US-Armee: "Kill Team":Kamerad und Mörder

Nach dem "Spiegel" veröffentlicht das US-Magazin "Rolling Stone" schockierende Bilder und Videos des "Kill Team": Eine Gruppe US-Soldaten hatte in Afghanistan aus Mordlust Zivilisten getötet. Die Recherchen zeigen: Das "Kill Team" operierte nicht im Verborgenen - Kameraden und Vorgesetzte kannten die Gerüchte.

Matthias Kolb

Es sind Worte von brutaler Offenheit, die ein US-Soldat während eines Verhörs ausspricht: "Die meisten Leute in der Einheit verachten die Afghanen." Jeder würde sie als "Wilde" bezeichnen, erklärt der junge Mann und gibt so einen Einblick in das Denken vieler Soldaten der 5. Stryker-Brigade, die in Südafghanistan nahe der Taliban-Hochburg Kandahar stationiert ist - und in deren Reihen sich zwölf Soldaten zu einem "Kill Team" zusammenschlossen. Zum Zeitvertreib ermordete es Afghanen und dokumentierte seine Taten auf Kameras.

US-Armee: "Kill Team": Ein Screenshot von der Internetseite des US-Magazins Rolling Stone.

Ein Screenshot von der Internetseite des US-Magazins Rolling Stone.

Der Sachverhalt ist weitgehend bekannt, seit der Spiegel vor gut einer Woche neben einem Bericht drei Bilder veröffentlichte und mit dem 24-jährigen Jeremy Morlock das erste "Kill Team"-Mitglied von einem Militärgericht verurteilt wurde. Nun zeigt das US-Magazin Rolling Stone unter der Überschrift "Mehr Bilder von Kriegsverbrechen, die Ihnen das Pentagon nicht zeigen will" 17 Bilder sowie zwei Videos auf seiner Website und nennt in einer langen Reportage weitere, wichtige Details.

Wie nach der Spiegel-Publikation hat sich die US-Armee nach der jüngsten Veröffentlichung rasch entschuldigt. Die vom Rolling Stone veröffentlichten Bilder seien "schockierend" und stünden im starken Gegensatz zu den "Standards und Werten der US-Armee", so das Verteidigungsministerium in Washington. Die Armee entschuldige sich für das Leid, das diese Fotos verursacht hätten, hieß es weiter. Doch nach der Lektüre des Textes von Mark Boal klingt dies wenig glaubwürdig.

Der Reporter beschreibt, dass die zwölf Soldaten des "Kill Team" keineswegs "im Geheimen" agierten, sondern dass sowohl Kameraden als auch Vorgesetzte zumindest von Gerüchten gehört hätten. Die Morde an Zivilisten seien in der Einheit "allgemein bekannt" gewesen, gab ein weiterer US-Soldat in einer Anhörung zu Protokoll. Man habe gewusst, dass diese "illegal" seien.

Bereits die erste Tat am 15. Januar 2010 hätte Misstrauen auslösen können: Warum sollte der junge Bauer Gul Mudin mehrere schwerbewaffnete Infanteristen neben einem Panzer mit einer einzelnen Granate angreifen? Rückblickend gibt der Vorgesetzte, Captain Patrick Mitchell, zu, etwas an der Sache sei "seltsam" gewesen. Doch er ignoriert die Beobachtungen eines Afghanen, dass Jeremy Morlock die Granate geworfen habe. Mitchell unternimmt auch nichts, als der damals 21-jährige Morlock und der 19-jährige Andrew Holmes grinsend auf Erinnerungsfotos posieren - und Staff Sergeant Calvin Gibbs der Leiche einen Finger abschneidet, um sie Holmes als Trophäe zu geben.

Abgeschnittener Finger als Wetteinsatz

Die Untätigkeit der Vorgesetzten, so legen es die Recherchen des Rolling Stone nahe, hatten schlimme Folgen: Die "Kill Team"-Mitglieder fühlten sich unverletzbar und fürchteten offenbar keine Bestrafung. Manche prahlten vor weiblichen Ärzten mit ihren Taten - und gaben beim Kartenspiel den abgeschnittenen Finger eines Afghanen als Einsatz an.

Bis Mai 2010 wurden mindestens drei weitere Zivilisten ermordet. US-Reporter Mark Boal nennt ein weiteres Indiz dafür, wieso sehr viele Kameraden die Gerüchte gekannt haben müssen: Nach dem Mord am 15. Januar 2010 protestierten mindestens 20 Afghanen vor dem Stützpunkt der Armee und forderten eine Untersuchung. Ähnliches geschah nach einem weiteren Mord.

Zweifel an der Version mit der Einzelgruppe

Wie der US-Journalist Seymour Hersh sieht auch der Rolling Stone Ähnlichkeiten zu den Folterfotos aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Die 17 im Internet dokumentierten Bilder (insgesamt verfügt das Magazin nach eigenen Angaben über 150 Dokumente) sind mit einer expliziten Warnung vor dem gewalttätigen Inhalt versehen und zeigen neben den schon bekannten Aufnahmen des ermordeten Bauern Gul Mudin abgerissene Körperteile sowie tote Afghanen, die auf dem Boden oder in der Nähe eines Stryker-Fahrzeuges liegen - Waffen sind nicht zu sehen.

US-Armee: "Kill Team": Ein Screenshot von der Internetseite des US-Magazins Rolling Stone.

Ein Screenshot von der Internetseite des US-Magazins Rolling Stone.

