US-Militärhospital in Landstuhl:Umschlagplatz für schwere Wunden

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Täglich landen hier verletzte Soldaten aus dem Irak oder aus Afghanistan und finden eine lebensrettende Maschinerie auf dem Weg in die Heimat. Wie der Krieg in den Pfälzer Wald kommt - Eine Reportage von Detlef Esslinger

Von Detlef Esslinger

Vielleicht sollte sie jetzt mal lächeln, einmal wenigstens. Fünf Tage ist es her, dass der Soldat in eine Falle geraten war, in der Gegend um Abu Ghraib.

Seine Einheit wurde in Afghanistan mit Raketen beschossen, jetzt landet der verletzte US-Soldat einer Spezialeinheit auf dem Militärflughafen in Ramstein und wird von dort zum nahen Krankenhaus in Landstuhl gebracht. (Foto: Foto: AP)

Sie haben ihn aus dem Irak nach Deutschland ins Krankenhaus gebracht; im hellblauen OP-Kittel, der nur durch ein Schleifchen im Nacken zusammengehalten wird, liegt er da, ein junger Mann von 20 Jahren, der noch benommen ist von der Operation am Vormittag.

Aber Oberschwester Kendra Whyatt, 37, lächelt nicht. In Kampfanzug und Stiefeln, ihrer normalen Dienstkleidung hier, steht sie an seinem Bett. Es geht ihr um Anweisungen und Informationen. Sie teilt ihm mit, dass er verpflichtet ist zu fragen, wenn er etwas nicht verstanden hat. Dass er mit Ärzten und Pflegern zu kooperieren hat.

Die Ehefrau hat kaum geschlafen

Dass er übermorgen entweder erneut operiert oder nach Amerika geflogen wird. Sie fragt, ob er verheiratet ist, immerhin. Der Soldat fängt gleich zu erzählen an, von der Ehefrau in Amerika, die kaum geschlafen hat, bis sie ihn gestern endlich am Telefon erreicht hat.

In einem flüchtigen Nicken besteht die Antwort der Oberschwester, dann fährt sie fort mit Hinweisen, zum Beispiel dem, dass es sich bei den roten Rändern an seinen Fingernägeln nicht um Blut, sondern um ein Desinfektionsmittel handelt.

Im Flur hängt eine Tafel, auf der alles noch einmal nachgelesen werden kann: Rights and Responsibilities, Rechte und Pflichten.

Besuch in einem Krankenhaus, das sich von anderen stark unterscheidet. Landstuhl Regional Medical Center, so lautet der offizielle Name dieser Einrichtung auf einem Hügel des Pfälzer Walds, oberhalb der 9000-Einwohner-Stadt, zehn Autominuten westlich von Kaiserslautern.

1951 wurde sie gebaut, auf einem drei Kilometer weiten Gelände, das im Dritten Reich für eine Schule der Hitler-Jugend angelegt worden war. Es handelt sich um das größte US-Hospital außerhalb der Vereinigten Staaten, es taucht immer in den Nachrichten auf, wenn von irgendwoher in der Welt befreite Geiseln oder Opfer von Anschlägen hierher gebracht werden.

Vieles ist anders als in städtischen Kliniken

Einerseits gibt es die normalen Stationen eines Krankenhauses, Orthopädie, Kardiologie, Gynäkologie, und so weiter. Andererseits ist der Umgang mit den Patienten hier anders als in städtischen Kliniken.

Die Patienten werden nicht als Privatpersonen angesehen. Dieses Krankenhaus wird von Streitkräften betrieben. Und zu deren Diensten steht es. Vor dem Besuch bei dem Soldaten auf der Orthopädie ist deshalb Zeit für ein Gespräch mit der Oberschwester, weil der Soldat rasiert werden muss, bevor er sich den Besuchern zeigen darf.

Die Patienten hätten ihr militärisches Äußeres aufrechtzuerhalten, sagt Major Whyatt. Allem Handeln in diesem Krankenhaus liegt dieselbe Devise zugrunde, die von der Oberschwester sehr deutlich ausgesprochen wird: "Soldaten sind Eigentum der Regierung."

Government Property. Das Eigentum hat gepflegt auszusehen, und wie es hier behandelt wird, auch darüber entscheiden im Zweifel diejenigen, denen es gehört.

In Landstuhl kann ein Patient nicht einfach sagen, diese und jene Untersuchung möchte er lieber nicht. Whyatt sagt: "Er ist Teil einer Organisation. Und deren Bereitschaftsgrad hängt auch von ärztlichen Diagnosen ab."

