Es gibt einfachere Missionen, als der richtige Mensch zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Zumal, wenn die Zeit jetzt und der Ort Ferguson, Missouri, ist. Doch genau darin besteht die Aufgabe von US-Justizminister Eric Holder, der an diesem Mittwoch in der Kleinstadt nahe St. Louis eintrifft, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
Gewiss, da gäbe es womöglich noch einen geeigneteren Kandidaten, die Wut und Frustration zu dämpfen, das Misstrauen und die Feindseligkeiten zu überwinden. Doch auch wenn die Forderungen lauter werden: Elf Tage nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown durch sechs Polizeikugeln sieht Barack Obama die Zeit noch nicht gekommen, selbst anzureisen.
Dass der US-Präsident seinen Justizminister entsendet, signalisiert nicht nur, dass Washington die Angelegenheit ernst nimmt. Der 63-Jährige ist wie er Afroamerikaner und er ist das Regierungsmitglied, das stets am deutlichsten anspricht, dass Schwarz und Weiß in der amerikanischen Wirklichkeit noch lange nicht gleichberechtigt sind.
Seit Anfang 2013 hat Holders Justizministerium 20 Mal Ermittler entsandt, um den Vorwurf zu überprüfen, dass Polizei-Behörden die Bürgerrechte verletzten. Nun diskutiere Holder laut New York Times mit seinen Mitarbeitern, einen solchen Schritt auch in Ferguson einzuleiten.
"Eine Nation von Feiglingen"
"Diese Nation hat sich stets stolz als ethnischer Schmelztiegel begriffen", sagte Holder 2009 vor Mitarbeitern seines Ministeriums, "aber in rassischen Dingen verhielten und verhalten wir uns oft wie eine Nation von Feiglingen." In weiteren Reden kritisierte er die "subtilen" Formen der Benachteiligung Nicht-Weißer, die weit bedrohlicher als "offensichtliche Bigotterie" seien.
Obama und Schwarze in den USA:Der farblose Präsident
Sie hatten große Hoffnungen in ihn gesetzt. Aber unter Obama hat sich für Afroamerikaner wenig getan. Stattdessen tritt der US-Präsident bisweilen als Erzieher der Schwarzen auf.
Durch sein - in anderen Punkten umstrittenes - Wirken als Justizminister ziehen sich die Versuche, diese Ungleichheit zu bekämpfen. Von Holder stammt die Initiative, die Mindeststrafe für kleinere und gewaltlose Drogenvergehen abzuschaffen; inzwischen hat er im Kongress ausreichend Unterstützung für eine Haftminderung für Gefängnisinsassen gesammelt, die wegen solcher Taten einsitzen und keine Verbindung zum organisierten Verbrechen haben. Schwarze und Latinos beklagen schon lange, dass ihre Gemeinschaften unter dem Folgen des "Kampfs gegen die Drogen" und der entsprechenden Extrem-Kriminalisierung leiden.
Das Civil Rights Movement für die Gleichberechtigung der Schwarzen hat der inzwischen 63-jährige New Yorker Holder als Kind miterlebt, es hat ihn stärker geprägt als den zehn Jahre jüngeren Barack Obama. Die Schwester von Holders Ehefrau war eine der ersten beiden Afroamerikaner, die 1963 ihr Studium an der University of Alabama begannen - und von der Nationalgarde beschützt werden mussten.
Diese Erfahrungen erklären Holders deutlichen Äußerungen. 2013 kritisierte er den Obersten Gerichtshof, dessen konservative Mehrheit einen zentralen Paragrafen des Voting Rights Act kippte, jenes schmerzvoll erstrittene Gesetz von 1965, das Schwarzen im amerikanischen Süden das volle Wahlrecht garantiert.
Die US-Regierung darf seitdem nicht mehr kontrollieren, ob einzelne Bundesstaaten Minderheiten bei Wahlen diskriminieren. Das Justizministerium hatte dagegen gekämpft - und versucht nun die Vorstöße einiger republikanisch dominierter Staaten zu stoppen, von Wählern Foto-Ausweise zu verlangen, zu denen Schwarze Holders Meinung nach schlechteren Zugang haben.
