US-Nachteinsätze in Afghanistan:Marschbefehl vom Richter

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Koranverbrennungen und der Amoklauf eines Soldaten in Afghanistan, Drohnenangriffe auf Pakistan: Die USA geraten in der islamischen Welt immer mehr in die Kritik. Nun sind die Amerikaner um Schadensbegrenzung bemüht. Künftig sollen nächtliche Kommandoaktionen in Afghanistan von der dortigen Justiz gebilligt werden.

Tobias Matern

Sie gelten den Amerikanern als wichtiges Mittel im Kampf gegen die Taliban. Viele Islamisten der mittleren und oberen Ebene haben die US-Spezialeinheiten bei den sogenannten night raids ausgeschaltet. Allein im vergangenen Jahr gab es etwa 2500 solche Kommandoaktionen in der Nacht, bei denen schwer bewaffnete Soldaten Häuser stürmen, um Aufständische festzunehmen oder zu töten.

Nachts, wenn die Amerikaner kommen: Ein Mitglied einer Luftlandeeinheit bei der Durchsuchung eines verdächtigen Hauses im afghanischen Dorf Rasbeg, 200 Kilometer südwestlich von Kabul. Etwa 2500 dieser Kommandoaktionen gegen die Taliban soll es im vergangenen Jahr gegeben haben. (Foto: AFP)

Nun gibt es in Washington Pläne, Richtern in Afghanistan das letzte Wort über die am Hindukusch extrem unpopulären Einsätze zu überlassen: Die Juristen sollen vorab eine Genehmigung für die Aktionen erteilen, was aus militärstrategischer Sicht ein deutlicher Rückschritt wäre.

Entschieden sei in dieser Frage noch nichts, betonte ein Pentagon-Sprecher. Für Washington waren die night raids bisher nicht verhandelbar. Afghanistans Präsident Hamid Karsai hingegen kritisierte sie immer wieder als ein zentrales Hindernis für Frieden in seinem Land. Schließlich treffe es immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten, und das treibe den Taliban Sympathisanten zu. Schon mit ihrer Gesprächsbereitschaft belegen die Amerikaner, wie sehr sie um Schadensbegrenzung bemüht sind: Die vergangenen Wochen waren von etlichen Fehlschlägen am Hindukusch geprägt.

Zunächst verbrannten US-Soldaten Ausgaben des Korans. Die afghanische Öffentlichkeit erfuhr davon, bei heftigen Protesten kamen mindestens 40 Menschen ums Leben. Dann lief ein US-Soldat, nach amerikanischer Darstellung ein Einzeltäter, Amok und tötete in einem Dorf in der südafghanischen Provinz Kandahar 16 Zivilisten, unter ihnen neun Kinder. Die Dorfbewohner widersprechen der Einzeltäter-These und behaupten, eine Gruppe amerikanischer Soldaten habe die Gräueltat begangen.

Als Reaktion verlangte Karsai, den mühsam ausgearbeiteten Zeitplan zur Übergabe der Verantwortung über Bord zu werfen. Der Westen solle es der afghanischen Armee und Polizei nicht erst im Jahr 2014, sondern schon 2013 überlassen, Sicherheit im Land zu gewährleisten. Außerdem müssten sich die westlichen Soldaten sofort aus afghanischen Dörfern zurückziehen, forderte Karsai.

Selbst US-Militärs stellen den Afghanistan-Einsatz in Frage

So verlockend der Gedanke für die kriegsmüde Öffentlichkeit im Westen klingen mag, in Afghanistan stiege die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs, wenn Karsai seinen inzwischen wieder relativierten Willen bekäme. Die Taliban, die das Scheitern des Westens in Afghanistan aus einer Position der Stärke heraus beobachten können, legten Friedensgespräche mit den USA auf Eis. Die vorsichtigen Hoffnungen, eine Verhandlungslösung mit den militärisch nicht zu besiegenden Islamisten zu erzielen, ist zunächst einmal zunichtegemacht.

Mit dem Angebot, die nächtlichen Hausdurchsuchungen stärkeren Beschränkungen zu unterwerfen, wollen die Amerikaner nun also zumindest ein bisschen an verlorenem Boden wiedergutmachen. Afghanen beschweren sich immer wieder, mit den Kommandoaktionen werde ihre Kultur mit Füßen getreten - unter anderem weil die einheimischen Frauen mit fremden Männern in Kontakt gerieten. Auch kritisieren Afghanen die westlichen Truppen immer stärker als die Taliban, wenn es in diesem Krieg zivile Opfer zu beklagen gibt. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Islamisten laut Statistiken der Vereinten Nationen deutlich mehr Unbeteiligte töten als die Isaf-Einheiten.

In dieser miesen Gesamtlage sollte der Oberkommandierende in Afghanistan, John Allen, am Dienstag vor dem amerikanischen Kongress aussagen und die Abgeordneten im Wahljahr davon überzeugen, dass der Krieg am Hindukusch weiterhin sinnvoll ist. Selbst Vertreter des US-Militärs stellen in amerikanischen Medien den Einsatz inzwischen immer unverhohlener in Frage.

Die Mehrheitsmeinung im Sicherheitsestablishment laute "genug ist genug", so fasste der Sprecher von Allens Vorgänger David Petraeus die Haltung in der Washington Post zusammen. Auch bezweifelte er, dass sich bis zum geplanten Abzugstermin in zwei Jahren eine stabile Beziehung mit der Regierung in Kabul oder mit dem offiziellen Verbündeten Pakistan werde verwirklichen lassen.

Auch in Pakistan ist die Stimmung gereizt

Gerade in Islamabad istdie Stimmung nach dem für die amerikanisch-pakistanischen Beziehungen desaströsen Jahr 2011 extrem gereizt. Ein CIA-Mitarbeiter, der Pakistaner in Lahore auf offener Straße erschossen hat, die Tötung Osama bin Ladens und der Nato-Luftangriff, bei dem im November 24 pakistanische Grenzsoldaten ums Leben gekommen sind, haben die Abneigung der Parlamentarier gegen die USA angestachelt. Am Dienstag begann in Islamabad eine Sitzung von Nationalversammlung und Senat, um über eine Neuausrichtung des Verhältnisses zu den USA zu beraten.

Zu Beginn der Diskussion legte der Sicherheitsausschuss einen Resolutionsentwurf vor und forderte ein sofortiges Ende der amerikanischen Drohnenangriffe in Pakistan. Den Appell müssten die Abgeordneten indes auch an ihre eigene Regierung und das Militär richten: Trotz anderslautender öffentlicher Bekenntnisse dulden diese zumindest das gezielte Töten mutmaßlicher Terroristen, wenn sie es nicht sogar unterstützen, wie es immer wieder in Islamabad heißt.

Die pakistanischen Taliban teilten mit, sie seien zu einem Friedensschluss mit der Regierung bereit, wenn die Parlamentarier und die politische Führung sich eindeutig gegen die USA positionierten. Allerdings ist damit zu rechnen, dass Pakistan demnächst wieder die nach dem Luftschlag im November unterbrochenen Nachschublieferungen für die Nato in Afghanistan zulassen wird. Im Gegenzug wird der Westen dafür wohl höhere Zölle bezahlen müssen.

© SZ vom 21.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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