Urteile gegen deutsche IS-Anhänger im Irak:"Nun gilt unser Recht"

Urteile gegen deutsche IS-Anhänger im Irak: Die Justiz im Irak hat viel zu tun. Die Gefängnisse sind voll von überlebenden IS-Kämpfern, wie hier in Mosul. das Foto wurde im vergangenen Sommer aufgenommen.

Die Justiz im Irak hat viel zu tun. Die Gefängnisse sind voll von überlebenden IS-Kämpfern, wie hier in Mosul. das Foto wurde im vergangenen Sommer aufgenommen.

(Foto: AP)
  • Der Richter, der die deutsche IS-Anhängerin Lamia K. zum Tode verurteilt hat, sagt, er erkenne bei ihr keine Reue.
  • Der deutsche Botschafter in Bagdad hat bereits gegen das Urteil protestiert, die irakische Regierung scheint davon jedoch unbeeindruckt.
  • Die Bundesregierung wird nun alles versuchen, das Todesurteil abzuwenden. Noch gibt es mindestens eine weitere Instanz, die es in eine Haftstrafe umwandeln könnte.

Von Volkmar Kabisch, Amir Musawy, Bagdad, und Georg Mascolo, Berlin

Ja, kommen Sie rein, sagt der Richter, aber er habe nicht viel Zeit. Ständig kommen Sekretäre und Boten und legen neue Akten auf den wuchtigen Schreibtisch. Die Justiz in Bagdad hat viel zu tun, Hunderte Kämpfer und Kämpferinnen des sogenannten Islamischen Staates warten auf ihren Prozess. Die Gefängnisse sind voll mit den Überlebenden dieses Staates des Irrsinns.

Ein Urteil des Richters hat gerade weltweit Schlagzeilen gemacht, Tod durch den Strang für die deutsche Staatsbürgerin Lamia K. "Lamia, die Deutsche", nennt sie der Richter. So bezeichnet man sie auch auf den Straßen der irakischen Hauptstadt, wo die Taxifahrer sich darüber freuen, dass ihr Staat nun auch gegenüber den ausländischen Kämpfern Härte zeige. Das Fernsehen berichtet viel über das Urteil und auch, dass der deutsche Botschafter in Bagdad bereits dagegen protestiert habe. Aber die irakische Regierung scheint unbeeindruckt zu sein.

Lamia K. ist 50 Jahre alt, stammt ursprünglich aus dem marokkanischen Rabat und lebte zuletzt in Mannheim. Inzwischen sitzt sie im Zentralgefängnis für Frauen. Ihr Richter ist nur drei Jahre jünger, seine Haare aber sind grau. "Das macht die Arbeit", erklärt er im Gespräch mit Reportern von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR. In der irakischen Justiz gilt er als einer der erfahrenen, 50 Fälle verhandelt er nach eigenen Angaben in der Woche, in ein bis zwei Fällen, so berichtet er, entscheide er auf ein Todesurteil. Nein, seinen Namen dürfe man nicht schreiben und bitte auch kein Foto. Aus Sicherheitsgründen. Ohnehin versteht er die ganze Aufregung um den Fall Lamia K. nicht.

Das Verfahren war kurz, zwei Verhandlungstage, nie länger als anderthalb Stunden. Verhandelt wurde im schwer gesicherten Gerichtsgebäude im Stadtteil An-Nidal, auf den Gängen drängen sich Verteidiger und die Angehörigen der Angeklagten. Lamia K. habe ein umfassendes Geständnis abgelegt, sie sei bewusst zum IS gereist, sagt der Richter. Das wisse auch der irakische Geheimdienst. Mehrere sogenannte Dschihad-Ehen sei sie eingegangen, um die Moral der Kämpfer zu stärken.

Zudem sei sie eine Art Sanitäterin gewesen, Angehörige einer IS-Brigade, die in eilig errichteten Feldlazaretten und in Wohnhäusern Verwundete gepflegt habe. 50 Dollar Lohn habe sie im Monat vom IS erhalten; als das Bombardement auf die Kalifatshauptstadt Raqqa zugenommen habe, sei sie eigens nach Mossul in Sicherheit gebracht worden, was ihre besondere Stellung beim IS belege. "Diese Menschen sind in unser Land gekommen und haben hier schwerste Straftaten begangen", erklärt der Richter, "nun gilt auch unser Recht." Er lächelt, eine kleine Zahnlücke ist zu sehen. Gibt es noch Fragen?

In Berlin herrscht ziemliche Sorge

Das Todesurteil gegen Lamia K. hat in der Bundesregierung für ziemliche Aufregung gesorgt. Beim ersten Prozesstag war noch ein Beobachter aus der deutschen Botschaft in Bagdad anwesend. Der zweite Termin - mit der Urteilsverkündung - wurde verlegt, die Botschaft erfuhr nichts. Der Richter sagt, der Termin sei öffentlich gewesen, der Gerichtssaal voll. Er jedenfalls hätte nichts gegen deutsche Beobachter gehabt. Bis heute ist die Regierung in Berlin nicht offiziell über das Todesurteil gegen eine ihrer Staatsbürgerinnen unterrichtet.

Es herrscht ziemliche Sorge in Berlin und die Befürchtung, dass es nun weitere solche Richtersprüche geben könnte. Die Zahl der deutschen Gefangenen steigt fast täglich - inzwischen sind es mindestens 30 im Irak, den Kurdengebieten und in Syrien. Aber so genau weiß das niemand. Und wenn es schon ein Todesurteil gegen eine der Frauen gibt, was haben dann die Männer zu erwarten?