All dies hat ihm in konservativen Kreisen den Ruf eingebracht, die "Rassen-Karte" zu spielen; die extreme Rechte nennt ihn offen einen "liberalen Rassisten". Schon seit seinem Amtsantritt 2009 setzt das konservativ dominierte Repräsentantenhaus Holder stark zu, allerdings nur am Rande wegen echter Verfehlungen wie dem Umgang mit der Pressefreiheit oder der Verfolgung von Whistleblowern. Die Kritik gegen ihn und Obama sei nicht hauptsächlich, aber durchaus von "rassischer Abneigung" geprägt, erklärte Holder vor einigen Wochen in einem TV-Interview.
Tod von Michael Brown in Ferguson:Ohnmächtige Staatsmacht
Die Polizei hat es mit Deeskalation versucht, Politiker mit beschwichtigenden Worten, schließlich schickte der Gouverneur die Nationalgarde nach Ferguson. Doch die Proteste nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown geraten immer heftiger außer Kontrolle. Das ist vor allem der Strategie der Einsatzkräfte geschuldet.
Zwar lässt auch Obama inzwischen durchblicken, dass seine Hautfarbe für seine Kritiker eine Rolle spielt, doch wenn es um das politische Geschäft geht, meidet er das Thema - eine Zurückhaltung, deren Beibehaltung ihm gerade nach dem Tod von Trayvon Martin 2012 und nun der Erschießung von Michael Brown in Ferguson in der schwarzen Community Kritik eingebracht hat.
Allerdings muss auch Holder angesichts seines Amtes Zurückhaltung walten lassen, um sich nicht dem Vorwurf der politischen Einflussnahme auszusetzen: 40 FBI-Beamte ermitteln derzeit vor Ort, der Fall selber liegt noch bei den umstrittenen lokalen Behörden. Roy Blunt, der republikanische Senator von Missouri, hat das Justizministerium bereits davor gewarnt, die Ermittlungen an sich zu ziehen, andere Konservative mahnen Holder davor, die Ergebnisse mit unüberlegten Äußerungen zu beeinflussen.
Holders Bruder ist selbst Polizist
In einem Gastbeitrag in der Lokalzeitung St. Louis Post Dispatch versprach der Justizminister eine "vollständige, faire und unabhänginge Untersuchung" und den Schutz der Demonstrationsfreiheit. Am Montag hatte er sich in einer Erklärung "verstört" von der selektiven Veröffentlichung heikler Informationen durch die örtlichen Behörden gezeigt. Insgesamt gilt Holder, dessen Bruder Polizist ist, allerdings als Unterstützer der Strafverfolgungsbehörden.
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Wie sehr ihn Fälle wie der Tod Michael Browns mitnehmen, lässt sich aus einer Rede vor der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP aus dem Sommer 2013 nachempfinden, in der er laut über den Fall Trayvon Martin nachdachte.
Als er ein junger Schwarzer gewesen sei, erzählte Holder, habe ihn sein Vater beiseite genommen und ihm erklärt, wie er sich bei Polizeikontrollen zu verhalten habe. "Ich bin mir sicher, dass mein Vater damals glaubte, dass die Generation meiner Eltern die letzte sein werde, die sich um ihre Kinder wegen solcher Dinge Sorgen machen müsse." Die "traurige Realität" sei jedoch, dass er nach dem Tod von Trayvon Martin dieses Gespräch mit seinem eigenen 15-jährigen Sohn habe führen müssen.
Linktipps:
- Die New York Times beschreibt in diesem langen Text das Verhältnis - und die Freundschaft - von Barack Obama und Eric Holder.
- "Der farblose Präsident": SZ-Korrespondent Nicolas Richter beschreibt in dieser Analyse, wieso sich der Alltag vieler schwarzer Amerikaner unter Barack Obama nicht verändert hat.
- Alle SZ-Artikel zum Todesfall Michael Brown und den Protesten in Ferguson finden Sie auf dieser Übersichtsseite.