US-Geheimdienstbericht zu Giftgasangriff in Syrien:"Das Regime muss überaus frustriert gewesen sein"
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"Wir gehen davon aus ...", "wir denken ...", "wir glauben ...": Die Vereinigten Staaten haben bei dem Giftgasangriff nahe Damaskus zwar Indizien für die Urheberschaft des Assad-Regimes gefunden, aber keine "Smoking Gun". Süddeutsche.de dokumentiert die Stellungnahme des Weißen Hauses in deutscher Übersetzung.
Am Freitag hat die US-Regierung eine von der Geheimhaltung befreite Version eines Berichtes veröffentlicht, der Erkenntnisse der amerikanischen Geheimdienste zum Einsatz von Chemiewaffen in Damaskus enthält. Die Geheimdienste kommen darin zu dem Schluss, dass das syrische Regime für den mutmaßlichen Giftgasangriff am 21. August verantwortlich ist.
Das englische Original finden Sie unter anderem auf der Webseite des Weißen Hauses .
"Die Einschätzungen der US-Regierung zum Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung am 21. August 2013
Die Regierung der Vereinigen Staaten geht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die syrische Regierung am 21. August dieses Jahres einen Angriff mit Chemiewaffen in Vororten von Damaskus durchgeführt hat. Wir glauben zudem, dass das Regime bei diesem Angriff Nervengas benutzt hat. Diese Einschätzung beruht auf Geheimdienstmeldungen, persönlichen Berichten und geografischen Daten ebenso wie auf öffentlich zugänglichen Berichten. Diese geheime Beurteilung wurde dem Kongress sowie wichtigen internationalen Partnern zur Verfügung gestellt. Um unsere Quellen und Vorgehensweise zu schützen, ist es nicht möglich, den gesamten Geheimdienstbericht der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Der folgende Bericht, der eine Zusammenfassung der Analyse der amerikanischen Geheimdienste darstellt, ist hingegen nicht zur Geheimhaltung bestimmt.
Der Einsatz von Giftgas durch das syrische Regime am 21. August
Viele unabhängige Quellen lassen vermuten, dass am 21. August in Vororten von Damaskus ein Chemiewaffenangriff stattgefunden hat. Neben den Informationen der amerikanischen Geheimdienste stützt sich diese Annahme auf Angaben internationaler und syrischer Mediziner, Videos, Augenzeugenberichte, Tausende Berichte in sozialen Netzwerken, die von mindesten zwölf verschiedenen Standorten im Großraum Damaskus stammen, sowie Journalistenberichte und Berichte von sehr zuverlässigen und glaubwürdigen Nicht-Regierungsorganisationen.
Die vorläufige Bewertung der US-Regierung lautet, dass 1429 Personen während des Angriffs getötet wurden. Unter ihnen waren mindestens 426 Kinder. Die Zahl der Opfer könnte sich verändern, je mehr Informationen wir erhalten.
Wir gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die syrische Regierung am 21. August den Chemiewaffenangriff in Vororten von Damaskus durchgeführt hat. Das Szenario, dem zufolge die Opposition diesen Angriff durchgeführt haben könnte, beurteilen wir als sehr unwahrscheinlich. Diese Einschätzung beruht auf den Geheimdienstinformationen, die die Vorbereitung und Durchführung des Angriffs durch das Regime betreffen, unseren Beobachtungen nach dem Angriff und Unterschieden zwischen den militärischen Möglichkeiten des Regimes im Gegensatz zur Opposition.
Die Einschätzung "mit hoher Wahrscheinlichkeit" ist die stärkste Position, die die amerikanischen Geheimdienste angesichts fehlender Nachweise einnehmen können. Wir werden auch weiterhin zusätzliche Informationen auswerten, die die kleinen Lücken im Ablauf der Ereignisse schließen können.
Das syrische Regime verfügt über einen Vorrat an verschiedenen chemischen Kampfstoffen, unter ihnen Senfgas, Sarin und VX. Es ist im Besitz von Waffen, mit denen solche Kampfstoffe eingesetzt werden können.
In letzter Instanz entscheidet der syrische Präsident Baschar al-Assad über den Einsatz des Chemiewaffenprogramms. An diesem Programm Beteiligte werden sorgfältig ausgewählt, um Loyalität und Sicherheit zu garantieren. Das syrische "Scientific Studies and Research Center" (SSRC) - eine Abteilung des Verteidigungsministeriums - trägt die Verantwortung für das syrische Chemiewaffenprogramm.