Auf vielen Bildern bleibe unklar, ob Taliban-Kämpfer oder Zivilisten getötet wurden, stellt der Rolling Stone fest. Allerdings sei es eindeutiger Verstoß gegen den Armeekodex, Bilder aufzunehmen und diese auf USB-Sticks oder Festplatten zu tauschen. Das Magazin zeigt auch zwei Videos, die US-Soldaten aufgenommen haben: "Motorcycle Kill" ist ein knapp sechsminütiger Streifen, auf dem zu sehen ist, wie die Amerikaner auf ein Motorrad mit zwei Afghanen feuern. Besonders bizarr klingt der Ruf eines Soldaten, er habe alles dokumentiert: "I got it all on camera."

Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht im Gespräch mit sueddeutsche.de ein "großes PR-Desaster" auf die US-Armee zukommen. Je mehr Bilder frei im Internet zugänglich seien, desto leichter könnten die Dschihadisten dieses Material für ihre Zwecke nutzen und auf ihren Websites verbreiten (mehr zum Cyber-Dschihad finden Sie hier).

Dass Jeremy Morlock nicht nur grinsend neben einer Leiche posierte, sondern sich auch - wie im Rolling Stone dokumentiert - mit afghanischen Kindern ablichten ließ, sei ideal für die Instrumentalisierung, erläutert El Difraoui, der über "Dschihadismus im Internet und der Internationalisierung von Gewaltdiskursen im World Wide Web" forscht. "Kinder haben im Islam eine besondere Rolle, so etwas löst starke Emotionen aus", so der SWP-Experte. Noch schlimmer seien jene Bilder, die Leichenschändungen zeigen. Dies werde im Islam als schlimmes Verbrechen angesehen, erklärt El Difraoui.

In Libyen etwa seien die meisten Aufständischen sehr bemüht, die toten Gaddafi-treuen Soldaten würdig zu bestatten. "Man mag sich vorher bekriegen, aber jeder Tote soll möglichst schnell und möglichst unversehrt beerdigt werden", sagt der Politologe. Am schlimmsten wäre es jedoch, wenn - ähnlich wie in Abu Ghraib - Bilder mit sexuellen Anspielungen oder sogar sexuellen Handlungen publik würden.

Die Brisanz der Fotos und Videos war der US-Armee schnell bewusst und so wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, so viele Daten wie möglich zu konfiszieren und ihre Zirkulation zu unterbinden. Bisher versucht die US-Armee, das "Kill Team" als schrecklichen Einzelfall darzustellen, für deren Treiben vor allem Staff Sergeant Calvin Gibbs verantwortlich gewesen sein soll. Er wird als "Soziopath" beschrieben, der gern auf herrenlose Hunde ballerte und damit prahlte, seine sechs Tattoos an der linke Wade stünden für getötete Afghanen und Iraker. Laut Rolling Stone organisierte Gibbs russische Waffen und Granaten, um die Morde als "legitimate kill" zu tarnen.

Allerdings werden nun Zweifel an dieser "Einzelgruppe"-Version laut: Der Rolling Stone zeigt eine Aufnahme, auf der zwei tote Afghanen zu sehen sind, die an den Händen gefesselt sind. Um den Hals eines Mannes hängt ein Pappschild: "Taliban sind tot". Ein Pentagon-Sprecher spricht von einem "Rätsel". Man habe den Fall untersucht, doch die Ermittler könnten lediglich die Identität der Männer identifizieren. "Womöglich wurden die beiden Kerle von den Taliban umgebracht, weil sie mit dem Westen sympathisierten." (Originalzitat: "For all we know, those two guys may have been killed by the Taliban for being sympathizers.")

Eine anonyme Quelle aus der Einheit weist den Rolling Stone-Reporter jedoch auf eine andere Tatsache hin: Im Hintergrund der Aufnahmen ist ein Stryker-Panzerfahrzeug zu sehen. Dieses gehöre aber nicht zum Zug von Calvin Gibbs. Dies würde bedeuten, dass es nicht das sich selbst so nennende "Kill Team" war, das diese unbewaffneten Männer tötete und später diese makabre Bild inszenierte, um die Tat zu vertuschen.

"Gelangweilt, traumatisiert und wütend"

Wie bereits in der Spiegel-Reportage zeigt sich ein verheerendes Bild der US-Armee: Es wird andauernd gekifft, die Soldaten kennen das Ziel des Einsatzes nicht oder haben längst den Glauben daran verloren - und sind ständig bedroht. In den ersten sechs Monaten ihres Einsatzes sei die Einheit während jeder Patrouille von Taliban attackiert worden. Der Vorgänger von Staff Sergeant Calvin Gibbs hatte beide Beine verloren, als eine Sprengfalle hochging. Treffend beschreibt Reporter Marc Boal die Stimmung unter den Infanteristen als "bored and shellshocked and angry" - sie waren "gelangweilt, traumatisiert und wütend".

Nachdem die Mordtaten des "Kill Team" erst nach einem internen Streit ans Tageslicht kamen - ein Soldat hatte die Kiffereien gemeldet und wollte danach nicht mehr in seine Stube zurück, um nicht "wie die Afghanen ermordet" zu werden - begannen die Verhöre. Auch hier werden die Vorgesetzten eher be- als entlastet.

Der vor einer knappen Woche verurteilte Jeremy Morlock, der als Kronzeuge gilt und ständig Medikamente schluckte und Drogen nahm, gab zu Protokoll: "Keiner in unserem Zug - weder der platoon leader (Zugführer) noch der platoon sergeant (sein Stellvertreter) - schert sich um die Afghanen." Nachdem der Soldat kurz gegähnt habe, beschrieb er nochmals, wie seine Vorgesetzten die Menschen in Afghanistan gesehen hätten: "Manchmal passieren Scheißsachen. Dann klopft dir der platoon sergeant auf die Schulter und sagt: 'Gute Arbeit. Scheiß auf sie.'" (Good job. Fuck them.)

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