US-Abhördienst NSA:Prism ist stärker als deutsche Grundrechte

Prineville Data Center von Facebook

Wo das Internet so etwas wie Schönheit besitzt: Das Prineville Data Center von Facebook in Prineville, Oregon.

(Foto: AFP)

Private Daten, intime Fotos, vertrauliche Gespräche, geheime Passwörter: Nichts, aber auch gar nichts, was ein Nutzer dem Internet anvertraut, bleibt geheim. Praktisch sämtliche Kommunikation kann vom US-Abhördienst NSA aufgesaugt und ausgewertet werden. Mit Rechtsstaatlichkeit hat solche Totalität nichts zu tun.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Vor ein paar Jahren gab es in Deutschland heftige Aufregung, als Pläne bekannt wurden, auf den Flughäfen Nacktscanner aufzustellen: Der Staat wollte die Fluggäste durchsichtig machen, um so Waffen aufzuspüren. Der Nacktscanner sollte also die Textilien durchleuchten und die Menschen ohne Kleidung zeigen, Genitalien inklusive. Die EU-Kommission hatte den Mitgliedsstaaten aus Sicherheitsgründen diese elektronische Inquisition als eine Art Reihenuntersuchung erlaubt. Empörte Proteste führten dann dazu, dass die Pläne revidiert und die Scanner neu entwickelt werden mussten - auf dass sie diskretere, die Intimität schützende Bilder liefern.

Verglichen mit den Aktivitäten des US-Abhördienstes NSA sind die Flughafen-Nacktscanner ein Kinderspielzeug. Mit einem Programm namens Prism greift der US-Abhördienst direkt auf die Server von Microsoft, Yahoo, Facebook, Google, Apple, Skype und Youtube zu. Prism ist ein globaler Nacktscanner. Nichts, aber auch gar nichts, was ein Internet-Nutzer den Netzwerken anvertraut hat, bleibt geheim. Praktisch sämtliche Kommunikation kann vom Abhördienst aufgesaugt und ausgewertet werden: private Daten, intime Fotos, vertrauliche Gespräche, geheime Passwörter. Mit Rechtsstaatlichkeit hat solche Totalität nichts zu tun.

Die schönsten Urteile aus Karlsruhe sind nutzlos

Es mag sein, dass US-Bürger sich unter Berufung auf die US-Verfassung wehren können. Ausländer tun sich da schwer. Ein Facebook-Nutzer in Deutschland genießt so wenig den Schutz der US-Verfassung wie der in Afghanistan. Deutschland ist das Land in Europa, dessen Tele- und Internetkommunikation von den USA am intensivsten ausspioniert wird. Alle Probleme, die unter den Stichwörtern Lauschangriff, präventives Abhören und Online-Durchsuchung problematisiert wurden, stellen sich nun in Potenz, ohne dass Karlsruhe helfen könnte.

Da kann das Verfassungsgericht noch x-mal das Recht auf Privatheit verteidigen. Da kann es den Datenschutz noch so hochhalten und das Grundrecht "auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" unterstreichen. 106 Seiten lang ist das Urteil, mit dem es 2008 dieses Grundrecht kreiert hat - eine Geburtsurkunde für ein Schutzrecht des Users. Aber die schönsten Urteile aus Karlsruhe sind nutzlos, weil der wesentliche Teil der Internet-Architektur in den USA zu Hause ist. Daraus folgt die Zugriffsmacht der US-Behörden; sie ist stärker als deutsche Grundrechte.

Das Ende der Privatheit

Google, Facebook & Co beteuern, dass sie mit US-Sicherheitsbehörden nicht kooperieren, dass sie selbst von deren Aktivitäten überrascht seien. Man glaubt es ihnen nicht unbedingt. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat schon vor Jahr und Tag erzählt, dass Privatsphäre keine wichtige soziale Norm mehr sei. So wollte er die eigene Kommerzialität adeln: Viele "soziale Netzwerke" fertigen aus den ungeheuren Mengen an Informationen ihrer Nutzer Profile, um diese für Werbung zu vermarkten. Wer mit den Daten seiner Kunden so umgeht, dem ist vieles zuzutrauen. Das ist das Ende von Privatheit.

Überwachung im Namen der Sicherheit

Der Fall NSA zeigt die Expansivität präventiver staatlicher Sicherheitslogik: Wer Verbrechen und Terror - koste es, was es wolle - vorbeugen will, der weiß nie genug; der will, im Namen der Sicherheit, immer mehr in Erfahrung bringen. Unter der Herrschaft des Terrorismus verändert sich das Rechtssystem. Um "dem Bösen" auf die Spur zu kommen, wird die Gesamtbevölkerung ausgeforscht: mit ausgeklügelten Kontrollarrangements, bei denen Geheimdienste, Polizei und womöglich private Netzwerke kooperieren. Die USA sind Vorreiter darin, eine Infrastruktur der Überwachung einzuführen.

Es wird viel Zeit vergehen, bis internationales Recht den Internet-Nutzer wirksam schützt. Bis dahin gilt der Satz, den Ex-Verfassungsrichter Jürgen Kühling vor Jahren formuliert hat: Man könne das Fernmeldegeheimnis "getrost als Totalverlust abschreiben". Man hat ihn der Übertreibung geziehen; es ist noch schlimmer: Der Totalverlust bezieht sich auf alle Kommunikationsrechte.

Der Ratschlag an Nutzer, ihre Selbstentblößung im Internet zu bändigen und an die Stelle von Datenekstase wieder Datenaskese zu setzen, ist gut gemeint, aber wenig hilfreich. Sicherheitsbehörden greifen ja nicht nur auf Internet-Narzissten zu (die auch Schutz verdienen!), sondern auf alle, auch ohne jeglichen Verdacht. Man wird versuchen müssen, auf kleinere, einigermaßen sichere Netzwerke umzusteigen, die in der EU daheim sind.

Ein einzig Gutes hat die NSA-Spionage. Sie entlarvt den Hauptsatz der inneren Sicherheit, mit dem seit dem 11. September 2001 der Umbau des Sicherheitssystems begründet wird: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Es handelt sich einfach um einen dummen Satz.

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