Urteil zur Sicherungsverwahrung - Leiter der JVA Freiburg im Gespräch:"Therapie ist keine Wohltat"

Viele Straftäter, die in Sicherungsverwahrung bleiben, müssen nach dem Ende ihrer Haft mühsam lernen, den Tag zu strukturieren und mit ihren psychischen Störungen umzugehen. Thomas Rosch, Leiter der JVA in Freiburg, erklärt im SZ-Interview, warum er das Urteil des Bundesverfassungsgerichts "genial" findet.

Helmut Kerscher

Thomas Rösch ist seit 1989 Leiter der Justizvollzugsanstalt Freiburg im Breisgau. Er ist dort sowohl für Strafgefangene als auch für die Sicherungsverwahrten des Landes Baden-Württemberg zuständig. Das Bundesverfassungsgericht berief den 60-Jährigen im aktuellen Prozess - wie schon 2004 - als Sachverständigen und zitierte ihn jetzt auch im Urteil.

Vorschau: Karlsruhe verkuendet Urteil zu Sicherungsverwahrung

Was ist der Unterschied zwischen Verwahrung und Strafe? Für Sicherheitsverwahrte könnte es zum Beispiel eigene Gebäude geben, mit Räumen für Langzeitbesuche und mehr Angeboten zur Berufsausbildung, Sport- und Freizeitgestaltung.

(Foto: dapd)

SZ: Wie finden Sie als Praktiker das Urteil zur Sicherungsverwahrung?

Thomas Rösch: Ich habe mich darüber gefreut, es ist genial. Das Urteil geht über die Entscheidung von 2004 hinaus, insbesondere was das Abstandsgebot zwischen Strafvollzug und Sicherungsverwahrung betrifft.

SZ: Diese Besserstellung der Sicherungsverwahrten wurde schon damals gefordert.

Rösch: Ja, aber es ist zunächst nichts passiert. Darauf hat das Verfassungsgericht den Gesetzgeber deutlich hingewiesen und sich auch auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützt.

SZ: Was bedeutet denn die verschärfte Betonung des Abstandsgebots für die Praxis?

Rösch: Ein Neustart für die gesamte Sicherungsverwahrung ist erforderlich. Es muss noch deutlicher werden als bisher, dass eine Sicherungsverwahrung eben keine Strafe ist, sondern eine Prävention.

SZ: Können Sicherungsverwahrte noch in Gefängnissen untergebracht werden?

Rösch: Zumindest muss es für sie ein eigenes Gebäude geben, das nicht nur ein Minimum an Lebensqualität gewährleistet. Unsere Zimmer sind beispielsweise 15 Quadratmeter groß. Natürlich muss bei allem die Sicherheit der Bevölkerung berücksichtigt werden, wie das auch im Urteil steht.

SZ: Wird es künftig eigene Anstalten für Sicherungsverwahrung geben?

Rösch: Laut Urteil muss das nicht sein. Solche Gebäude können auch mit bestehenden Einrichtungen verbunden werden. Diese Passage hat mich besonders gefreut. Sie nimmt Rücksicht auf die bestehenden Strukturen und bestätigt unsere Linie.

SZ: Wie sieht das in Freiburg genau aus?

Rösch: Das Gebäude für Sicherungsverwahrte befindet sich nicht innerhalb der Gefängnismauern, sondern ist an diese angebaut. Die Angebote sind auf diesen Personenkreis zugeschnitten.

SZ: Welche Angebote sind das?

Rösch: Es geht um eine umfassende Schul- und Berufsausbildung sowie um Sport- und Freizeitangebote. Das können Sie in einer kleinen Anstalt nicht leisten, zumal ein eigenes Sicherheitsmanagement notwendig wäre. Es muss auch Räume geben für Langzeitbesuche, also Ehefrauen und Lebensgefährtinnen. In Freiburg haben wir das. Und wir haben einen eigenen Hof.

Mehr Personal für die Sicherheitsverwahrten

SZ: Welches Personal brauchen Sie für die Sicherungsverwahrten?

Rösch: Wir haben schon vor einem Jahr als Reaktion auf die Straßburger Entscheidung mehr Personal gefordert. Das Justizministerium war sehr aufgeschlossen. Wir brauchen in Freiburg für 50 Plätze mindestens vier Psychologen, vier Sozialarbeiter, besonders geschultes Vollzugspersonal und einen Arbeitstherapeuten.

SZ: Einen Arbeitstherapeuten?

Rösch: Wir müssen die Leute zum Arbeiten, aber auch zur Ausbildung, Freizeitgestaltung und Tagesstrukturierung motivieren - und auch für Therapien. Sicherungsverwahrte sind fast alle dissoziale Persönlichkeiten, die von sich aus selten zur Therapie gehen.

SZ: Wie kann man dann die zentrale Forderung nach mehr Therapien umsetzen?

Rösch: Es ist nicht leicht. Therapie tut ja auch weh. Das ist keine Wohltat, die wir den Sicherungsverwahrten überstülpen. Therapie ist sehr oft richtig harte Arbeit.

SZ: Mit dem Ziel eines straffreien Lebens in Freiheit.

Rösch: Dafür brauchen wir dann auch geeignete Einrichtungen, in denen Entlassene wohnen können. Damit befassen wir uns seit Jahren. Es muss auch dort geschultes Personal geben, einen durchstrukturierten Tagesablauf und die Möglichkeit zum Geldverdienen.

SZ: Wie sehr hilft Ihnen das Urteil beim Erreichen solcher Ziele?

Rösch: Das Urteil sorgt für Druck beim Bund und bei den Ländern. Es wird mehr Fachpersonal für die Sicherungsverwahrten geben, auch externe Personen wie Lehrer und Psychiater. Ich bin wirklich froh über diese Entscheidung.

SZ: Wie stehen Sie zum Rückfallrisiko?

Rösch: Mir gefällt an dem Urteil, dass es auch die Möglichkeit vorsieht, besonders gefährliche Täter nicht zu entlassen. Es gibt Leute, die man nicht entlassen sollte.

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