US-Demokraten und #MeToo:Bill Clintons vergiftetes Erbe

Wegen #MeToo wollen Demokratinnen bei Trumps "Rede zur Lage der Nation" schwarz tragen. Ähnlich wichtig ist es, dass die Partei offen über Bill Clinton spricht. Im Jahr 2018 wirken dessen sexuelle Übergriffe schockierend bekannt.

Von Matthias Kolb

(FILE) Vanity Fair Publishes Monica Lewinsky Articles On Clinton Affair Monica Lewinsky meets with President Clinton

Eine Aufnahme aus dem Jahr 1996 zeigt Bill Clinton (links) und Monica Lewinsky auf einer Weihnachtsfeier im Weißen Haus. Das Foto diente später als Beweismittel im Ermittlungsverfahren gegen den US-Präsidenten.

(Foto: Getty Images)

Die Meldung über die angebliche Untreue des US-Präsidenten kommt zum denkbar unpassenden Zeitpunkt. Wenige Tage vor der wichtigen "Rede zur Lage der Nation" meldet eine renommierte Zeitung, dass der mächtigste Mann der Welt eine Affäre mit einer deutlich jüngeren Frau gehabt habe - was dieser erbost abstreitet.

Dieser Text dreht sich nicht um Donald Trump und dessen Beziehung zur Pornodarstellerin Stormy Daniels, die laut Wall Street Journal vom 12. Januar 2018 130 000 Dollar Schweigegeld bekommen haben soll (Details hier). In diesem Text soll es um Bill Clinton gehen, über dessen Affäre mit der Ex-Praktikantin Monica Lewinsky die Washington Post am 21. Januar 1998 unter der Überschrift "Clinton wird beschuldigt, Mitarbeiterin zur Lüge gedrängt zu haben" berichtete. Dass dies allein wegen der Machtverhältnisse ein Fall von Missbrauch und keine "einvernehmliche Beziehung" gewesen sein könnte, wurde 1998 fast nie thematisiert.

Es geht nicht darum, die Anschuldigungen und Taten des Republikaners Donald Trump mit den Anschuldigungen und Taten des Demokraten Bill Clinton gleichzusetzen oder im Sinne von "halb so schlimm" oder "genauso schlimm" zu werten. Aber die #MeToo-Debatte und die Ankündigung mehrerer Demokratinnen, aus Solidarität bei Trumps "Rede zur Lage der Nation" (Mittwoch, drei Uhr deutscher Zeit) schwarz tragen und damit dem Vorbild der Schauspielerinnen bei der Golden-Globe-Gala folgen zu wollen, sind gute Anlässe, die Ereignisse der Neunziger Jahre und auch die damalige Berichterstattung genauer zu betrachten.

Es ist der Clinton-Skandal, nicht der Lewinsky-Skandal

Die Protestaktion der Politikerinnen ist zu begrüßen, aber sie ist lediglich Teil eines schmerzhaften Prozesses für das progressive Amerika. Der populäre Senator Al Franken musste im Herbst nach Berichten über seine sexuellen Übergriffe erkennen, dass seine Partei so etwas 2017 nicht mehr duldet und sein Amt aufgeben.

Allerdings hat mit Senatorin Kirsten Gillibrand bislang nur eine Top-Demokratin den Mut gehabt, um öffentlich zu sagen: "Bill Clinton hätte damals zurücktreten sollen." Ob sich die anderen Kongressmitglieder aus Überzeugung oder wegen des weit verzweigten Spender-Netzwerks der Clintons nicht äußern wollen, bleibt offen. So oder so: Die Demokraten ringen damit, wie mit Helden wie Bill Clinton oder Ex-Vizepräsident Joe Biden umzugehen ist, die in der Vergangenheit Dinge taten oder sagten, die heute als mindestens sexistisch gelten.

Unter Journalisten findet ein Hinterfragen der früheren Arbeit bereits statt. Susan Glasser betreute die Recherchen der Washington Post und ist entsetzt über die damalige Wortwahl: "Es gab eine sehr antiquierte und sexistische Charakterisierung aller Frauen, insbesondere von Monica Lewinsky. Ihre Aufrichtigkeit wurde in Zweifel gezogen, auch indem man über ihr Äußeres und ihre angeblich fehlende Reife sprach. (...) Heute wissen wir: Alles, was sie gesagt hatte, war wahr."

