Süddeutsche Zeitung

US-Präsident mit Grundsatzrede:Obamas zu großes Versprechen

Der US-Präsident hat eine doppelte Rede gehalten. Barack Obamas Lobpreisung des "arabischen Frühlings" ließ tausend Blumen blühen. Zum Kernproblem der Region hingegen - dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern - mochte er keine Hoffnung säen. Da blieb Obama eiskalt: Jedes Adjektiv klang taktisch, kein Satz war neu, eine angeblich große Geste ist geltendes Völkerrecht.

Christian Wernicke

Amerikas Präsident hat gestern eine gelehrige Rede gehalten. Barack Obama würdigte den "arabischen Frühling", also jene Demokratiebewegungen, die so plötzlich wie heroisch die alten Diktatoren Nordafrikas und des Nahen Ostens herausfordern.

In fast rührenden Worten erinnerte der Amerikaner daran, wie all der Neuanfang mit der Tat eines einzelnen jungen Mannes begonnen hatte: Im Dezember 2010 hatte der tunesische Straßenhändler Mohammed Bouazizi sich aus Verzweiflung über die Willkür der Polizei mit Benzin übergossen, sein Leib wurde für Millionen Araber zur Fackel gegen die Unterdrückung.

Obama hat an diesem Donnerstag ein großes, wahrscheinlich zu großes Versprechen abgegeben. Seine Politik in der geschundenen Region soll Bouazizis Vermächtnis ehren und fortan beweisen, dass seiner Nation die Würde eines Händlers auf der Straße mehr am Herzen liegt als die Gunst der Tyrannen in den Palästen.

Um das einzulösen, wolle Washington den demokratischen Wandel auch in Ländern unterstützen, deren zweifelhafte Machthaber - wie in Bahrain oder im Jemen - treue US-Verbündete sind. Obendrein lässt Amerika Freiheit und Rechtsstaat in Arabien etwas kosten - neue Kredite winken, alte Schulden werden erlassen oder in Töpfe umgewandelt, aus denen dann Geld für mehr Bildung, neue Kleinunternehmen und Jobs fließt. Wunderbar.

Und doch, im letzten Drittel seiner 45 minütigen Rede verlor Obama sein historisches Timbre. Da sprach der US-Präsident vom Frieden zwischen Palästinensern und Israelis - und sein Auftritt verlor jeglichen Glanz. Jedes Adjektiv klang taktisch, kein Satz war neu.

Hier, im Ringen um eine Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser, mochte Obama keine neue Idee riskieren. Er mahnte die Israelis zu mehr Flexibilität, und er warnte die Palästinenser vor der Illusion, sie könnten demnächst in New York (per Mehrheitsvotum der Staatenwelt in der UN-Generalversammlung) schneller zu ihrem unabhängigen Staatswesen gelangen als durch zähe, ehrliche Verhandlungen mit Tel Aviv.

Israels Tabus geschluckt

Nur, wie es stattdessen weitergehen soll, das verschwieg der Orator. Wie eng die Grenzen des Denkens in Washington derzeit gezogen werden, zeigt ein Beispiel: Obamas Spindoktoren wollten als große Geste an die arabische Seite verstanden wissen, dass ihr Präsident die Grenzen von 1967 (also die Kartenlinien aus der Zeit vor Israels Besatzung von Gaza und Westjordanland) zum Ausgangspunkt für jeden Kompromiss machte. Das ist ein wenig Symbolsprache, aber vor allem eines: geltendes Völkerrecht.

Den harten Fragen ging Obama aus dem Weg: Wie wird Jerusalem geteilt, wo am Jordan sollen Millionen palästinensischer Flüchtlinge je ihre Heimat finden? Israel hat diese Themen zu Tabus erklärt, Obama schluckt's.

Ja, der neue, unruhige Nahe Osten birgt Gefahren. Viele Völker, oft als "arabische Straße" denunziert, können sich mit Israels Präsenz weit weniger anfreunden als jene Diktatoren, die sie bisher regier(t)en. Die blutigen Proteste vom vorigen Wochenende haben das erneut bewiesen.

Da ist es richtig, dass Obama etwa der Hamas-Bewegung und der mit den Islamisten jäh versöhnten Regierung in Ramallah abverlangt, endlich das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Aber das kann, das darf kein Grund sein, solange alle Friedensambitionen einzustellen.

Obamas Lobpreisung des "arabischen Frühlings" ließ tausend Blumen blühen. Zum Kernproblem der Region hingegen - minutenlang beredet, ohne wirklich etwas zu sagen - mochte der Präsident keine Hoffnung säen. Da blieb er eiskalt. Als herrsche Winter.

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