Zunächst hatte man sich in der Bundesregierung darauf verlassen, dass es den gefangenen Deutschen so schlecht nicht ergehen würde, obwohl die irakische Justiz bei Menschenrechtsorganisationen einen miserablen Ruf hat. Die irakische Regierung gewährte konsularischen Zugang, die Haftbedingungen schienen erträglich zu sein. Mancher in den Sicherheitsbehörden argumentierte, es sei gut, die deutschen Gefangenen erst einmal im Irak zu lassen, dort hätten sie ihre Taten verübt, dort sollten sie auch bestraft werden.

In Deutschland könne es Beweisschwierigkeiten geben, gerade bei den Frauen. Dann seien sie hierzulande schnell wieder frei, eine missliche Lage. Derzeit versucht der Generalbundesanwalt den Bundesgerichtshof davon zu überzeugen, dass auch die Frauen, selbst wenn sie nicht an Kämpfen teilgenommen haben, wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bestraft werden könnten.

So entstand so etwas wie eine inoffizielle Linie: Die minderjährigen Kinder der IS-Angehörigen sollen zurückgeholt werden, schließlich können sie nichts für den Irrsinn ihrer Eltern. Die IS-Anhänger aber lasse man erst einmal, wo sie sind. Manche europäischen Regierungen haben inzwischen ganz offen erklärt, dass sie sowieso niemanden zurückhaben wollen.

Im Sommer 2014 ging Lamia K. zum IS, ihre zwei Kinder nahm sie mit

Lamia K. war vergleichsweise schwer belastet, das wussten auch die deutschen Behörden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtete sie seit 2010, sie galt als Größe im "dschihadistischen Internet". Sie rühmte sich, Freiwillige für den "Heiligen Krieg" rekrutiert zu haben, dies sei für Männer eine Pflicht. Und unter bestimmten Umständen auch für Frauen. "Egal wo man ist, man kann überall etwas machen", soll sie einmal geschrieben haben. Dem Attentäter Mohammed Merah, der 2012 im Süden Frankreichs sieben Menschen tötete, gratulierte sie zu seiner Tat. Drei seiner Opfer waren jüdische Kinder.

Im Sommer 2014 ging Lamia K. zum IS, ihre zwei Kinder, eines davon behindert, nahm sie mit. Am 30. August des vergangenen Jahres wurde sie durch vier Beamte des Bundeskriminalamts in Bagdad vernommen, der Generalbundesanwalt ermittelt gegen sie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Lamia K. beschwerte sich über einen zu harten Stuhl, verzichtete auf die Anwesenheit ihres irakischen Pflichtverteidigers und weinte viel. In der Vernehmung erweckte sie den Eindruck, alles tue ihr leid.

Eine Tochter sitzt nun mit ihr in Haft und wartet auf ihren Prozess, sie ist beim IS Mutter geworden, das Kind ist knapp zwei Jahre alt. Die zweite, die behinderte Tochter von Lamia K., soll in Mossul von einem Splitter in den Rücken getroffen und gestorben sein. Lamia K. berichtete, sie habe sie auf eine Matratze auf dem Dach eines Hauses gelegt. Die Menschen hätten ihr geraten, sie auf die Straße zu werfen. Gegenüber der deutschen Botschaft sagte Lamia K., sie wolle nach Hause, nach Deutschland.

Viele sähen im Todesurteil ihr "Ticket ins Paradies"

Hilft nicht einmal Reue, um dem Galgen zu entgehen? Neben dem Schreibtisch des Richters hängt eine schwere Robe, schwarz mit weißem Kragen, er hat sie auch beim Urteil gegen Lamia K. getragen. Sie sei, so sagt er, bis heute vom IS und seinen Idealen überzeugt, sie bereue nichts. Beim Urteilsspruch habe sie gelächelt, das sei auch den Wachen aufgefallen, aber das kenne man schon in Bagdad. Viele sähen in dem Todesurteil ihr "Ticket ins Paradies".

Die Bundesregierung wird nun alles versuchen, das Schlimmste abzuwenden. Noch gibt es mindestens eine weitere Instanz für Lamia K. Todesurteile können in eine Haftstrafe umgewandelt werden. Dann aber hätte sie auch noch die 15 Jahre Haft abzusitzen, zu denen sie von einem anderen Gericht wegen illegalen Grenzübertritts in den Irak verurteilt wurde.

Zu den nun zu beantwortenden Fragen gehört in Berlin auch, wie man weitere Todesurteile verhindert. Und ob man nicht alles unternehmen muss, um die Gefangenen nach Deutschland zurückzuholen - trotz der damit womöglich verbundenen Sicherheitsrisiken. Einerseits hat Deutschland beträchtlichen Einfluss im Irak, allein zwischen 2014 und 2016 flossen mehr als 700 Millionen Euro an Hilfsgeld, die Bundeswehr bildet kurdische Sicherheitskräfte aus, auch ein Programm "zum Aufbau des Rechtsstaats" läuft.

Andererseits stehen im Irak Wahlen an, Härte gegen die IS-Schergen kommt gut an bei der Bevölkerung, die so sehr unter den Grausamkeiten der Terroristen zu leiden hatte. Vier Länder sind für fast 90 Prozent aller Hinrichtungen weltweit verantwortlich. Der Irak ist eines von ihnen. Allein im Dezember wurden an einem einzigen Tag 38 Menschen wegen Terrorismus gehängt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: