US-Politik:So spielt Trump mit der Zukunft Hunderttausender Immigranten

  • Die Trump-Regierung lässt ein weiteres Programm zum Schutz von Immigranten auslaufen.
  • Mehr als 200 000 Salvadorianer sollen die USA innerhalb von 18 Monaten verlassen.
  • Prognosen zufolge könnten die Vereinigten Staaten dadurch auf ein Jahrzehnt gesehen 45 Milliarden Dollar an Wirtschaftskraft verlieren.

Von Thorsten Denkler, New York

Carlos Jiron bleiben nach der Entscheidung von diesem Montag nicht viele Optionen. Er kann in 18 Monaten die USA mit seiner Frau und seinen beiden in den Vereinigten Staaten geborenen Kindern verlassen. Und versuchen, in seiner alten Heimat El Salvador ein neues Leben zu beginnen. Oder er kann seine Kinder, die ja US-Bürger sind, zurücklassen und jemand anderem zur Obhut übergeben. Oder er geht - wie zigtausend andere - in die Illegalität.

Dass Carlos Jiron überhaupt vor dieser schweren Entscheidung steht, hat er US-Präsident Donald Trump zu verdanken. Das Programm, unter dessen Schutz Carlos Jiron bisher in den USA lebt, heißt TPS, Temporary Protection Status. Auf Deutsch etwa: vorübergehender Schutzstatus. Es garantiert Menschen Schutz, die vor Naturkatastrophen oder Bürgerkriegen in die USA geflüchtet sind oder zum Zeitpunkt der Katastrophe schon dort gelebt haben. Der frühere republikanische Präsident George Bush Senior hat den TPS 1990 eingeführt. Er garantiert Schutz vor Abschiebung, eine Arbeitserlaubnis und ermöglicht den Zugang zur Krankenversicherung.

Trumps Heimatschutzministerin Kirstjen Nielsen hat das Programm an diesem Montag für etwa 200 000 bis 250 000 Menschen aus El Salvador beendet, die seit 2001 unter TPS-Schutz stehen. Hinzu kommen deren etwa 190 000 Kinder, die seitdem in den USA geboren wurden. El Salvador ist 2001 von zwei schweren Erdbeben heimgesucht worden. Mehr als 600 Menschen haben ihr Leben verloren. Das Land wurde in weiten Teilen zerstört. Salvadorianer stellen die mit Abstand größte Gruppe von Menschen unter TPS-Schutz. Insgesamt profitieren davon derzeit noch etwa 325 000 Menschen aus 13 Staaten.

Wie der Name schon sagt, bietet das Programm per se keinen dauerhaften Schutz. Den Schutzstatus für Menschen aus El Salvador haben jedoch sowohl US-Präsident George W. Bush als auch sein Nachfolger Barack Obama immer wieder verlängert, zuletzt 2016. Die Begründung: Auch wenn sich das Land von den Folgen der Erdbeben relativ erholt hat, ist El Slavador heute kein sicherer Ort. Es gehört zu den gefährlichsten Staaten der Erde. Korruption und Drogenhandel haben es fest im Griff. Die Mordrate ist so hoch wie in kaum einem anderen Land. Es ist schon eine Meldung wert, wenn an einem Tag mal kein Mord registriert wird. Es ist zudem wirtschaftlich so am Boden, dass es auf das Geld angewiesen ist, das die in den USA lebenden Salvadorianer regelmäßig an ihre Verwandten nach Hause schicken.

Die jetzige Entscheidung war durchaus erwartet worden. Im November erst hat die Trump-Regierung den Schutzstatus für 60 000 Menschen aus Haiti aufgehoben, die nach einem verheerenden Erdbeben 2010 geflohen waren. Außerdem sollen sich 2500 Menschen aus Nicaragua auf den Weg nach Hause machen, die nach dem Hurrikan Mitch von 1998 Schutz gesucht hatten.

Die Interimsministerin für Heimatschutz, Elaine Duke, hatte allerdings den Status für 57 000 Menschen aus Honduras um weitere sechs Monate verlängert. Sehr zum Missfallen des Weißen Hauses und der neuen Ministerin Nielsen, die die Behörde Anfang Dezember übernommen hat.

Die Betroffenen haben jetzt bis zu 18 Monate Zeit, ihre Angelegenheiten in den USA zu regeln. Viele werden wohl im Land bleiben. Illegal. Das bedeutet: ohne Arbeitserlaubnis und ohne Krankenversicherung. Sie werden mit der Gefahr leben müssen, jederzeit abgeschoben werden zu können. Das Heimatschutzministerium empfiehlt, sich selbst um einen legalen Status zu bemühen. Was - wenn überhaupt - nur denen gelingen dürfte, die einen sehr stabilen Arbeitsplatz haben und Chefs, die die hohen Kosten für ein Arbeitsvisum übernehmen können und wollen.

Kevin Appleby vom New Yorker Center for Migration Studies hält die Entscheidung für grundfalsch: Sie sei gefällt worden, ohne die aktuelle Situation in den betroffenen Ländern zu berücksichtigen. Nicht nur würden Familien entwurzelt, deren Kinder nie woanders als in den USA gelebt haben. Die Entscheidung werde auch zu einer Destabilisierung der betroffenen Staaten führen. Es seien allesamt arme Länder, die nicht die Ressourcen haben, Hunderttausenden Rückkehrern eine Zukunft zu geben. "Das ist unfassbar kurzsichtig und kann nicht im Interesse der USA an einem stabilen Mittelamerika sein", sagt Appleby.

Die Heimatschutzbehörde argumentiert, dass für ihre Entscheidung allein die Frage relevant gewesen sei, ob die damaligen Fluchtgründe noch vorhanden seien. Das sei zu verneinen.

Wenn also in einem halben Jahr auch noch Honduras aus dem Programm fällt, dann dürfte TPS de facto tot sein. Und die USA ziehen sich noch ein Stückchen mehr aus ihrer internationalen Verantwortung als größte Militärmacht und Führerin der freien Welt zurück. Das passt zu den migrationspolitischen Zielen der Trump-Regierung, die vor allem von seinem hartrechten Berater Stephen Miller vorangetrieben werden.

"America First" heißt auch "Amerikaner zuerst"

Seit Trump im Amt ist, versuchen er und seine Leute, den Migranten im Land das Leben so schwer wie möglich zu machen. Trumps Doktrin "America First" bedeutet eben auch "Amerikaner zuerst". Wer keine US-Staatsbürgerschaft besitzt, wird es unter Trump immer schwerer haben, sein Glück im einstigen Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu finden. Und selbst die, die es gefunden haben, werden es womöglich bald wieder verlieren.

Im Herbst erst hat Trump seinen Justizminister Jeff Sessions das Daca-Programm beenden lassen. Es garantiert bisher solchen Migranten einen legalen Status, die als unter 16-Jährige in die USA gebracht worden sind. Noch bis März hat der Kongress Zeit, dem Programm und damit etwa 600 000 Betroffenen eine neue Zukunft zu geben. Die meisten von ihnen sind gut ausgebildete junge Menschen mit festen Jobs, eigenem Auto oder Wohneigentum.

Es sieht allerdings nicht gut aus. Trump scheint an seinem Versprechen, eine gute Lösung für die sogenannten "Dreamer" zu finden, kein großes Interesse mehr zu haben. Er hätte Daca nicht beenden müssen. Wenn es aber keine Lösung gibt, kann er die Schuld gut dem Kongress zuschieben, wo Demokraten und Republikaner einen gemeinsamen Weg finden müssen, um das Programm zu retten.

Das könnte übrigens auch für den TPS gelten. Es wird spekuliert, dass es eine Lösung für die Menschen unter TPS-Schutz geben kann, wenn Demokraten und Republikaner sich auf ein großes Daca/TPS-Paket einigen. Das müsste aber dann noch vor März geschnürt werden, weil dann Daca - dank Trump - endgültig ausläuft.

Je näher aber die wichtigen Halbzeitwahlen im Herbst rücken, desto schwieriger wird das. Viele republikanische Kongressabgeordnete haben ihre Sitze mit einer harten Haltung gegenüber Migranten gewonnen. Und die Demokraten kritisieren zwar sowohl die Daca-Entscheidung als auch die Entscheidungen zu TPS scharf. Aber auch sie haben offenbar immer weniger Lust, ihre kleine Chance, die Mehrheit im Senat oder im Repräsentantenhaus zurückzuerobern, mit Gesetzen zu gefährden, die Immigranten helfen.

Wirtschaftlich ergibt die Entscheidung zu TPS wenig Sinn. Nach jüngsten Studien haben 81 bis 88 Prozent der Menschen unter TPS-Schutz einen Job und zahlen Steuern. Die Rate ist deutlich höher als unter der gesamten US-Bevölkerung mit nur 63 Prozent. Nach jüngsten Prognosen werden den USA über ein Jahrzehnt gesehen 45 Milliarden Dollar an Wirtschaftskraft verloren gehen. Die sozialen Sicherungssysteme müssen auf Einnahmen in Höhe von knapp sieben Milliarden Dollar verzichten. Auch sicherheitspolitisch bringt die Entscheidung wenig. Wer unter TPS-Schutz steht, muss sich alle sechs bis 18 Monate einem Hintergrundcheck stellen. Wer eine Straftat begeht, der fliegt aus dem Programm.

Egal ob Carlos Jiron bleibt oder nach El Salvador zurückkehrt, er wird wichtige Auftraggeber verlieren. Er hatte sich in den vergangenen Jahren ein kleines Geschäft aufgebaut. Und unter anderem Aufträge bekommen, die Gebäude von Bundesbehörden im Raum Washington zu streichen. Er hat sich sogar ein kleines Haus leisten können in Springfield, Virginia. Wenn bis Ende 2019 nicht noch ein Wunder geschieht, wird er alles verlieren - ein gutes Leben, aufgebaut in 16 Jahren harter Arbeit.

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