Du kämpfst für uns - wir beschützen dich

Die Kommandeure im Irak und in Afghanistan lassen sich über Verbindungsoffiziere, die eigens hierher beordert sind, auf dem Laufenden halten, wie es einem Verletzten geht. Ob er in ein paar Tagen zurück ist. Oder ob Ersatz bestellt werden muss.

Man kann die Devise zynisch finden - oder ehrlich; im Grunde allerdings ist Government Property wohl auch nicht schlimmer als Government Issue, Regierungssache, ein Ausdruck, der in seiner Abkürzung seit Jahrzehnten weltweit gebräuchlich ist, wenn von "GIs" die Rede ist.

Beim US-Militär handelt es sich um eine Freiwilligenarmee, das Hospital in Landstuhl ist Ausdruck eines Vertrags zum beiderseitigen Vorteil, den Soldat und Regierung miteinander geschlossen haben und der ungefähr diesen Inhalt hat:

Wir geben dir einen Job, holen dich von der Straße. Dafür ziehst du für uns in den Kampf. Wir werden aber alles tun, um dich zu schützen und gegebenenfalls zu retten.

Der Soldat auf der Orthopädiestation, der seinen Namen nicht nennen soll, kann sich, so gesehen, kaum beklagen. Er war südlich von Bagdad auf Fußstreife. Der Sprengsatz war am Straßenrand versteckt, ein Unbekannter zündete ihn in dem Augenblick, da er dort vorbeikam.

Zehn Minuten dauerte es nur, bis Hilfe dort war, nach einer Dreiviertelstunde lag er bereits im Feldhospital. Nun ruht sein linker Unterarm in Gips, außerdem hat er einen Granatsplitter im Nacken; mehr nicht. Bei diesem GI mussten die Rettungskräfte des US-Militärs nicht ihr gesamtes Können zum Einsatz bringen.

Die Krankenschwester trägt Uniform: Patienten mit Pflegern in Landstuhl. (Foto: Foto: AP)

"It's show time"

Aber Government Issues, bei denen es um Leben und Tod geht, treffen fast jeden Tag in Landstuhl ein, weil es fast jeden Tag Meldungen gibt wie am Montag: vier US-Soldaten in Afghanistan verletzt; Selbstmordanschlag auf irakisch-amerikanische Patrouille im Irak.

12.45 Uhr an einem Mittwoch, am Wendehammer vor der Notaufnahme. Ärzte und Schwestern, ungefähr ein Dutzend, stehen herum und warten. Man redet über Geschenke für die Frau, über Kekse, einige haben ihre sterilen Handschuhe schon übergezogen, rechter Hand stehen neun rollende Krankentragen bereit.

Die Sonne bricht durch, aus einem Brunnen rauscht Wasser, die Zeit plätschert dahin. Dann ruft jemand: "It's show time!" Zwei dunkelblaue, nietenbeschlagene Busse mit Rotkreuz-Symbolen und abgetönten Scheiben passieren in diesem Moment das Tor zum Klinikgelände, 50 Meter von hier. Sie steuern auf den Wendehammer zu. Sie bringen GIs, die es am Vortag im Irak erwischt hat.

Show time heißt, dass nun die Liegen an den Bus gerollt werden. Dass dessen Flügeltüren geöffnet und Verletzte auf Tragen herausgehoben werden. Dass jeweils acht Pfleger die Tragen greifen und auf die Rollliegen herablassen, vorsichtig; der Verletzte muss stets in der Waagrechten bleiben.

Acht Mal Intensivstation

Show time heißt, dass Verletzte gebracht werden, die ohne Bewusstsein sind, denen ein Beatmungsgerät auf den Mund gesetzt wurde und neben deren Bauch Urin- und Infusionsbeutel liegen; deren Gesicht eine Landschaft aus rosa Brandwunden ist, die Augen verklebt.

Eine Schwester ruft: "Intensivstation!", sofort rollen die Helfer die Verwundeten davon. Neun Patienten bringen die beiden Busse. Achtmal ruft die Schwester "Intensivstation".

Nach Landstuhl kommen GIs, die es in früheren Kriegen nie dorthin geschafft hätten. Soldaten, die sich in einem demokratischen, reichen Land einer Freiwilligenarmee zur Verfügung stellen, werden bessere Chancen gewährt als ihren zum Dienst verpflichteten Gegnern aus armen, diktatorischen Staaten.

