US-Demokraten:Warum Bernie Sanders nicht aufgibt - und wieso das gut ist

Bernie Sanders campaigns in Oregoni

Bernie Sanders bei einer Wahlkampfveranstaltung am Dienstag in Oregon.

(Foto: AFP)

In West Virginia gewinnt der Senator die nächste Vorwahl. Auch wenn Funktionäre und Journalisten genervt sind: Wenn Sanders weitermacht, hat Hillary Clinton bessere Chancen aufs Weiße Haus.

Kommentar von Matthias Kolb, Washington

Alles spricht dafür, dass sich die Amerikaner am 8. November zwischen dem Republikaner Donald Trump und der Demokratin Hillary Clinton entscheiden müssen. Zwar hat Bernie Sanders, der selbst ernannte "demokratische Sozialist", in West Virginia seine 19. Vorwahl gewonnen, doch sein Rückstand auf die Ex-Außenministerin bei den Delegierten scheint zu groß.

Wäre es also nicht konsequent, wenn der Senator aus Vermont nun seine Kandidatur schnell beenden würde? Mehrere Artikel (etwa in der Huffington Post, im New Republic oder auf der Kolumnen-Seite der New York Times) forderten genau dies. Das Argument: Sanders nerve mit seiner Beharrlichkeit, er ziehe die ohnehin unpopuläre Clinton weiter nach unten und sei so "Trumps wichtigster Helfer" (Spiegel Online).

Abgesehen davon, dass der Provokateur Trump von niemandem Inspiration braucht, um neue Attacken und Beleidigungen für Clinton zu finden: Die aufgeregten Forderungen nach einem sofortigen Ausstieg von Sanders ignoriert die Besonderheit seiner Kampagne. Der 74-Jährige ist angetreten, damit Amerika endlich über Themen wie soziale Ungleichheit, den Einfluss von Großspendern auf die Politik und Krankenversicherung redet.

Eben weil es ihm mehr ums Prinzip als die eigene Karriere geht, haben 2,4 Millionen US-Amerikaner für "Bernie 2016" gespendet. Sanders ist glaubwürdig, authentisch und wütend - deswegen kommen Zehntausende zu seinen Events und deswegen denken viele Wähler weiterhin, dass Stimmen für ihn keine Verschwendung sind.

Den Sanders-Fans geht es um die Sache

Tausende haben ihre Jobs gekündigt oder das Studium unterbrochen, um als Freiwillige im ganzen Land Wähler zu informieren (mehr bei jetzt.de), dass es wieder einen Politiker gibt, der dem Hyperkapitalismus den Kampf ansagt. Sie sind begeistert, dass ein Kandidat offensichtliche Dinge ausspricht: Etwa, dass mit einem Mindestlohn von 7,25 Dollar pro Stunde ein menschenwürdiges Leben nicht möglich ist.

Sanders wird von seinen Fans verehrt (kein Verb passt besser), weil er eben keine Deals macht. Obwohl Sanders' Chancen auf die Nominierung gering sind, sind Tausende Bernie-Aktivisten in Kalifornien unterwegs, um als Freiwillige die Wähler im bevölkerungsreichsten Staat aufzuklären.

Es mag idealistisch klingen: Sie glauben, dass sich die USA mittelfristig ändern, wenn mehr Bürger wissen, dass in anderen Industriestaaten kein Student zehntausende Dollar Schulden ansammeln muss oder es rechtlich garantierten Mutterschutz gibt. Und sie sind stolz, dass Sanders Clinton deutlich nach links gerückt hat.

"Von nun an unterstützt ihr bitte Frau Clinton!"

Es stimmt: Sanders hat Clinton gerade im April scharf attackiert, doch seit zwei Wochen ist der Ton gemäßigter und auch er greift vor allem Trump an. Und wenn er heute das Ende seiner Kandidatur verkünden würde, dann würde er der Clinton damit mehr schaden als ihr helfen. Ein vorzeitiges Ende würden die Sanderistas als Verrat auffassen - und ohnehin würde es nicht reichen, wenn der Herausforderer plötzlich sagt: "Von nun an unterstützt ihr bitte Frau Clinton!"

Ja, die Vorbehalte seiner Anhänger gegenüber der früheren First Lady sind groß (gerade bei den Twitter-Aktivisten, deren Leidenschaft die Demokraten brauchen). Aber diese lassen sich eher überwinden, wenn Bernie bis zum Ende durchhält, "in Würde" knapp verliert und dann - etwa mit der linken Ikone Elizabeth Warren - an einer Kooperation arbeitet. Vizepräsident will er nicht werden: Es geht um Einfluss aufs Parteiprogramm und den Ablauf des Parteitags. Und seine Verhandlungsposition ist stark: In diversen Bernie-Gruppen bei Facebook, Reddit und Slack sind neun Millionen organisiert.

Manche Aussagen klingen dramatisch: Unter dem Hashtag #BernieorBust schwören Sanders-Fans, niemals für Clinton zu stimmen. Doch sechs Monate vor dem Wahltag belegen solche Tweets nur Leidenschaft - und keine Garantie. Zur Erinnerung: Vor acht Jahren lieferte sich Clinton mit Barack Obama einen viel erbitterten Zweikampf. Die Hälfte der Clinton-Wähler in Indiana sagte damals laut CNN-Umfrage, dass sie nie für Obama stimmen würden.

Warum Clinton klugerweise Sanders nicht zum Rückzug drängt

Es kam bekanntlich ganz anders: Alle Clinton-Fans stimmten für Obama und dieser wurde durch den langen Vorwahlkampf keineswegs geschwächt. Es spricht zudem nichts dafür, dass Sanders nochmals persönlich gegen Clinton austeilen wird - dies wäre strategisch unklug und TV-Debatten finden nicht mehr statt. Dass sich der 74-Jährige mit aller Kraft dafür einsetzen wird, Donald Trump als US-Präsident zu verhindern, ist völlig klar.

Dieser Satz ist nicht nur Standard in seinen Reden, sondern er erklärt sich aus einer simplen Tatsache, wie Dana Milbank jüngst in der Washington Post schrieb: "Sanders ist kein Idiot."

Es sagt einiges aus, dass seit Ende März weder Hillary Clinton noch ihre Verbündeten den Rivalen Sanders zum Rückzug auffordert haben. Auch sie scheinen - ebenso wie US-Präsident Obama - davon überzeugt, dass Sanders' Ehrenrunde nicht schadet und zu großer Druck das Projekt "Alle zusammen gegen die Republikaner" gefährden würde.

Gewiss: Weil Sanders im Rennen bleibt, muss Clinton einige Millionen mehr ausgeben als geplant. Doch die Ex-Außenministerin wird auf dem Weg ins Weiße Haus nicht scheitern, weil sie zu wenig Geld hat - die 68-Jährige könnte verlieren, weil sie nicht genügend Wähler überzeugen konnte, dass sie die Probleme der Normalbürger versteht.

Und genau für dieses Argument braucht sie die Hilfe von Bernie Sanders und dessen enthusiastische Fans.

Linktipp: Bei einem Auftritt in der Late-Night-Show von Stephen Colbert erklärt Bernie Sanders, wieso er im Rennen bleibt und bis zuletzt um jede Stimme kämpfen wird.

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