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US-Präsident Barack Obama:Ein Sommer ohne Liebe

Zur Parlamentspause ist die Ernüchterung so groß, dass sich sogar Obama-Fans Hillary Clinton ins Weiße Haus wünschen. Der Präsident hingegen hat eine andere Strategie, um die Wahlen im November zu überstehen.

Christian Wernicke, Washington

Douglas Wilder zählt zu den ältesten Obama-Fans. Bereits zu Zeiten, da noch alle Granden der demokratischen Partei Hillary Clinton huldigten, warb der 79-jährige Ex-Gouverneur von Virginia dafür, besser den jungen Senator aus Chicago zum Präsidentschaftskandidaten zu küren. Wilders Wort hat Gewicht, schließlich schrieb dieser Enkel schwarzer Sklaven 1989 nationale Geschichte: Wilder war der erste Afroamerikaner, dem es gelang, per freier Wahl in einem Südstaat der USA das Amt des Gouverneurs zu erobern.

Nun macht der alte Herr wieder von sich reden. Sein Zögling Obama, so rät Wilder dieser Tage, müsse sich eiligst von Vizepräsident Joe Biden trennen - und stattdessen Hillary Clinton, seine einst schärfste Konkurrentin und derzeitige Außenministerin, zur Stellvertreterin machen. Denn ohne einen derartig spektakulären Personalwechsel drohe Obamas Wiederwahl 2012 zu scheitern. "Die berauschenden Tage der Amtseinführung sind vorbei", sagt Wilder, weil allen voran parteiunabhängige Wähler sowie die weiße Arbeiterschaft diesem Präsidenten den Rücken gekehrt hätten. "Ohne deren Unterstützung aber kann Obama nicht gewinnen", weiß Wilder. Allein Hillary vermöge ihn noch zu retten.

Der Präsident hütet sich, die Idee seines greisen Gönners zu kommentieren. Er weiß um die miese Stimmung im Land, er kennt die miserablen Zahlen seiner Demoskopen. Etwa diese: Wie unter Obamas zuletzt verhasstem Vorgänger George W. Bush erklären drei von fünf Amerikanern, ihre Nation drifte in die falsche Richtung. Nur noch 44,9 Prozent seiner Untertanen sind mit der Amtsführung des Staatsoberhaupts zufrieden.

Das ist fatal, denn schon im November lauern Kongresswahlen. Obama ahnt, dass die oppositionellen Republikaner erstarken werden. Und er weiß, dass er seinen schwächelnden Truppen kaum helfen kann. In US-Wahlkämpfen gilt die Faustregel, dass nur ein Präsident mit Popularitätswerten von über 50 Prozent den Kandidaten der eigenen Partei mehr Stimmen bescheren kann. Vorige Woche, beim trauten Lunch mit neun prominenten Demokraten im Weißen Haus, beteuerte er zwar, "alles zu tun", um deren politisches Überleben zu sichern. Nur könne das auch heißen, dass er sich besser verstecke. "Vielleicht wollt ihr ja gar nicht, dass ich zu euch in den Wahlkreis komme", zitiert ihn die New York Times.

Sämtliche Umfragen prophezeien den regierenden Demokraten am 2. November eine herbe Schlappe. Oder ein verheerendes Desaster. Robert Gibbs, der Sprecher des Weißen Hauses, räumte inzwischen offiziell ein, die Demokraten könnten ihre Mehrheit im (alle zwei Jahre neu zu wählenden) Repräsentantenhaus verlieren. Dann hätten die konservativen Republikaner fortan die Macht, in Washingtons Kongress jedes Gesetz zu blockieren und (per Ausgabensperre) die Regierung zu lähmen. Im Senat, wo stets nur ein Drittel der 100 Sitze zur Wahl stehen, dürfte die demokratische Mehrheit von derzeit 59 Stimmen zwar abschmelzen. Ein Machtwechsel im Oberhaus gilt aber als unwahrscheinlich - und wäre die komplette Katastrophe.

Obama, so titelt Washingtons Insider-Zeitung Politico zu dessen 49. Geburtstag, verlebe "einen Sommer ohne Liebe". Zwar mailten ihm am Mittwoch mehr als eine Million Landsleute per Mausklick ihre Glückwünsche. Aber zu all den Kaffeekränzchen und Grillpartys, mit denen Parteiaktivisten ihren Präsidenten landesweit feierten, kamen enttäuschend wenige Wähler.

Dabei kann sich die Bilanz seiner bisherigen Amtszeit sehr wohl sehen lassen. Der 44. Präsident brachte das größte Konjunkturpaket der US-Geschichte durch den Kongress, verschrieb seiner Nation eine fundamentale Gesundheitsreform und setzte strengere Regeln für die Finanzmakler an der Wall Street durch. Doch Obama verliert trotz dieser Triumphe - oder sogar wegen ihr. "Seine Siege sind beeindruckend, aber sie haben dazu geführt, dass so gut wie jeder über irgendetwas wütend ist", erklärt Jeffrey Jones vom Umfrage-Riesen Gallup das Paradoxon dieser Präsidentschaft. Die Rechte tobt wegen der explodierenden Staatsverschuldung und des neuen Zwangs zur Krankenversicherung, die Linke nimmt Obama derweil übel, dass er immer mehr US-Soldaten nach Afghanistan schickt.

Obama prägt das Land. Nur tut er das nicht immer so, wie sich dies der erste schwarze Präsident erträumt hatte. Seinetwegen, so belegt eine Studie des renommierten Pew Research Centers, fühlen heute mehr Amerikaner wieder konservativ als im ganzen vergangenen Jahrzehnt. Vor allem unabhängige Wähler, die Obama 2008 die entscheidenden Stimmen zum Sieg bescherten, rücken nach rechts: Ihre ideologische Distanz zu den Demokraten bemessen sie heute drei Mal so hoch wie den Abstand zu den Republikanern. Vor fünf Jahren hatte Pew noch ein völlig anderes Bild ermittelt: 2005 sagten Unabhängige, die Republikaner stünden ihnen ideologisch doppelt so fern wie die Demokraten.

Vor allem weiße Wähler, von denen derzeit nur 35 Prozent mit Obama zufrieden sind, tragen dazu bei, dass Amerikas Mitte sich nach rechts verschiebt. Das ist genau der Grund, weshalb Douglas Wilder, der schwarze Mann aus Virginia, nun Hillary Clinton als Wunderwaffe empfiehlt.

Obama setzt auf eine andere Taktik. Er will die eigenen Reihen hinter sich schließen. Also verschärft er den Ton gegenüber den Republikanern, die per Fundamental-Opposition nur alles zurückdrehen wollten. Das sei wie im Auto bei der Bedienung der Automatik: "D" wie Demokrat stehe für "Drive", also für vorwärts. Nur wer wie die Republikaner zurücksetzen wolle, schiebe den Schalter auf "R".

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SZ vom 05.08.2010/bavo
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