Wir gehen davon aus, dass das syrische Regime Chemiewaffen - in geringerem Ausmaß - bereits mehrere Male im Laufe des vergangenen Jahres gegen die Opposition eingesetzt hat, auch in Vororten von Damaskus. Diese Einschätzung basiert auf verschiedenen Quellen: etwa einem Bericht, wonach syrische Militärs Angriffe mit Chemiewaffen geplant und ausgeführt haben, zudem einer Analyse von Körperproben verschiedener Syrer. Diese Proben haben deren Kontakt mit Sarin-Gas bestätigt. Wir gehen davon aus, dass die Opposition keinerlei Chemiewaffen eingesetzt hat.
Die syrische Regierung ist im Besitz mehrerer Arten von Waffen, die nach unserer Einschätzung eingesetzt wurden, um die Angriffe vom 21. August durchzuführen. Zudem verfügt das Regime über die Möglichkeit, gleichzeitig mehrere Orte anzugreifen. Wir haben keinerlei Anzeichen dafür, dass die Opposition einen groß angelegten, koordinierten Angriff mit Artillerie und Raketen wie den am 21. August ausgeführt hat.
Wir denken, dass das syrische Regime die chemischen Waffen im vergangenen Jahr in erster Linie verwendete, um in Regionen die Oberhand zu gewinnen bzw. eine Pattsituation aufzubrechen, in denen es bisher Probleme hatte, strategisch wertvolle Gebiete zu halten oder zu erobern. In dieser Hinsicht glauben wir nach wie vor, dass das syrische Regime Chemiewaffen als eines von vielen Werkzeugen in ihrem Arsenal ansieht - neben der Luftmacht und Raketengeschossen -, die willkürlich gegen die Opposition eingesetzt werden können.
Das syrische Regime wollte die Vororte von Damaskus von Oppositionskräften säubern, die die Gegend als eine Basis für Angriffe auf Ziele des Regimes in der Hauptstadt nutzen. Dem Regime ist es nicht gelungen, Dutzende von Gebiete in Damaskus (inklusive der Ziele vom 21. August) von den Oppositionskräften zu säubern, obwohl es fast ihr ganzes konventionelles Waffenarsenal eingesetzt hatte. Wir denken, dass das Regime überaus frustriert gewesen sein muss, es nicht geschafft zu haben, diese Teile Damaskus unter Kontrolle zu bringen. Diese Frustration mag dazu beigetragen haben, am 21. August Chemiewaffen einzusetzen.
Vorbereitung
Geheimdienstberichte führen uns zu der Feststellung, dass syrische Chemiewaffenexperten, die auch mit der SSRC in Verbindung standen, vor dem Angriff chemische Munition vorbereitet haben. In den drei Tagen vor dem Angriff haben wir Geheimdienstmeldungen, persönliche Berichte und geografische Daten erhalten, die, wie wir glauben, Aktivitäten des Regimes aufzeigen, die mit der Vorbereitung eines Chemieangriffs in Verbindung stehen.
Chemiewaffenexperten hielten sich von Sonntag, 18. August, bis zum frühen Mittwochmorgen, 21. August, in 'Adra, einem Vorort von Damaskus auf. In der Nähe mischt das Regime Chemiewaffen, etwa Sarin. Am 21. August bereiteten sich Teile eines syrischen Regiments auf einen Giftgasangriff auf Teile Damaskus' vor, etwa durch die Ausgabe von Gasmasken. Die Quellen unserer Geheimdienste in Damaskus haben in den Tagen vor dem Angriff keine Anzeichen dafür feststellen können, dass die Opposition vorhätte, Chemiewaffen einzusetzen.
