Süddeutsche Zeitung

US-Präsident hält Grundsatzrede:Obama, Kämpfer für den arabischen Frühling

Milliarden US-Dollar für Ägypten und Tunesien: Barack Obama umgarnt die islamische Welt. In einer neuen Grundsatzrede will der US-Präsident einen Marshall-Plan für die arabische Demokratiebewegung verkünden. Das könnte ihm Ärger mit Israel einbringen. Und die Zeit drängt.

Oliver Das Gupta

In Washington haben in diesen Tagen die Strippenzieher des Weißen Hauses einen Großauftrag. Fleißig streuen die spin doctors Details aus der Rede, die der US-Präsident Barack Obama an diesem Donnerstag zu den Umbrüchen in der arabischen Welt halten wird. Drei senior officials, deren Namen anonym bleiben, füttern die Medien, sie erläutern, erklären - und sie testen.

Einiges, was sie durchsickern lassen, kann man getrost auch als Versuchsballons betrachten, die sie in die Medienwelt steigen lassen, um zu sehen, wie die Reaktionen ausfallen. So etwas hilft dem Präsidenten, der diese Erkenntnisse wohl berücksichtigt und bis zuletzt an seinem Auftritt feilt.

Das Gerüst von Obamas Ansprache steht bereits: Der Präsident will die Demokratisierung der arabischen Welt mit vorantreiben - mit harten Dollars. Von der Unterstützung sollten zunächst Tunesien und Ägypten profitieren, denen andere Staaten wie Syrien, Libyen oder der Jemen folgen könnten, sagte ein US-Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur AFP. Ägypten und Tunesien seien als "positive Modelle" vorgesehen, zitiert CNN eine Quelle aus dem Weißen Haus, diese Erfolgsmodelle würden "Impulse" in anderen Staaten auslösen.

Allein Ägypten soll in den nächsten Jahren zwei Milliarden Dollar erhalten, eine Milliarde in Form eines Schuldenerlasses, eine weitere als Darlehen. Verschiedene Programme sollten damit finanziert werden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Man wolle der Region eine "breitere Basis des Wohlstands" ermöglichen, heißt es.

Das Ganze klingt nach einem neu aufgelegten Marshall-Plan, der unter anderen dem zerstörten Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Beine half. Obamas Leute nennen ein anderes historisches Vorbild: Das Projekt orientiere sich an den Erfahrungen mit dem Wandel im Osten Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. "Es handelt sich um den Beginn langjähriger Bemühungen", versicherte der namenlose Regierungsvertreter der AFP.

Obama wird den Quellen zufolge auch versuchen, uramerikanische Prinzipien wie das "Recht auf Selbstbestimmung, die Versammlungsfreiheit und den Respekt vor Menschenrechten" in seine Rede einzuflechten - und Parallelen zu den Zielen und Forderungen der Demonstranten in Kairo, Tunis und Bengasi ziehen.

Die US-Regierung räumt in Hintergrundgesprächen offen ein, dass die Zeit drängt: Washington steht seit langem in der Kritik, keine stimmige Haltung zu den Protestbewegungen in der islamischen Welt gefunden zu haben. Und vieles ist nach wie vor schwer vermittelbar: Lange stützte Washington Autokraten wie Ägyptens Langzeit-Staatschef Hosni Mubarak. Nach wie vor arrangiert man sich mit den demokratiefreien Golfstaaten wie Bahrain, wo die Obrigkeit aufmüpfige Bürger brutalstmöglich unterdrückt. Die US-Armee nutzt seit Jahren dortige Militärbasen und hofiert Bilderbuch-Potentaten wie den saudischen König.

Amerikas Politik in der Region sei "heuchlerisch", sagt etwa die ägyptische Bloggerin Gigi Ibrahim zu CNN und spricht aus, was wohl viele Muslime empfinden. Die USA seien nicht das Modell von Demokratie, das man anstrebe. Was auch immer Obama sagen werde, sei irrelevant, so die 24-Jährige Protestaktivistin, man baue eine Demokratie "von unten" auf.

Der Präsident muss also harte Arbeit leisten: Die Wirkung seiner respektablen Kairoer Rede von 2009, in der Obama für einen "neuen Beginn" der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der muslimischen Welt geworben hatte, ist längst verpufft.