Glasser diskutierte jüngst bei Politico mit anderen Reportern, die 1998 die Story aufdeckten. Michael Isikoff hatte als Erster alle Details zusammen, doch Newsweek zögerte mit der Publikation, um dem Amt des Präsidenten nicht zu schaden. Isikoff illustriert das Denken der späten Neunziger so: "Neulich habe ich im TV-Studio wieder vom Lewinsky-Skandal gesprochen und wurde getadelt - und zwar völlig zu Recht. Es war ein Clinton-Skandal, nicht der Lewinsky-Skandal." Diese unsensible Wortwahl hielt mindestens bis 2017 an, auch in Texten des Autors dieses Artikels.

Wenn man die alten Berichte liest, dann wird der Unterschied schnell klar. Heute ist die Öffentlichkeit nach dem Weinstein-Skandal und den anderen Enthüllungen viel eher bereit, den Frauen zu glauben. Früher konnte folgende Schilderung leicht abgetan werden: Da berichtet eine Staatsangestellte, dass sie 1991 von Polizisten in ein Hotelzimmer gebracht wurde, wo der Gouverneur seine Hose runtergelassen und Oralsex gefordert habe.

Die Frau hieß Paula Jones und der Gouverneur Bill Clinton. Dieser war schon Präsident, als Jones ihn 1994 verklagte. Das Verfahren wurde 1998 nach einer Zahlung von 850 000 Dollar und ohne Schuldeingeständnis eingestellt. Durch diesen Prozess wurde jedoch Clintons Verhältnis mit Lewinsky bekannt und schließlich ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet.

Damals, so Isikoff heute, sei er misstrauisch gewesen, weil Clintons politische Gegner Paula Jones präsentierten - obwohl die Staatsangestellte Zeugen nennen konnte, die bestätigten, dass Polizisten Jones abgeholt hatten und dass die damals 24-Jährige sichtlich schockiert zurückgekommen war.

Der Vorwurf der Vergewaltigung wurde trotz Zeugen abgetan

Noch größer war das Misstrauen gegen Juanita Broaddrick, die die schwersten Anschuldigungen erhebt. 1978 war sie 35 Jahre alt und der 31-jährige Clinton Generalstaatsanwalt von Arkansas. Sie lernten sich bei einem Wahlkampftermin kennen und wollten sich Wochen später in einem Café treffen.

Kurz vorher, so sagt es Broaddrick, habe Clinton in ihrem Hotelzimmer angerufen und gebeten, sich dort zu treffen, da Reporter in der Lobby seien. Im Zimmer habe Clinton sie wild geküsst und in die Lippe gebissen. Trotz ihrer Proteste ließ er nicht von ihr ab, so Broaddrick. Stattdessen habe er sie aufs Bett geworfen und vergewaltigt. Danach soll er seine Sonnenbrille aufgesetzt und gesagt haben: "Hol dir Eis für die geschwollene Lippe."

Auch für diesen Vorfall gibt es Zeuginnen, die wichtige Details - geschwollene, blaue Lippen und verheulte Augen - bestätigen und betonen, dass Broaddrick ihnen damals den Schwur abnahm, nichts zu verraten. Sie war damals verheiratet und gab sich die Schuld an der Situation - auch weil sie keine Frau kannte, die vergewaltigt worden war. Während Paula Jones, Gennifer Flowers (Clinton gibt zu, mit ihr eine Affäre gehabt zu haben) und Kathleen Willey (sie wirft Clinton vor, sie im Weißen Haus bedrängt und begrabscht zu haben) ihre Geschichten zu Geld machen wollten, tat Broaddrick dies nie.

Bereits im Sommer 2016 veröffentlichte die junge Investigativreporterin Katie Baker bei Buzzfeed ein sehr ausgewogenes Porträt von Broaddrick, das in der Zielgruppe der Millennials viele Fragen aufwarf. Damals war die heute 75-Jährige noch nicht mit Donald Trump vor der TV-Debatte im US-Wahlkampf in St. Louis aufgetreten. Mit Baker sprach sie glaubwürdig über ihre traumatisierende Erfahrung und darüber, wie sehr sie ein Tweet von Hillary Clinton im Jahre 2015 verletzt hatte. Clinton hatte betont, dass jedes Opfer eines sexuellen Übergriffs "angehört und unterstützt" werden sollte - und dass man ihm glauben sollte.

