Süddeutsche Zeitung

US-Politik:Warum Tillerson noch in Trumps Diensten steht

Der US-Außenminister gilt als unfähig und nennt Trump einen "Trottel". Warum er noch immer im Amt ist: ein Erklärungsversuch.

Analyse von Thorsten Denkler, New York

Am Sonntag hatte US-Außenminister Rex Tillerson seine zweite Chance, die Sache mit dem "Trottel" geradezurücken. Der Sender NBC hatte Anfang Oktober berichtet, Tillerson habe den US-Präsidenten Trump nach einem Treffen im Juli einen "moron" genannt. "Trottel" ist eine der harmlosen Übersetzungen.

Das wäre an sich nicht ungewöhnlich. Trump ist durch eigenes Zutun zum Gespött vieler geworden. In den eigenen Reihen genauso wie im Rest des Landes. Aber von seinem Außenminister "Trottel" genannt zu werden, ist keine Kleinigkeit. Es ist durchaus besorgniserregend, wenn es in einer Supermacht wie den USA derartige Spannungen zwischen dem Präsidenten und seinem obersten Diplomaten gibt. Warum also ist Tillerson noch im Amt?

Zunächst zu dem, was aktuell passiert ist: Nachdem NBC die "Moron"-Geschichte veröffentlich hatte, tat Tillerson in einer eilig einberufenen Pressekonferenz zwei Dinge: Erstens: Er machte sehr deutlich, dass er nicht beabsichtigt habe, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Zweitens: Was seine Bezeichnung Trumps als "moron" angeht, sagte er, erst auf Nachfrage, er werde dieses Washingtoner Spiel nicht mitspielen. Und sei deshalb nicht gewillt, auf die Frage zu antworten.

Tillerson hat seine Wortwahl also nicht zweifelsfrei dementiert. Trump soll darüber außer sich gewesen sein. Tillerson schickte später noch seine Sprecherin vor. Die sagte, "moron" gehöre nicht zur Wortwahl Tillersons. Allerdings war sie selbst nicht dabei, als das Wort gefallen sein soll.

Immer wieder sagt Tillerson, er werde dieses Spiel nicht mitspielen

An diesem Sonntag nun Tillersons zweite Chance. Im Nachrichtensender CNN stand Tillerson Anchorman Jake Tapper Rede und Antwort. Auch er fragte, ob Tillerson seinen Chef einen "moron" genannt habe. Die Washington Post schreibt über Tillersons Versuche, Tappers Fragen dazu nicht zu beantworten: Tillerson habe sich "geduckt, getänzelt und Schritte zur Seite" unternommen, um einer klaren Antwort aus dem Weg zu gehen. Immer wieder sagte Tillerson, er werde dieses Spiel nicht mitspielen. Er wolle die Frage nicht noch mit einer Antwort adeln.

Seine Sprecherin Heather Nauert hatte er das Spiel allerdings durchaus spielen lassen. Als sich die Wogen um sein Nichtdementi nicht glätten wollten, schickte er sie vor, die "Moron"-Geschichte zu verneinen. Auf CNN hätte er jetzt nur wiederholen müssen, was er sie sagen ließ. Dass das nicht seine Sprache sei. Aber selbst das wollte Tillerson offenbar nicht. Jetzt ist wieder alles offen.

CNN-Mann Tapper erklärte Tillerson recht nachvollziehbar das Problem, das sich daraus ergibt: Wenn der Außenminister offenlässt, ob das Wort gefallen ist, dann hat er es entweder gesagt - was ein Beleg wäre für sehr ernste Probleme zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und seinem wichtigsten Minister. Oder er hat es nicht gesagt. Dann arbeiten im engsten Umfeld von Trump und Tillerson Leute, die beiden maximal schaden wollen. Auch keine gute Geschichte.

Es spricht allerdings einiges dafür, dass sich Tillerson und Trump inzwischen weit voneinander entfernt haben. Was soll ein Außenminister auch von seinem Chef halten, wenn dieser ihm via Twitter immer wieder Knüppel zwischen die Beine wirft? Als Tillerson Ende September in Asien unterwegs war, um mit China über Nordkorea zu reden, da meldete er am Samstag, es gebe mehr oder minder direkte Gesprächskanäle zu Nordkorea. Was zumindest Hoffnung machte, dass der verbale Krieg zwischen Nordkorea und den USA nicht zu einem heißen Krieg eskaliert. Am Sonntagmorgen, dem 1. Oktober, twitterte Trump dann: Tillerson solle sich die Energie sparen. Verhandlungen mit dem "kleinen Raketenmann" Kim Jong-un seien reine "Zeitverschwendung".

Bob Corker, der republikanische Chef des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, hält das Weiße Haus auch deswegen für einen "Kindergarten für Erwachsene". Darin seien alle nur damit beschäftigt, Trump unter Kontrolle zu halten. Und das wüssten auch die meisten Senatoren. Trump steuere das Land direkt in einen Dritten Weltkrieg, wenn niemand auf ihn aufpasse, sagt Corker. Dieser ist für gewöhnlich nicht für Alarmismus bekannt.

Corker könnte ein Schlüssel für die Frage sein, warum Tillerson noch im Amt ist

Kaum ein Senator hat der Darstellung offen widersprochen. Zuletzt hatte Corker Trump vorgeworfen, er könne nicht einfach den eigenen Außenminister "kastrieren", wie der es mit seinen Tweets getan habe. Corker könnte ein Schlüssel für die Frage sein, warum Tillerson noch im Amt ist.