Soldaten, die zurückkehren wollen zu ihren Familien, legen Wert auf ihren Schutz, anders als Kämpfer mit dem Berufsbild Märtyrer. Die Regierung hat sie alle mit kugelsicheren Westen ausgerüstet, sodass Patienten mit Schusswunden in Landstuhl mittlerweile die Ausnahme sind.

Allerdings hat sich dadurch auch die Art der Angriffe auf US-Soldaten geändert: Die Ärzte behandeln vor allem Verbrennungen und Knochenbrüche, typische Verletzungen nach Sprengstoffangriffen.

Wie bringt man einen Schwerstverletzten aus einem Kriegsgebiet?

In den vergangenen Jahren hat die US-Regierung eine Rettungskette aufgebaut, in der Landstuhl nur ein Glied von vielen ist. Noch im ersten Golfkrieg 1991 wurden große Lazarette nah am Schlachtfeld eingerichtet; dort sollten Verwundete fürs Erste bleiben.

Doch ein Lazarett bleibt stets ein Provisorium. Zu oft wird es exakt über denjenigen Spezialisten nicht verfügen, der gerade am dringendsten gebraucht wird.

Ein Spezialist für Brandwunden kann nicht in zwei Lazaretten gleichzeitig sein, wohl aber mit seiner gesamten Ausstattung in Landstuhl oder im Army Burn Center in San Antonio, Texas, auf Patienten warten; der Verletzte hat also größere Chancen, wenn man ihn zum Spezialisten schafft, statt umgekehrt. Genau dies aber war lange das Problem:

Wie bringt man einen Schwerstverletzten, jemanden, der womöglich künstlich beatmet werden muss, aus dem Kriegsgebiet?

Indem man Frachtflugzeuge zu fliegenden Intensivstationen umrüstet und mehr als hundert Begleitteams ausbildet. Intensivmediziner, Pfleger und Atmungs-Spezialisten begleiten jeden Flug, die Teams pendeln geradezu zwischen Bagdad und Landstuhl.

Vier Betten und ein OP-Tisch in 60 Minuten

In das Flugzeug wiederum haben es viele GIs nur geschafft, weil im Irak zum ersten Mal alle Einheiten von "Vorgeschobenen Ärzteteams" begleitet werden - Chirurgen, Orthopäden, Anästhesiepflegern, Sanitätern und anderen Helfern, die einer Einheit in sechs Geländefahrzeugen folgen und in der Lage sind, binnen 60 Minuten ein Zeltlazarett mit vier Betten und zwei Operationstischen zu installieren.

Weniger als 24 Stunden brauchen die Retter, um einen Verwundeten vom Kampfplatz im Irak nach Landstuhl zu schaffen. Im Zweiten Weltkrieg überstand jeder dritte GI seine Verwundungen nicht, in Vietnam jeder vierte. Im Irak und in Afghanistan stirbt nur noch jeder zehnte.

Dass sie zwar Spezialisten für Verbrennungen sind, aber andere Fähigkeiten, auf die es ebenso ankommt, nicht beherrschen, wissen sie in Landstuhl. In ihrem Büro sitzt die Intensivmedizinerin Gina Dorlac, 41, und erläutert, warum Verletzte nur zwei, drei Tage hier bleiben sollen, ehe sie weitergeschickt werden in die USA:

zum einen, weil der Platz knapp ist, klar - 150 Betten gibt es normalerweise in dem Hospital, das nicht nur für Kriegsverwundete zuständig ist, sondern auch für die 52000 Amerikaner, die im Großraum Kaiserslautern leben, der größten US-Militärgemeinde außerhalb der Vereinigten Staaten. Zum anderen jedoch, sagt die Ärztin Dorlac:

"Lieber Soldat, Sie sind verletzt, das tut mir sehr leid"

"Um gesund zu werden, brauchen die Patienten emotionale und moralische Unterstützung." Zwar gibt es in Landstuhl Militärpfarrer, die zweimal am Tag ihre Station besuchen und hören, ob ein Patient das Bedürfnis hat zu reden.

Es gibt den Donation Room, einen Container zwischen zwei Klinikgebäuden, in dem Soldaten sich aussuchen dürfen, was Bürger, Belegschaften und Schulklassen in den USA gespendet haben: Sweatshirts, Unterwäsche, selbst gestrickte Kopfkissen und aufmunternde Briefe ("Lieber Soldat, Sie sind verletzt, das tut mir sehr leid").