Wenn man die Schilderungen von Juanita Broaddrick liest und mit den Aussagen der Opfer von Roy Moore, dem gescheiterten Senatskandidaten aus Alabama, aus der Washington Post vergleicht, dann sind die Schilderungen nicht weniger plausibel und in sich schlüssig. Natürlich ist es individuell verschieden, ob man in diesem oder jenem Fall dieser oder jener Aussage mehr glaubt. Die Struktur ist aber sehr ähnlich: Es geht um einen mächtigen Mann, der in solchen Übergriffen nichts Falsches sieht und ein "Nein" von Frauen nicht akzeptiert.

Über Clintons Sexleben wurde geraunt, aber niemand sprach es öffentlich an

Nach den Enthüllungen in den USA um Harvey Weinstein und in Deutschland um Dieter Wedel kommt immer wieder die Frage auf, warum niemand etwas gesagt habe (zuletzt gestellt von Simon Verhoeven). Für das politische Washington gilt das auch. Wenn es um Bill Clinton ging, wurde nicht der Begriff "sexual assault" verwendet, sondern eher "peccadilloes" (Kavaliersdelikte).

In Büchern über das Impeachment-Verfahren (etwa "The Breach" von Peter Baker) ist nachzulesen, dass so viele Gerüchte über Clintons Sexualleben kursierten (Affären mit einer Miss America, der Gattin eines Botschafters, einer Richterin, einer Stewardess), dass die Reporter längst den Überblick verloren hatten. Allerdings, so erinnert sich ein langjähriger Reporter im zitierten Politico-Gespräch, habe man selten darüber nachgedacht, dies in der Berichterstattung zu thematisieren.

Heute ist die Überzeugung unter vielen Reportern (und Politbeobachtern) eine andere, wie etwa Matthew Yglesias argumentiert. Der Mitgründer von Vox.com argumentierte im Herbst, dass Clinton damals hätte zurücktreten und durch seinen Vize Al Gore ersetzt werden sollen. Dass er seine Macht als Präsident ausgenutzt habe, um eine Affäre mit einer erst 22 Jahre alten Angestellten zu beginnen, sei nichts anderes als eine "moralische Bankrotterklärung", so Yglesias.

Joe Biden hat sich für Fehler entschuldigt, Clinton nicht

Natürlich müssen die Vorgänge der Neunziger Jahre im Lichte ihrer Zeit gesehen werden, doch das darf den kritischen Rückblick nicht verhindern. Die Autorin Rebecca Traister erinnert zurzeit oft an ein Ereignis aus dem Jahr 1991. Damals entschied der Justizausschuss über die Nominierung des schwarzen Juristen Clarence Thomas an den Supreme Court - und Thomas' frühere Mitarbeiterin Anita Hill beschrieb in der Anhörung, wie ihr Boss sie jahrelang sexuell belästigt hatte, indem er ihr im Büro von Pornofilmen vorgeschwärmt und sein Geschlechtsteil beschrieben habe.

Damals bestand der Justizausschuss des Senats nur aus weißen Männern und wurde vom Demokraten Joe Biden geleitet, der Anita Hill ebenso wenig verteidigte wie die liberale Ikone Ted Kennedy. Biden, der als Obamas Vizepräsident sehr populär war, hat sich Ende 2017 öffentlich bei Anita Hill entschuldigt. Dass Biden dies im Interview mit Teen Vogue tat, zeigt, dass der 75-Jährige über eine Präsidentschaftskandidatur 2020 nachdenkt. Ob kalkuliert oder nicht: Bidens Entschuldigung ist ein wichtiger Schritt.

Von Bill Clinton sind solche Worte nicht überliefert, wobei die Möglichkeit besteht, dass Gespräche zwischen dem Ex-Präsidenten und der Ex-Praktikantin nicht publik werden. Lewinsky, die sich heute gegen Mobbing einsetzt, lehnt es ab, "über die Clintons zu diskutieren". Aber wenn Clinton offener über Reue und das damals herrschende frauenfeindliche Klima reden würde, könnte er seiner Partei und dem progressiven Amerika am meisten helfen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: