US-Botschafter Gary Locke in China:Der Mann, der Chen Zuflucht gewährte

Eine "Mission impossible" sei das gewesen, sagt Gary Locke. Aber er hat es trotzdem geschafft: Der Botschafter der USA in China war maßgeblich daran beteiligt, den Dissidenten Chen Guangcheng in die amerikanische Botschaft zu schmuggeln. Es war nicht das erste Mal, dass sich Locke in Peking unbeliebt machte.

Reymer Klüver, Washington

Ein Pappbecher mit Kaffee und ein blauer Rucksack haben Gary Locke in China berühmt gemacht. Ein chinesischer Reisender hatte ihn an der Theke einer Starbucks-Filiale auf dem Flughafen von Seattle erkannt, fotografiert und den Schnappschuss ins Internet gestellt.

US-Botschafter Locke mit Bürgerrechtler Chen

US-Botschafter Gary Locke (links) begleitet den blinden Bürgerrechtler Chen Guangcheng auf einer Autofahrt in Peking.

(Foto: REUTERS)

Innerhalb weniger Stunden wurde das Bild Tausende Male heruntergeladen: Der künftige Botschafter der USA in China, der sich im Sommer 2011 auf dem Weg zu seinem neuen Job in Peking selbst einen Kaffee kauft, der in der Touristenklasse fliegt, sein Gepäck selbst trägt und der vor allem ansprechbar ist für jedermann - das war in China unerhört und widersprach so ganz dem Bild, das sich die meisten Chinesen von ihren Offiziellen machen.

Seither hat Locke, Spross einer chinesischen Immigrantenfamilie von der US-Westküste, seine Popularität genutzt und sein unkompliziertes Auftreten zu einer Art Werbeprogramm für amerikanischen Lebensstil gemacht. Ob das der chinesischen Parteielite gefällt, sei dahingestellt. Höherrangige Kader der Volksrepublik sind meist unnahbar und führen ein privilegiertes Leben, das wenig mit dem Dasein ihrer Landsleute zu tun hat.

Mit seiner Rolle in der Affäre um den Dissidenten Chen Guangcheng dürfte Locke Chinas Führung nun ebenfalls verärgert haben. Schließlich war er maßgeblich daran beteiligt, dass Chen an Polizei und Geheimdienst vorbei in die US-Botschaft geschmuggelt wurde. Eine "Mission impossible", wie Locke selbst in einem Interview sagte.

Der Enkel eines Dieners wird Gouverneur

Locke, 62 Jahre alt, ist ein eher zurückhaltender Mann, der von sich aus nicht das Licht der Öffentlichkeit sucht. Seine Lebensgeschichte ist eine typisch amerikanische Aufsteigerstory. "Manchmal lässt sich Amerikas Geschichte auf der Strecke einer Meile erzählen", sagte US-Präsident Barack Obama einmal über Locke. Er spielte damit an auf die Entfernung zwischen dem Anwesen in Seattle, in dem einst Lockes illegal eingewanderter Großvater als Diener gearbeitet hatte, und dem Parlament des Bundesstaates Washington, wo der Enkel dann Jahrzehnte später als Gouverneur diente.

Ende der sechziger Jahre hatte Locke es auf die Elite-Uni Yale geschafft und an der renommierten Boston University seinen Abschluss als Jurist gemacht. Zurück in seiner Heimatstadt Seattle, stieg Locke in die Politik ein und wurde 1996 als erster Amerikaner asiatischer Abstammung zum Gouverneur von Washington gewählt. 2003 trat der überaus populäre Demokrat als Gegenredner zum damaligen Präsidenten George W. Bush nach dessen jährlicher Rede an die Nation auf. Locke erhielt daraufhin eine Flut von rassistischen Morddrohungen gegen sich, seine Frau und seine drei Kinder.

Er stieg danach zunächst aus der Politik aus und arbeitete als Anwalt in einer Kanzlei in Seattle, die sich auf das Handelsgeschäft mit China spezialisiert hatte. Im Februar 2009 berief Obama Locke zu seinem Wirtschaftsminister, zwei Jahre später schickte er ihn nach Peking. Das neue Amt trat Locke mit Sendungsbewusstsein an: "Wenn wir", so sagte er, "die Chinesen mit unseren Freiheiten vertraut machen, könnte das ein größeres Verlangen nach Demokratie, Reform und Freiheit erzeugen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: