US-Armee:Im Dienst vergewaltigt

Befragungen weiblicher US-Veteranen haben ergeben, dass fast ein Drittel Opfer sexueller Übergriffe oder gar von Vergewaltigungen wurde. Lavena Johnson war eine von ihnen. Ihr Vater will Gerechtigkeit.

Reymer Klüver

Herzzerreißend ist der Moment für alle Eltern, die so etwas durchmachen müssen: der Anblick des eigenen toten Kindes. Doch was John Johnson im Leichenschauhaus in seiner Heimatstadt St. Louis sah, erfüllte ihn nicht nur mit unendlichem Schmerz und tiefer Trauer, sondern mit brennendem Zorn. Im Sarg vor ihm lag seine Tochter Lavena. Ganze 19 Jahre war sie alt geworden. Nach offiziellen Armeeangaben hatte sie sich während ihres Einsatzes im Irak das Leben mit ihrem M-16-Gewehr genommen.

Johnson, Armee-Veteran und Psychologe mit Doktortitel, entdeckte Schwellungen im Gesicht seiner Tochter, und die Schusswunde stimmte nicht mit dem Autopsie-Bericht überein. Im Sommer 2005 war das. Er forschte nach, forderte Originalunterlagen an. Zwei Jahre dauerte das.

Und dann war klar: Lavena war vor ihrem Tod vergewaltigt worden. Ihre Nase war gebrochen, ihre Genitalien waren mit einer ätzenden Flüssigkeit übergossen worden, offenbar um DNA-Spuren zu vernichten. Ihr Zelt war angezündet worden. Armee-Experten, die ihren Tod untersuchten, gingen zunächst von Mord aus. Offenbar auf Anweisung von höherer Stelle wurde ihr Tod später als Selbstmord eingestuft.

Lavena Johnson ist kein Einzelfall. Die US-Streitkräfte räumen offiziell 112 Vergewaltigungen und sexuelle Tätlichkeiten allein bei den US-Truppen im Irak im vergangenen Jahr ein. Die Veteranenorganisation Truthout indes vermutet, dass die Zahl der Sexualstraftaten deutlich höher sein dürfte. Und schlimmer noch: Sie befürchtet, dass nicht wenige der Frauen, die nicht bei Kampfhandlungen umkamen, vor ihrem Tod vergewaltigt wurden.

Laut der Veteranenorganisation sind bisher 94 weibliche US-Soldaten im Irak umgekommen (Stand Ende April). Von ihnen starben 36 nicht bei Kampfhandlungen. Von diesen wiederum seien 15 Frauen "unter extrem verdächtigen Umständen" umgekommen. Fünf Todesfälle wurden offiziell als Selbstmorde eingestuft - so wie Lavena Johnsons Tod.

Frauen stellen inzwischen knapp ein Sechstel der US-Streitkräfte und gut ein Zehntel der Soldaten im Kriegseinsatz im Irak und in Afghanistan. Seit dem Beginn des Anti-Terroreinsatzes im Herbst 2001 haben mehr als 190.000 Frauen im Nahen Osten und in Afghanistan gedient. In gut einem Jahrzehnt, so die Prognosen des Pentagon, dürften Frauen ein Fünftel der Veteranen unter 45 Jahren stellen. Doch bislang gibt es medizinische und psychologische Betreuung speziell für Frauen nur in 22 der 153 Veteranenkliniken.

Befragungen weiblicher Veteranen ergaben, dass fast ein Drittel Opfer sexueller Übergriffe oder gar von Vergewaltigungen wurden. Bis zu 90 Prozent geben an, dass sie von Männern in der Truppe sexuell belästigt wurden. Einer Studie der renommierten Rand Corporation zufolge, die sich mit den psychischen Folgen des Kriegseinsatzes beschäftigt, leiden weibliche Irak- und Afghanistan-Veteranen in einem höheren Maß an sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen als ihre männlichen Kollegen. Die Ursachen dafür wurden allerdings nicht untersucht.

Am 9. April hat Johnson endlich, fast drei Jahre nach dem Tod seines Kindes, vor einem Untersuchungsausschuss im Kongress ausgesagt. "Ohne Zweifel wurde Lavena ermordet", sagt er, "ich möchte Gerechtigkeit für meine Tochter." Die US-Armee weigert sich jedoch weiterhin, den Fall erneut zu untersuchen.

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