Offenkundig ist: Wenn Obama Erfolg haben will in islamischen Ländern, muss die neue Ansprache über die von 2009 deutlich übertreffen: "Wenn es eine weitere Kairo-Rede wird", sagt Jordaniens Ex-Außenminister Marwan Muasher zu CNN, "dann: vergiss es." Obama müsse diesmal weit darüber hinausgehen.

In Washington weiß man um die hohen Erwartungen. Den "arabischen Frühling", der die politische Landschaft im Maghreb und Maschrek nachhaltig verändert, sieht Washington als flüchtige Chance: Ein Regierungsvertreter nennt ein "entscheidendes Zeitfenster" - und die USA seien gewillt, es zu nutzen.

Mit Pakistan und Afghanistan wird sich Obama wohl nur am Rande beschäftigen, wobei im Falle Pakistans Verteidigungsminister Robert Gates für den Präsidenten Vorarbeit leistete: Gates attestierte der politischen und militärischen Führung Pakistans, das Versteck von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden nicht gekannt zu haben - eine Äußerung, die die zuletzt arg lädierten Beziehungen zwischen Washington und Islamabad verbessern dürfte.

Den Tod Osama bin Ladens will Obama in seiner Rede erwähnen, Schwerpunkt werden aber andere Themen sein wie die weitere Entwicklung des Heiligen Landes. Obamas Versuche, den Friedensprozess erneut in Gang zu bringen, sind bislang gescheitert, vor wenigen Tagen gab sein Sonderbeauftragter George Mitchell frustriert auf.

Nun nimmt der Präsident einen neuen Anlauf: Einer der erwähnten Testluftballons der Spindoktoren tangiert den Nahostkonflikt. Es werde debattiert, ob der Obama Israels Grenzen von 1967 als Ausgangspunkt für neue Friedensverhandlungen nenne - dies würde neuen Druck auf Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bedeuten, der an diesem Freitag in Washington eintrifft. Die öffentlich gemachte Überlegung wird allerdings gleichzeitig abgeschwächt. In seiner Rede, so kolportiert die New York Times, plane Obama keine "amerikanische Blaupause" für Frieden im Nahen Osten.

Wie dringend es ist, den Friedensprozess wiederzubeleben, zeigte sich erst am Wochenende: Da protestierten aufgebrachte Araber an Israels Grenzen. Die nervösen Soldaten schossen - am Ende waren 20 Demonstranten tot.

Was passiert, wenn die nächste Demonstration nicht an der Grenze, sondern im Westjordanland stattfindet? Was passiert, wenn es Zigtausende sind, die auf die Straße gehen? Was, wenn sie friedlich, ohne Waffen, gegen die israelische Besatzung und die Siedlungspolitik protestieren?

Diese Frage stellt Martin Idyk, ein früherer US-Botschafter in Israel, in einem BBC-Artikel. Der Spitzendiplomat a. D. weist daraufhin, dass die UN-Vollversammlung womöglich im September die palästinensische Staatlichkeit anerkennen wird.

Dann wird sich Obama entscheiden müssen, so Indyk, ob er auf der Seite seines langjährigen und engen Alliierten Israel steht oder auf der Seite der Araber, die von den Vereinten Nationen anerkannt sind und friedlich auf der Straße für ihre Rechte demonstrieren.

So eine "explosive Situation" wie die beschriebene müsse Amerika verhindern, führt der Ex-Botschafter aus, und es gebe nur einen Weg, dies zu tun: "Zurück zu Friedensverhandlungen".

Obama ist also ein Getriebener, da helfen auch geschliffene Reden und das Werk von Spindoktoren wenig: Der Präsident wird von den Umwälzungen in der arabischen Welt geradezu gezwungen, den Friedensprozess in Nahost vehement und nachhaltig anzukurbeln - und Israel Zugeständnisse abzuringen. Dies gilt als ein denkbar schwieriges Unterfangen: Seit der palästinensischen Aussöhnung zwischen der moderaten Fatah mit der radikalislamischen Hamas, mauert Jerusalem.

Allerdings dringen auch aus Israel Stimmen, die daraufhin deuten, dass selbst die "Falken" im politischen Establishment den Zugzwang fühlen. "Die kommenden Tage", warnt etwa Dov Weissglas zur Zeitung Yediot Aharonot, sind die letzte Chance, Israels diplomatischen Niedergang zu stoppen". Dass Weissglas eine solch düstere Prognose abgibt, zeigt den Ernst der Lage, denn der Mann gilt nicht gerade als "Taube": Er war Büroleiter von Ariel Scharon, Israels beinhartem Ex-Premier.

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