US-Militäraktion gegen Bin Laden:Pakistan droht den Amerikanern

Nach der US-Kommandoaktion gegen Osama bin Laden erwägt Islamabad ein Ende der Kooperation mit den Amerikanern. Der Verbündete der USA war nicht über den Einsatz informiert und klagt, die staatliche Souveränität sei beschädigt. Auch pakistanische Sicherheitskreise erheben schwere Vorwürfe: Bin Laden sei kaltblütig erschossen worden.

Pakistan ist der wichtigste Verbündete der USA im Kampf gegen al-Qaida und die Taliban, erhält Milliarden Dollar an Militärhilfen. Doch die Beziehungen zwischen den beiden Staaten werden nach der Tötung von Terrorführer Osama bin Laden auf eine schwere Probe gestellt.

Die pakistanischen Streitkräfte drohen offen mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit, sollten die USA das Hoheitsgebiet Pakistans noch einmal in ähnlicher Art und Weise verletzen. Aus Sicherheitskreisen wurden sogar noch schwerere Vorwürfe laut: Bin Laden und vier weitere Personen seien bei dem Einsatz kaltblütig erschossen worden.

Konkret erklärte die pakistanische Armee in einer ersten Stellungnahme zu dem US-Einsatz gegen Al-Qaida-Chef Osama bin Laden: Sollte es noch einmal zu einem Kommando-Einsatz auf seinem Hoheitsgebiet kommen, werde man die Zusammenarbeit mit den USA im Antiterror-Kampf überdenken.

Es würden außerdem Untersuchungen eingeleitet, warum dem Geheimdienst der jahrelange Aufenthalt des meistgesuchten Mannes der Welt in Pakistan verborgen bleiben konnte.

Die Regierung in Islamabad warnte nach der US-Aktion andere Staaten vor ähnlichen Alleingängen im Kampf gegen Terroristen. Wenn ein Land glaube, es könne die USA nachahmen, dann schätze es die Lage in Pakistan völlig falsch ein, sagte Außenstaatssekretär Salman Bashir.

Der Diplomat reagierte damit auf Aussagen ranghoher indischer Militärs. Diese hatten erklärt, auch Indien könne einen gezielten Militäreinsatz gegen Extremisten im Nachbarland führen. "Es gab Stellungnahmen von jenseits der Grenze, dass eine solche Aktion wiederholt werden könnte", sagte Bashir. "Wir glauben jedoch, dass eine solche Fehleinschätzung zu einer Katastrophe führen kann."

Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die US-Operation in der Nacht zum Montag die staatliche Souveränität Pakistans und das Ansehen der Streitkräfte beschädigt habe.

Pakistan war nach eigenen Angaben nicht vorab über die Tötung Bin Ladens in der Stadt Abbottabad informiert worden. Zudem bestritt die Regierung, von der Anwesenheit des Top-Terroristen gewusst zu haben. Unter Sicherheitsexperten gibt es jedoch starke Zweifel, dass Bin Laden ohne Wissen von Geheimdiensten und anderen Behörden jahrelang unbehelligt in Pakistan leben konnte.

Die pakistanische Armee räumte allerdings "Versäumnisse" bei den Geheimdiensterkenntnissen zum Aufenthaltsort Bin Ladens ein. Es seien Ermittlungen eingeleitet worden, wie es zu der Informationspanne habe kommen können, hieß es bei einem Treffen von Generalstabschef Ashfaq Kayani mit Truppenkommandeuren. Trotz der Versäumnisse hinsichtlich Bin Ladens Aufenthaltsort gebe es jedoch beispiellose "Leistungen" der Geheimdienste im Kampf gegen das Terrornetzwerk al-Qaida und andere terroristische Gruppen.

"Die Bewohner waren unbewaffnet"

Auch Indien wirft Pakistan die Unterstützung von Terrorgruppen vor. So macht Neu Delhi die aus dem Nachbarland operierende Gruppe Lashkar-e-Taiba für die Anschläge in der Finanzmetropole Mumbai verantwortlich, bei der Ende 2008 mehr als 170 Menschen getötet wurden. Bereits nach der Terrorserie war in Indien über gezielte Angriffe gegen islamistische Extremisten in Pakistan diskutiert worden.

US-Militäraktion gegen Bin Laden: Ein pakistanischer Soldat vor dem Anwesen in Abbottabad, in dem US-Spezialkräfte Osama bin Laden erschossen haben.

Ein pakistanischer Soldat vor dem Anwesen in Abbottabad, in dem US-Spezialkräfte Osama bin Laden erschossen haben.

(Foto: AFP)

Die EU-Kommission sieht Pakistan dagegen weiterhin als "wichtigen Partner". "Wir sehen, dass die Rolle Pakistans in Sachen Sicherheit und Stabilität in der Region eine wesentliche ist", sagte der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Cathrine Ashton in Brüssel. Er gestand allerdings ein: "Die Operation, die zum Tod von Osama bin Laden geführt hat, hat auch Fragen über die Rolle des pakistanischen Militärs und Geheimdienstes aufgeworfen."

Bin Laden kaltblütig erschossen

Zwei Vertreter der pakistanischen Sicherheitsbehörden warfen unterdessen den USA vor, den unbewaffneten Al-Qaida-Chef und vier seiner Vertrauten kaltblütig erschossen zu haben. "Die Bewohner des Hauses waren unbewaffnet. Es gab keinen Widerstand", sagte einer.

Damit widersprach er US-Darstellungen, mehrere Bewohner der Anlage seien bewaffnet gewesen, und einer habe das Feuer auf die Spezialeinheit eröffnet. Beide Männer wollten nicht sagen, wie sie zu diesen Erkenntnissen kamen. Allerdings haben die Sicherheitskräfte die überlebenden Bewohner der Anlage festgenommen.

Die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlichte Fotografien aus dem Gebäude, die Nahaufnahmen von drei Männern in Blutlachen zeigen. Waffen sind nicht zu erkennen. Die Aufnahmen wurden von einem Mitglied pakistanischer Sicherheitskräfte kurz nach Ende des US-Einsatzes gemacht.

Auch die New York Times berichtet von einem "extrem einseitigen Gefecht" während der Kommandooperation. Die Navy Seals seien nur ein einziges Mal beschossen worden, nämlich ganz zu Beginn der Aktion, schreibt die Zeitung unter Berufung auf US-Regierungsbeamte. Dabei habe ein Kurier Bin Ladens die Soldaten aus einem Gästehaus auf dem Gelände heraus unter Feuer genommen. Nachdem die Spezialkräfte den Kurier getötet hatten, "wurde nicht mehr auf die Amerikaner geschossen".

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