Viele Geheimdienstquellen legen nahe, dass das Regime in den Morgenstunden des 21. August einen Raketen- und Artillerieangriff gegen die Vororte von Damaskus durchgeführt hat. Satellitenbilder untermauern, dass die Angriffe aus einem vom Regime kontrollierten Gebiet ausgingen und das Ziel von Rebellen kontrollierte Gebiete waren - etwa die Stadtteile Kafr Batna, Jawbar, 'Ayn Tarma, Darayya und Mu'addamiyah. Diese Aufnahmen beinhalten den Nachweis von Raketenstarts in vom Regime kontrollierten Gebieten am frühen Morgen, ungefähr 90 Minuten bevor zum ersten Mal in sozialen Netzwerken von einem Chemieangriff berichtet wurde. Dass es zu dieser Zeit keine Flugaktivitäten gab, bekräftigt uns in der Annahme, dass bei dem Angriff Raketen verwendet wurden.
Die örtlichen Medien berichteten, dass der Chemieangriff auf die Vororte um 2.30 Uhr nachts begann. Innerhalb der nächsten fünf Stunden gab es Tausende Berichte über einen Angriff in sozialen Netzwerken, die von mindestens zwölf verschiedenen Orten im Großraum Damaskus abgeschickt wurden. Viele Einträge berichten von mit Chemikalien gefüllten Raketen, die in von der Opposition kontrollierten Gegenden eingeschlagen seien.
Den Berichten einer glaubwürdigen internationalen Hilfsorganisation zufolge nahmen drei Krankenhäuser im Großraum in weniger als drei Stunden ungefähr 3600 Patienten auf. Sie zeigten Symptome, wie sie auch bei Kontakt mit Nervengas auftreten. Die Symptome, von denen berichtet wird, sowie das Ereignismuster (die Aufnahme vieler Patienten in einer kurzen Zeit, die Herkunft der Patienten, sowie die Kontamination des medizinischen Personals) implizieren einen intensiven Kontakt mit Nervengas.
Wir haben hundert Videos gesichtet, die mit dem Angriff in Verbindung stehen. Auf vielen von ihnen ist eine große Anzahl von Leichen, deren Körper Anzeichen zeigen, die mit einen Kontakt mit Nervengas einhergehen, aber nicht nur dort vorkommen. Die Symptome waren neben Besinnungslosigkeit, Schaum in Mund und Nase und verengten Pupillen auch schneller Herzschlag und schwerer Atem. Einige der Videos zeigen Tote ohne sichtbare Verletzungen: Dies würde einem Tod durch Chemiewaffen entsprechen, nicht einem Tod durch kleinkalibrige Waffen, hochexplosive Munitionen oder Hautkampfstoffe. Mindestens zwölf verschiedene Orte sind auf den öffentlich zugänglichen Videos zu sehen. Die genaue Durchsicht der Videos bestätigt, dass einige an den Orten und zu den Zeiten aufgenommen wurden, wie sie in den Aufnahmen beschrieben wurden.
Wir glauben nicht, dass die syrische Opposition die Möglichkeiten hat, alle Videos, die von Medizinern bestätigten Symptome und andere Informationen im Zusammenhang mit dem Angriff zu fälschen.
Wir haben eine Vielzahl von Informationen - auch das bisherige Vorgehen des Regimes -, die uns zu dem Schluss bringen, dass Vertreter des Regimes bewusst den Angriff vom 21. August durchgeführt haben. Wir haben die Kommunikation eines Offiziers abgefangen, der mit dem Angriffen vertraut war und den Angriff vom 21. August bestätigt hat. Er zeigte sich besorgt über die UN-Inspektoren im Land, die Beweise über den Einsatz von Chemiewaffen sicherstellen sollen. Wir verfügen über Geheimdienstinformationen, die bezeugen, dass am Nachmittag des 21. August der Befehl erging, die Operation zu beenden. Gleichzeitig intensivierte das Regime das Sperrfeuer durch Artillerie auf die Gebiete, in denen die Chemieangriffe stattfanden. In den 24 Stunden nach dem Angriff war der Beschuss durch Artillerie und Raketen ungefähr vier Mal höher als in den zehn Tagen zuvor.
Wir haben noch bis zum 26. August ein anhaltendes Bombardement der Gegend beobachtet.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass es eine erhebliche Zahl von Informationen gibt, welche implizieren, dass die syrische Regierung für den Angriff mit Chemiewaffen am 21. August verantwortlich ist. Wie bereits angedeutet gibt es zusätzliche Geheimdienstinformationen, die aufgrund ihrer Quellen und Methoden unter Verschluss bleiben und dem Kongress und internationalen Partnern vorgelegt werden."