US-Demokraten vor Kongresswahl:First Lady muss es richten

Michelle Obama

Michelle Obama wirbt in Colorado für die Demokraten - und für ihren Mann.

(Foto: AP)

Bloß kein Foto mit Barack Obama: Die Demokraten distanzieren sich im US-Wahlkampf von ihrem zunehmend unpopulären Präsidenten. Stattdessen laden sie dessen Ehefrau Michelle ein. Niemand ist wertvoller als sie.

Von Matthias Kolb, Denver

Die Bilanz des Präsidenten wird immer wieder von Jubel unterbrochen. Seit Anfang 2009 sind in Amerika mehr als zehn Millionen neue Jobs entstanden und die Arbeitslosigkeit ist von zehn auf 5,9 Prozent gesunken. Applaus brandet auf, wieder ist eine kleine Pause nötig, bevor es weitergeht. Seit 55 Monaten wächst die US-Wirtschaft ununterbrochen, die Zahl der Highschool-Abschlüsse nimmt ebenso zu wie jene der College-Absolventen - und dank der Gesundheitsreform Obamacare haben Millionen Amerikaner endlich eine bezahlbare Krankenversicherung.

Doch es ist nicht Barack Obama selbst, der kurz vor der Kongresswahl am 4. November diese Bilanz bei vielen Wahlkampfveranstaltungen verkündet. Es ist vielmehr Michelle Obama, die ihren Mann und dessen Arbeit verteidigt - und sie mit einer kleinen Liebeserklärung verbindet: "Fast alle Zahlen zeigen, dass es uns heute wirtschaftlich viel besser geht als damals, als Barack vor sechs Jahren sein Amt antrat. Und ich sage das nicht, weil ich seine Frau bin. Ja, ich liebe meinen Mann, aber ich sage das, weil die Fakten dies belegen."

Bei solchen Sätzen jubeln die Anhänger der Demokraten: 1500 von ihnen versammelten sich an diesem Donnerstag in einer Halle in Denver, um die First Lady zu hören, wie sie für Mark Udall aus Colorado Werbung machte. Dieser wurde 2008 in den Senat gewählt - genau in jenem Jahr, als Barack Obama so viele Amerikaner verzückte und so hohe Erwartungen weckte.

Doch sechs Jahre später läuft Udall Gefahr, abgewählt zu werden und deswegen möchte er so wenig wie möglich mit dem 44. US-Präsidenten zu tun haben. "Obama ist hier eine 'Persona non grata', man will ihn nicht sehen", berichtet Politik-Analyst Floyd Ciruli im Gespräch mit Süddeutsche.de. Im Juli sei Obama nach Denver gereist, um Spenden für die Demokraten zu sammeln. Eigentlich sollte Senator Udall dort eine Rede halten, erinnert sich Ciruli: "Plötzlich sagte Udall den Termin ab - wegen einer angeblich wichtigen Abstimmung in Washington. Das war aber nur vorgeschoben. Er wollte einfach verhindern, dass er mit Obama fotografiert wird und das Schlagzeilen macht."

Größtmögliche Distanz zu Obama

Was in Colorado geschieht, lässt sich in ganz Amerika beobachten. Egal ob in Georgia, Iowa, Arkansas, Louisiana, North Carolina oder Georgia: In allen Staaten, in denen die Demokraten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Republikanern liefern, distanzieren sich die Kandidaten von Barack Obama. Das wirkt mitunter absurd - etwa, wenn Allison Grimes aus Kentucky ständig der Frage ausweicht, ob sie bei den Wahlen 2008 und 2012 für Obama gestimmt habe. Sie beruft sich auf das Wahlgeheimnis und betont sofort, dass sie ein großer Fan der Clintons sei.

In Kentucky ist Obama äußerst unbeliebt, weil seine strengeren Auflagen für Kraftwerke der dortigen Kohleindustrie schaden. In Colorado stören sich viele Wähler daran, dass der US-Präsident strengere Waffengesetze fordert. Landesweit liegt Obamas Zustimmungsrate bei mickrigen 40 Prozent - und in vielen Staaten wie Colorado, Alaska oder Kentucky ist sie noch niedriger.

Die Schlussfolgerung der demokratischen Berater ist klar: Ein Auftritt an der Seite von Barack Obama kann da nur schaden. Das liegt auch an der Strategie der Republikaner, die in diesem Wahlkampf nicht so stark wie sonst niedrigere Steuern fordern und Obamacare verdammen, sondern die hart kämpfenden Demokraten ständig mit dem Präsidenten zusammenbringen. Oft wird vorgerechnet, wie vielen Gesetzen von Obama der jeweilige Kandidat zugestimmt hat - Mark Udall kommt angeblich auf 99 Prozent, wie in mehreren Werbespots betont wird.

Natürlich kennt Obama seine eigenen Popularitätswerte und weiß wohl, dass er gerade Demokraten in konservativen Staaten wie Georgia, Louisiana oder Arkansas am besten helfen kann, indem er sich zurückhält. Doch völlig abtauchen kann und will der US-Präsident auch nicht. Anfang Oktober sagte er bei einer Grundsatzrede zur Wirtschaftspolitik: "Ich stehe zwar nicht zur Wahl im Herbst, aber macht nicht den Fehler anzunehmen, dass es nicht auch um meine Politik geht."

