Süddeutsche Zeitung

US-Politik:Chaostage in Washington

Gewollte Anarchie, eine Regierung in Auflösung oder nur ein Medienhype? Es gibt verschiedene Theorien über die Zustände in Donald Trumps Weißem Haus. Bilanz einer wilden Woche.

Von Alan Cassidy, Washington

Es gibt nicht viel, das vom gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Jeb Bush in Erinnerung geblieben ist. Nur dieser eine Satz von ihm aus dem Wahlkampf fällt jetzt vielen in Washington wieder ein. "Donald Trump ist ein Chaoskandidat", sagte der Republikaner. "Falls er die Wahl gewinnt, wird er ein Chaospräsident." Am Ende einer Woche, in der das Weiße Haus Aufreger um Aufreger produziert hat, in der täglich mehr Palastintrigen auftauchten als am Hof eines derangierten Fürsten, stellen viele fest: Bush hat untertrieben.

Für den Zustand, in dem sich Trumps Regierung gerade befindet, gibt es drei verschiedene Erklärungen. Die erste lautet: Die Konfusion ist vom Präsidenten gewollt. Je größer sie ist, desto mehr blüht er auf. Die "Chaostheorie" nennt das die New York Times: Schon am ersten Amtstag habe er die Unordnung zum Organisationsprinzip und Führungsinstrument erhoben. Darum die Vorliebe für offensichtlich ungeeignete Familienmitglieder auf wichtigen Posten, darum auch die vielen unbesetzten Stellen in der Verwaltung.

Wer Belege für diese Erklärung sucht, findet sie in der Art und Weise, wie Trump am Mittwoch Senatoren aus beiden Parteien in das Kabinettszimmer lud, um über neue Waffengesetze zu sprechen. Vor laufenden Kameras erklärte er zentrale Positionen der Republikaner für überholt und wies diese an, nun doch bitte die Verschärfungsvorschläge der Demokraten in ein Gesetz zu packen. Das ist Trump, wie man ihn aus der Show The Apprentice kennt: Hol sie alle in einen Raum, lass sie sich gegenseitig angreifen und triff dann eine unerwartete Entscheidung. Das Weiße Haus als TV-Studio.

Dass sich nun die Gerüchte mehren, wonach auch der nationale Sicherheitsberater H.R. McMaster seinen Posten bis Ende des Monats räumen wolle, überrascht da nicht. McMaster ist wie Stabschef John Kelly ein Soldat, und Soldaten können solche Zustände nicht gefallen. Trump aber gibt die augenscheinliche Anarchie eine Freiheit, die frühere Präsidenten, umgeben von kompetenten, erfahrenen Beratern, nicht hatten. Dazu gehört, wie sich jetzt herausgestellt hat, die Freiheit, in einer beiläufigen Bemerkung Strafzölle auf Importe zu verhängen - und sie irrwitzig zu begründen. "Handelskriege sind gut und einfach zu gewinnen", twitterte Trump am Freitag.

Die zweite, anders gelagerte Erklärung lautet: Der Präsident will das Chaos selber auch nicht, hat den Laden aber einfach nicht mehr im Griff. "Mad as hell" sei er über das Bild, das seine Regierung gerade abgebe, zitiert die Nachrichtenseite Axios Vertraute von Trump - fuchsteufelswild. Für diese Sichtweise spricht, dass viele der Probleme dieser Woche in irgendeiner Weise mit der Russland-Untersuchung des Sonderermittlers Robert Mueller zu tun haben. Dazu gehören Trumps öffentliche Beschimpfungen seines Justizminister Jeff Sessions. Er macht ihn für Muellers anhaltende Untersuchung zumindest mitverantwortlich.

Dazu gehören aber auch die Probleme, in die sein Schwiegersohn Jared Kushner geraten ist. Dessen geschäftliche Verstrickungen haben ihn offenbar im Ausland erpressbar gemacht, was mit ein Grund ist, warum Kushner nun die höchste Sicherheitszulassung entzogen wurde. Unklar ist, ob auch der Abgang von Hope Hicks in diesen Zusammenhang gehört. Trumps Kommunikationschefin hatte am zweitletzten Tag im Amt vor dem Geheimdienstausschuss Fragen zur Russland-Affäre beantworten müssen, unter anderem, ob sie schon einmal für den Präsidenten gelogen habe (was sie gestehen musste). Sie gehörte seit drei Jahren zu Trumps engsten Beratern.

Die dritte Erklärung schließlich heißt: Es gibt gar kein Chaos. Es sind bloß die Medien, die eines herbeireden. Zu hören ist diese These unter anderem bei Fox News, wo die Moderatoren und Studiogäste jede neue Geschichte aus dem Weißen Haus als "small potatoes" und "nothing burgers" abtun: als maßlose, politisch motivierte Übertreibungen. Und tatsächlich gibt es selbst dafür einige Hinweise.

Die Idee mit den Strafzöllen hatte Trump nicht über Nacht, er vertritt sie schon seit Jahrzehnten. Dass er sie nun umsetzen will, kann für Leute wie seinen Wirtschaftsberater Gary Cohn so überraschend nicht gekommen sein, wie der nun streuen ließ. Es dürfte auch nicht falsch sein zu behaupten, dass die Affären und Intrigen in der Polit- und Medienblase von Washington und New York für ungleich mehr Aufregung sorgen als im restlichen Land.

Und doch: Es war eine selbst für Trumps Verhältnisse bemerkenswerte Woche. Und es gibt wenig Anzeichen dafür, dass in seinem Weißen Haus bald Ruhe einkehren wird. Wenn man an die Chaostheorie glaubt, dann liefert eine der schlüssigsten Analysen der Politologe Matt Glassman in der New York Times: Um das Chaos zu stoppen, müsse der Präsident erstens klare und kohärente politische Ziele formulieren. Diese seien bei Trump in wichtigen Fragen - Einwanderung, Waffen, Außenpolitik - nicht zu erkennen. Und zweitens müsse er erfahrene Berater davon überzeugen können, diese Ziele zu verwirklichen. Auch das, schreibt Glassman, sei nicht ersichtlich. Und so regiert Trump vorerst weiter - als Chaospräsident.

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