US-Medienberichte:Geheimgefängnis in Litauen

Der US-Geheimdienst hat offenbar bis 2005 acht Gefangene in Litauen untergebracht. Die frühere Sowjetrepublik präsentiert sich seit langem als enger Partner Washingtons - auch aus historischen Gründen.

M. Kolb

Am Historischen Rathaus in der litauischen Hauptstadt Vilnius hängen zwei Plaketten. Auf der einen wird stolz verkündet, dass die Unesco die barocke Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt hat. Auf der zweiten steht ein Zitat von George W. Bush: "Wer sich entscheidet, Litauen zum Feind zu wählen, hat sich damit auch die Vereinigten Staaten von Amerika zum Feind gemacht."

CIA-Zentrale in Langley; dpa

CIA-Hauptquartier in Langley: Litauen wäre das dritte europäische Land, in dem es Geheimgefängnisse gab.

(Foto: Foto: dpa)

Dies erklärte der damalige US-Präsident am 23. November 2002, als er die Baltenrepublik besuchte. Seit der Unabhängigkeit 1991 hatte Litauen ähnlich wie Estland und Lettland einen engen Schulterschluss mit Washington gesucht: Aus Sorge vor dem großen Nachbarn Russland war den meisten Balten die Mitgliedschaft im Militärbündnis Nato stets wichtiger als der Beitritt zur Europäischen Union. 2004 traten die drei Staaten beiden Institutionen bei.

Insofern ist die Meldung des US-amerikanischen Fernsehsenders ABC leichter nachzuvollziehen: Offenbar unterhielt der Geheimdienst CIA eines der berüchtigten Geheimgefängnisse in Litauen.

Die Behörden des osteuropäischen Landes hätten den USA ein Gebäude in den Außenbezirken der Hauptstadt Vilnius zur Verfügung gestellt, berichtete ABC unter Berufung auf frühere Geheimdienstmitarbeiter. Damit ist Litauen laut ABC neben Rumänien und Polen das dritte europäische Land, in dem es Geheimgefängnisse gab. Zudem sollen sie in Afghanistan, Thailand und Marokko betrieben worden sein.

In dem Gefängnis wurden den Angaben zufolge bis zu acht Gefangene länger als ein Jahr festgehalten, bis sie 2005 an einen anderen Ort verlegt wurden, weil das Geheimprogramm allmählich an die Öffentlichkeit drang. Flugpläne belegten, dass CIA-Maschinen in diesem Zeitraum mehrere Male Litauen angesteuert hätten, berichtet der Sender weiter.

Um den wahren Zielort zu verschleiern, wurden Flugprotokolle gefälscht. So steht laut ABC in den Unterlagen, die Flugzeuge seien nach Finnland oder Polen geflogen - in Wahrheit landeten sie in Vilnius. Ein früherer Geheimdienstmitarbeiter sagte, Litauen habe sich ein besseres Verhältnis von den USA versprochen. "Sie waren glücklich, unser Ohr zu haben", wird der CIA-Mann zitiert.

Die litauische Botschaft in Washington wies die Angaben zurück. "Die Regierung Litauens bestreitet alle Gerüchte und Interpretationen über angebliche Geheimgefängnisse, die es auf litauischem Boden gegeben haben soll und möglicherweise (von der CIA) benutzt wurden", sagte ein Sprecher zu ABC. Der Geheimdienst selbst wollte die Angaben nicht kommentieren, nannte Berichte über den Ort von Geheimgefängnissen aber "verantwortungslos".

Große Diaspora in Amerika

Die enge Verbundenheit der Litauer erklärt sich aus der Geschichte des Landes: Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sind Hunderttausende von der Ostsee nach Nordamerika ausgewandert, Schätzungen zufolge haben mindestens zwei Millionen US-Amerikaner litauische Vorfahren. Nach der Unabhängigkeit kehrten viele in die Heimat ihrer Eltern zurück - oder zogen in das Land, aus dem sie als Kinder oder Jugendliche vertrieben wurden.

So verbrachte auch Valdas Adamkus den größten Teil seines Lebens in Chicago: Er leitete dort die Umweltbehörde, bevor er Mitte der neunziger Jahre in die litausche Politik einstieg und 1998 zum Präsidenten gewählt wurde. Er stand damals neben George W. Bush, als dieser die bekannten Worte sagte, die nun am Rathaus prangen.

Ebenso wie Lettland, Estland, Polen oder Rumänien unterstützte auch Litauen den Irak-Kurs der Bush-Regierung - und schickte etwa 1000 litauische Soldaten in die Region Basra. Das Argument von Bush und Cheney, ein Volk aus der Herrschaft eines gefährlichen Diktators zu befreien, klang und klingt für viele Balten überzeugend - die Erinnerung an das halbe Jahrhundert Sowjetherrschaft ist bis heute sehr lebendig.

Mindestens acht geheime Gefängnisse

US-Medienberichten zufolge betrieb die CIA mindestens acht Geheimgefängnisse, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingerichtet wurden. Im September 2006 hatte US-Präsident George W. Bush ihre Existenz erstmals eingeräumt und die Verlegung von damals 14 Insassen in das US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba bekanntgegeben.

Erst sein Nachfolger Barack Obama ordnete Anfang dieses Jahres die Schließung der CIA-Gefängnisse an, in denen auch gefoltert worden sein soll. Insgesamt sollen dort im Laufe der Jahre weniger als 100 Gefangene untergebracht gewesen sein.

Sollten sich die Berichte des Senders durch eigene Ermittlungen bestätigen, könnte dies für die litauische Regierung unangenehm werden: Die Baltenrepublik hat genau wie Rumänien und Polen sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention als auch die UN-Konvention gegen Folter ratifiziert. Sollten CIA-Agenten in der Baltenrepublik aktiv gewesen sein, so hätten sie damit auch litausches Recht gebrochen.

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