Auf CNN sprach Tapper den Außenminister auf das "Kastrieren"-Zitat an. Dessen lapidare Antwort: "Ich habe das gecheckt. Ich bin völlig intakt." Sein Verhältnis zu Trump sei überdies völlig in Ordnung. "Am Ende des Tages fällt er die Entscheidungen", sagte Tillerson. "Ich gehe raus und gebe mein Bestes, um diese Entscheidungen umzusetzen."

Das allerdings dürfte nur die halbe Wahrheit sein. Seit seinem Amtsantritt am 1. Februar sieht sich Tillerson mit einem Vorgesetzten konfrontiert, der ihn immer wieder demütigt, ihm Kompetenzen entziehen und das Budget kürzen will. Dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-un will Trump erst mit "Feuer und Wut" begegnen, wie es die Welt noch nicht gesehen habe. Tillerson beschwichtigt, das seien nur starke Worte. Die US-Bürger könnten weiter ruhig schlafen. In seiner Rede vor den Vereinten Nationen Anfang September aber polterte Trump erneut. Er werde Nordkorea im Zweifel "völlig zerstören".

Damit nicht genug. Immer wieder lässt Trump kryptische Halbsätze fallen. Ein Fototermin mit hohen Militärs vorvergangene Woche. Es war nicht mehr als das Klicken der Fotoapparate zu hören. Trump sagte plötzlich, dies sei "die Ruhe vor dem Sturm". Auf die Nachfrage, was er damit meine, lächelte er vielsagend und antwortete: "Ihr werdet sehen." Alle Welt rätselte danach, was das nun wieder bedeuten könnte. Die einen sagen: Wenn die Sache etwas Gutes hat, dann die, dass Tillerson noch nicht hingeschmissen hat. Aus der Sicht von Bob Corker sind unter anderem Tillerson, Verteidigungsminister James Mattis und Stabschef John Kelly die Garanten dafür, dass nicht alles im Chaos versinkt.

Im America-First-Lager wird Tillerson argwöhnisch beäugt. Ganz offenbar teilt der ehemalige Öl-Manager nicht deren Sicht auf die Welt, dass nur ein isoliertes Amerika ein gutes Amerika sei. Dafür spricht, wie sehr Tillerson zusammen mit Kelly und Mattis dafür gekämpft hat, dass Trump das Atom-Abkommen mit Iran nicht sofort aufkündigt. Sondern jetzt erst dem Kongress eine Chance gibt, das Abkommen zu prüfen. Ohne internationale Zusammenarbeit, das hat Tillerson schon als Öl-Manager gelernt, geht es nicht.

Warum also hat Tillerson nicht längst hingeschmissen? Geld hat er genug. Und unter Trump sein Amt zu verlassen, das würde seiner ohnehin angeschlagenen Reputation eher helfen. Er macht seinen Job mehr "geht so" als brillant. Im Außenministerium sind Dutzende Führungspositionen nicht besetzt, weil sich niemand finden lässt, der unter Tillerson arbeiten möchte. Überall in der Welt finden sich vakante Botschafterposten. Unter Diplomaten wird gewitzelt, schlimmer als ein Tillerson im Amt des Außenministers wäre nur ein Zombie-Tillerson in diesem Amt. Was Tillersons Fähigkeiten angeht, da ist viel Luft nach oben.

Sicher ist nur, dass er - noch - nicht gehen will. Tillerson, Mattis und Finanzminister Steven Mnuchin sollen zur Absicherung gar einen politischen "Selbstmord-Pakt" geschlossen haben. Schmeißt Trump einen von ihnen raus, gehen auch die beiden anderen. Ein Verlust, den sich Trump kaum wird leisten können.

UN-Botschafterin Nikki Haley weiß sich durchzusetzen

Positiv formuliert könnte die Frage aber auch lauten: Hält Tillerson lange genug durch, um das Schlimmste zu verhindern? Denn wer weiß, wen sich Trump als dessen Nachfolger ausdenkt? Im Rennen etwa wäre seine UN-Botschafterin Nikki Haley. Die Frau weiß sich durchzusetzen. Sie würde beispielsweise lieber heute als morgen aus dem Atom-Abkommen mit Iran aussteigen. Ist Tillerson weg, hat sie freie Fahrt, die USA auf jenen isolationistischen Kurs zu führen, von dem Tillerson und andere Trump so gerade noch abhalten können.

Jetzt kommt Bob Corker wieder ins Spiel. Der lobt Tillerson in den Himmel und hat damit indirekt deutlich gemacht, dass er lieber einen unfähigen aber internationalistischen Tillerson in dem Amt sieht als eine isolationistische Nikki Haley. Tillerson scheint in seinen Augen unfähig und ein Glücksfall zugleich zu sein.

Als Chef des Auswärtigen Ausschusses reicht Corkers Macht weit genug, um eine Neubesetzung des Postens ewig in die Länge zu ziehen, wenn nicht gar unmöglich zu machen. In diesem Patt bewegt sich gerade niemand. Weswegen Tillerson länger im Amt bleiben könnte, als Trump und Tillerson selbst womöglich lieb ist.

Daniel W. Drezner, Professor für Internationale Politik an der Tufts University bei Boston, treibt das in den Fatalismus. In der Washington Post schreibt er: "Da stehen wir nun. Ich glaube, es wäre eine exzellente Idee, wenn Rex Tillerson zurücktreten würde. So dürfte auch Trump das sehen. Selbst Tillerson dürfte erkennen, dass die Idee ihre Vorzüge hat. Aber wahrscheinlich geht er nirgendwo hin. Amerikas Diplomatie wird weiter leiden."

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