Aber letztlich sind sie in Landstuhl, Deutschland, allein. In den USA werden sie in Fachkliniken gebracht, die in der Nähe ihrer Familien liegen.

Und die Ärzte, die Bediensteten haben ja auch mit sich selbst zu kämpfen. Gina Dorlac sagt, Landstuhl sei der härteste Posten ihrer Karriere. Zuvor war sie in Chile, wo sie an einem Austauschprogramm teilnahm, ein 9-bis-16-Uhr-Job. Militärpfarrer Joel Warren, 42, von der Methodistischen Kirche sagt, die größte Herausforderung hier sei:

"Lernen, auf sich selber Acht zu geben." Es sei so leicht, sich in Landstuhl selbst zu vergessen. Hier haben sie es nicht mit 80-jährigen Veteranen zu tun, die am Ende eines erfüllten Lebens an Krebs leiden, sondern Tag für Tag mit jungen Männern, die eben noch gesund waren und nun um ihr Leben ringen.

Ein Captain will zurück

Die Balance zu finden zwischen Mitgefühl und jenem inneren Abstand, der nötig ist für eine professionelle Behandlung, dies gehört zur Kunst auf diesem Posten.

Viele Menschen mögen Fotos vom letzten Strandurlaub mit der Familie als Bildschirmschoner auf ihrem Computer installiert haben; für Dorlac ist es die Art von Therapie, zu der auch Militärpfarrer Warren dem Personal rät:

sich stets vor Augen zu führen, woraus das Leben außer aus Leid noch besteht; darauf zu achten, dass man rauskommt, ein Leben außerhalb der Klinik führt. Andere rufen "Show Time", bevor sie an die Arbeit gehen; auch eine Methode, Abstand zu sichern.

Vor einem Militärgericht in Darmstadt wurde vor einigen Wochen der Fall eines 21-jährigen Soldaten verhandelt, der nach seinem Irak-Einsatz den Wehrdienst verweigern wollte.

Der junge Mann war dort nicht verletzt worden; wenn man der Ärztin Dorlac, wenn man auch Pfarrer Warren glauben darf, haben sie es bei verletzten Soldaten eher mit dem umgekehrten Problem zu tun. Zu den Besonderheiten des Militärkrankenhauses gehört, dass es letztlich nicht die Ärzte sind, die über die Zukunft eines Verwundeten entscheiden.

Schuldgefühle, weil man nur verletzt ist

Über Government Property entscheidet die Regierung, in Gestalt der Kommandeure. Die Ärztin Dorlac sagt, sie gebe lediglich eine Empfehlung, und wenn sie sich auch nicht erinnern könne, dass jemals gegen ihren Rat verfahren worden ist, so bestimmt doch am Ende der Kommandeur, wann ein Genesener zu seiner Einheit zurückzukehren hat.

Die Annahme allerdings, dass ein einmal Verwundeter auf Versetzung in die Heimat hofft, ist möglicherweise eine typisch zivilistische - Gina Dorlac berichtet, dass GIs eher wütend würden, wenn man ihnen mitteilt, dass sie für ihre Einheit nicht mehr tauglich sind. Pfarrer Joel Warren erzählt von Verwundeten, die sich vor allem Vorwürfe machen: Weil sie hier liegen, ihr Kamerad aber umgekommen ist, durch ihre Schuld.

Berühmtheit in der Army hat jener 33-jährige Captain erlangt, der vor zwei Jahren im Irak den rechten Fuß verlor, als sein Geländewagen über eine Mine fuhr. Mittlerweile ist er als Kommandeur eines Panzerregiments zurückgekehrt.

Dorlac, Offiziersrang Lieutenant Colonel, also Oberstleutnant, bringt zum Ausdruck, dass sie solche Leute keineswegs für Verrückte hält, eher für Helden.

Wenn sie auf der Intensivstation Patienten aufsucht, dann speist sich ihr Mitgefühl nicht nur aus dem Bewusstsein, dass es sich bei jedem der einbandagierten Government Issues in Wahrheit um einen Ehemann, einen Sohn handelt - sondern um Männer, "die doch nur ihre patriotische Pflicht erfüllt haben".

Landstuhl sei nicht nur der härteste Job in ihrer Karriere, sagt Gina Dorlac. Sondern auch der lohnendste: "Ich habe mich noch nie so sehr als Ärztin gefühlt wie hier."

© SZ vom 14.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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