Der Satz ließ die Strategen der Republikaner jubeln, denn schließlich hatte der US-Präsident höchstpersönlich die Mid-Terms zum Referendum über seine Politik erklärt. Für noch mehr Ärger bei den wahlkämpfenden Demokraten sorgte ein Interview Obamas mit dem schwarzen Bürgerrechtler und TV-Moderator Al Sharpton, in dem er Verständnis dafür äußerte, dass sich manche Senatoren nun von ihm distanzieren. Allerdings sei auch klar: "Das sind die Leute, die für meine Gesetze gestimmt haben. Sie haben meine Agenda im Kongress unterstützt." Innerhalb von Stunden hatten konservative Aktivisten dieses Zitat in diverse Werbeclips und Online-Grafiken eingebaut, um Demokraten wie Mark Udall in Colorado, Kay Hagan in North Carolina oder Mary Landrieu in Louisiana als Obama-Gehilfen darzustellen.

Anstelle von Barack Obama sind andere Spitzen-Demokraten in diesem Herbst viel gefragter: Neben der kapitalismuskritischen Elizabeth Warren sind es vor allem Bill und Hillary Clinton, (mehr über ihren Auftritt in Colorado hier), die für viel Trubel bei Medien und den eigenen Anhängern sorgen.

Warum Michelle Obama viel populärer ist als ihr Mann

Doch zurzeit ist niemand so wertvoll wie Michelle Obama. Die First Lady, die vor kurzem mit einem Rüben-Tanz zum Internet-Star wurde, ist deutlich beliebter als ihr Mann: Mehr als 60 Prozent der Amerikaner mögen sie - wohl auch, weil sie sich meist aus der Tagespolitik raushält. Doch bei dieser Kongresswahl kämpft Michelle für das politische Erbe ihres Mannes und sie kann genau jene Wählergruppen motivieren, deren Stimmen die Demokraten nicht nur in Colorado brauchen. Gerade bei niedriger Wahlbeteiligung ist Obamas Partei auf Latinos, Afroamerikaner, Studenten und junge Frauen angewiesen - und bei ihnen kommt Michelle gut an.

"Ich bewundere sie für ihr Engagement für Bildung und gesunde Ernährung von Kindern", sagt die 62-jährige Janet Thompson. Ihr Begleiter, der 72-jährige Bob Kirkdall ergänzt: "Sie ist eine große Unterstützung für meinen Präsidenten." Wie viele Afroamerikaner haben die beiden sich für die Veranstaltung herausgeputzt und in ihren Augen ist der Stolz auf die Obamas deutlich zu erkennen. Sie muss Michelle Obama in ihrer Rede nicht von den Inhalten überzeugen - sie muss sie ermuntern, sich noch mehr zu engagieren, indem sie als Freiwillige Wähler anrufen oder Material verteilen.

Wie Hillary Clinton appelliert auch die First Lady vor allem an die Wählerinnen, die Demokraten zu unterstützen, damit ihre Rechte nicht beschnitten werden. "Wir wollen unser Land in die Zukunft führen, die Republikaner leben in der Vergangenheit." Leidenschaftlich wirbt sie für eine Einwanderungsreform, was bei den anwesenden Latinos gut ankommt.

Michelles persönlicher Aufstieg - sie schaffte es aus einfachen Verhältnissen an die Elite-Uni Princeton - imponiert nicht nur Marisol und Jessica, deren Eltern aus Mexiko und Honduras stammen. Die jungen Frauen, beide Mitte zwanzig, fühlen sich von der First Lady verstanden. "Sie hat eine tolle Rede gehalten. Ich komme aus einer armen Familie und für uns ist sehr schwer, eine gute Ausbildung zu bekommen. Wir haben viele Jobs, um das hinzukriegen und uns eine bessere Zukunft aufzubauen", sagt Marisol. "Ich habe angefangen zu weinen, als sie geredet hat. Alles ist wahr, was sie gesagt hat", ergänzt Jessica. Beide wollen sich noch stärker engagieren, damit Mark Udall wieder in den Senat gewählt wird.

Dieser hatte keine Probleme, sich mit der First Lady fotografieren zu lassen - er weiß, dass ihm diese Aufnahmen bei den meisten Wählern nicht schaden werden. Ob das Kalkül von Udall und den anderen demokratischen Kandidaten in eher konservativen Staaten aufgeht, wird sich zeigen. Manch ein Berater orakelt, dass die Afroamerikaner zu Hause bleiben könnten, wenn sich Demokraten zu sehr von ihrem Helden Barack Obama distanzieren.

Und es ist auch fraglich, ob einige der Videos Wirkung zeigen, in denen die Kandidaten sich von Obama abgrenzen beziehungsweise als besonders überparteilich zeigen. So betont etwa Michelle Nunn, demokratische Kandidatin in Georgia, dass es von ihr nicht nur Bilder mit Obama gebe - sondern auch George Bush senior, für dessen Stiftung sie einst gearbeitet habe.

Und Mark Udall kritisiert in diesem Clip die Überwachung von US-Bürgern durch die NSA, die unter George W. Bush begann und die Obama fortgesetzt habe.

Ob sich der leidenschaftliche Einsatz von Michelle Obama gelohnt hat und ob die Entscheidungen der Demokraten richtig war, ihren Präsidenten "auf die Bank zu setzen", wie es die New York Times spitz formulierte, wird sich am Wahlabend zeigen.

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