US-Gesundheitsreform:Obamas Heilkräuter

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Glaubt fest an die heilende Wirkung der Gesundheitsreform: US-Präsident Barack Obama. (Foto: Saul Loeb/AFP)

Für die Rechten ist Obamacare ein Schimpfwort, die Linken betrachten sie als Trophäe. Auf jeden Fall ist die Gesundheitsreform das Vermächtnis des Demokraten. Spätestens 2016 könnte sie ihre ganze Wirkung entfalten - nicht nur medizinisch, sondern auch, wenn es um Obamas Nachfolge geht.

Ein Kommentar von Nicolas Richter, Washington

Barack Obama hat eine Gesundheitsministerin gegen die nächste getauscht, aber das Gesicht der amerikanischen Gesundheitspolitik bleibt das gleiche: Es ist das von Barack Obama. Die größte Sozialreform der vergangenen Jahrzehnte ist mit diesem Präsidenten so eng verbunden, dass sie bloß noch "Obamacare" heißt. Die Rechten verwenden es als Schimpfwort, die Linken als Trophäe, auf jeden Fall aber ist es Obamas Vermächtnis.

Die bisherige Ministerin Kathleen Sebelius ist angeblich zurückgetreten, weil sie es wollte, wohl ausgebrannt und müde der endlosen, teils unverschämten Attacken von rechts. Der Abschied dürfte dem Weißen Haus aber sehr recht sein. Sebelius ist mitverantwortlich für den peinlichen Systemabsturz jener Online-Börse, die private Krankenversicherungen vermittelt. Inzwischen sind die Pannen zwar behoben, aber es entspricht doch politischer Logik, dass jemand Konsequenzen zieht aus dem teuren, rufschädigenden Desaster. Auf viele Angriffe aus dem Parlament kann das Weiße Haus jetzt antworten, dass die zuständige Bürokratin ja gegangen sei.

Der politische Hauptverantwortliche aber ist und bleibt Barack Obama. Auch ohne Sebelius steht ihm und seinen Demokraten ein quälendes Jahr bevor. Wer als Präsident im Frühling so unbeliebt ist wie Obama jetzt, kann im November keine Milde erwarten. Bei der Parlamentswahl im Herbst also werden die Demokraten wohl das Abgeordnetenhaus nicht zurückgewinnen und womöglich sogar die Mehrheit im Senat verlieren. Der Präsident müsste dann während der übrigen zwei Jahre im Amt gegen beide Kongressmehrheiten regieren.

Die Amerikaner hadern aus vielen Gründen mit ihrem Präsidenten, aber Obamacare ist der wichtigste. Wer sich als Demokrat bald den Wählern stellen muss, versucht sich von der Reform abzusetzen. Wer für die Republikaner antritt, nennt das Gesundheitswesen als Ursache für den bevorstehenden Untergang Amerikas.

Noch immer also weigert sich das Land, schlicht ein paar Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Erstens: Obamacare beendet Ausgrenzung und Ausbeutung von Millionen kranken Menschen. Wer krank ist, kann jetzt zum Arzt gehen und bekommt Arznei. Zweitens: Obamacare ist erfolgreich. Die Regierung meldet jetzt sieben Millionen Neuversicherte. Womöglich ist diese Zahl leicht geschönt, aber auch nach den Berechnungen unabhängiger Institute haben Millionen Amerikaner jetzt Zugang zu Praxen, Krankenhäusern und Medikamenten - zum ersten Mal überhaupt oder zu besseren Konditionen als früher.

Drittens: Obamacare wird bleiben. Wenn Obamas Amtszeit endet, könnte es schon 20 Millionen Neuversicherte geben; das System wird so etabliert sein, dass es die Republikaner auch dann kaum abschaffen könnten, wenn sie alle Macht hätten. Immer mehr Amerikaner werden erkennen, dass sie mit der Reform gut bedient sind, und sie werden erkennen, dass die Republikaner nicht eine vernünftige Alternative zu bieten haben.

Alle diese Vorteile von Obamacare dürften Amerikas Wahrnehmung langsam verändern, mit der Wirkgeschwindigkeit homöopathischer Heilkräuter. Viele Bürger (und Wähler) dürften feststellen, dass es nicht immer anmaßend ist, wenn sich der Staat in Gesundheitsfragen einmischt, dass die von den Republikanern prophezeite Apokalypse ausbleibt, dass Obamacare dilettantisch eingeführt und erläutert, aber professionell fortgesetzt wurde.

Für die Wahl im Herbst werden Obamas Kräuterelixire zu spät kommen. Aber schon vor der Präsidentschaftswahl 2016, und weit darüber hinaus, könnte Obamacare seine ganze Wirkung entfalten - nicht nur medizinisch für Millionen Amerikaner, sondern auch politisch, für die derzeit schwer gebeutelten Demokraten.

© SZ vom 12.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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