staatsfinanzen oder eine Modernisierung des Einwanderungsrechts abzutrotzen, standen stets schlecht. Jetzt sind sie gleich null.

Jeder Kompromiss in Washington gilt als Verrat

Der wahre Grund für dieses Fiasko liegt in Amerikas tiefer politischer Polarisierung. Das Land hat seine Mitte verloren, überall. In vielleicht noch zehn Prozent der Wahlkreise müssen die Abgeordneten tatsächlich den politischen Gegner von der anderen Partei fürchten; viel mehr Gefahr droht ihnen von (allzeit noch radikaleren) Gesinnungsgenossen bei der parteiinternen Vorwahl: Die predigen die reine Lehre, die geißeln jeden Kompromiss in Washington als vermeintlichen Verrat.

Die Überwindung dieser Spaltung, die Versöhnung des "roten" (republikanischen) und des "blauen" (demokratischen) Amerikas, hatte Obama zum Kern seiner politischen Mission erklärt. Das beflügelte seinen Aufstieg, deshalb stürzt er jetzt ab. Obama hat die Umstände, unter denen er regiert, nicht geschaffen - auch viele seiner 43, längst zu Legenden verklärten Vorgänger wären an Washingtons heutigen Zuständen gescheitert. Mag sein, dass überhaupt kein einzelner Präsident Amerikas Systemkrise zu überwinden vermag. Nur ist klar: Nummer 44 kann es nicht. Nicht mehr.

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Quelle:
SZ vom 16.05.2013
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