Sie waren nur zu sechst, und hätten sie kein Hausverbot bekommen, wäre ihre Aktion wohl folgenlos geblieben. Am 11.März 2003 verteilten die Mitglieder der "Initiative gegen Abschiebungen" in einer Abflughalle des Frankfurter Flughafens Handzettel gegen die Abschiebung eines Ausländers nach Griechenland. Den Flug LH 3492 nach Athen konnten sie nicht aufhalten, doch ihr Einsatz für die Menschenrechte könnte sich trotzdem gelohnt haben: Womöglich trägt der kleine Protest der Abschiebegegner zu einer Stärkung des Demonstrationsrechts bei.
Denn die Fraport AG, Betreiberin des Flughafens, wollte solche politischen Aktivitäten aus der Glitzerwelt des Airports verbannen und erteilte den Demonstranten Flughafenverbot - jedenfalls, sofern sie nicht reisen oder shoppen wollen. An diesem Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Beschwerde einer Abschiebegegnerin - und damit über die Frage, ob der Rauswurf mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit vereinbar ist.
Der Fall rührt an ein Grundsatzproblem, das in Zeiten zunehmender Privatisierung öffentlicher Einrichtungen von erheblicher Brisanz ist. Denn unmittelbar bindend ist die Versammlungsfreiheit nur für den Staat, der Hauseigentümer dagegen muss keine Demonstranten in seinem Vorgarten dulden, und seien deren Motive noch so edel - das folgt aus der Eigentumsgarantie. Die Frage lautet also: Dürfen Demonstranten von einem öffentlich zugänglichen Gelände verwiesen werden, nur weil dessen Eigentümer eine private Gesellschaft ist? Geht Hausrecht vor Grundrecht?
Zwar könnte die Lösung im Fraport-Fall vergleichsweise einfach sein. Denn noch gehört die Gesellschaft mehrheitlich der öffentlichen Hand. Und der Staat kann sich seiner Bindung an die Grundrechte nicht einfach dadurch entledigen, dass er seinen Einrichtungen das Label Aktiengesellschaft anklebt - das hat das Karlsruher Gericht bereits in einigen kleineren Beschlüssen angedeutet.
Doch die Anwälte der Beschwerdeführerin dringen auf ein Grundsatzurteil, das dem Demonstrationsrecht auch in den privatwirtschaftlich betriebenen Erlebniswelten der modernen Konsumgesellschaft seinen angemessenen Rang verschafft. Die Mehrheitsanteile des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt an Fraport liegen nur knapp über 50 Prozent. "Soll die Versammlungsfreiheit am Flughafen nicht mehr gelten, sobald Hessen zwei Prozent seiner Aktien abstößt?", lautet die rhetorische Frage des Bremer Rechtsprofessors Andreas Fischer-Lescano. Etwa 140000 Passagiere zählt man täglich auf dem Frankfurter Flughafen, hinzu kommen Zehntausende Besucher und Mitarbeiter. Der Airport ist fast ein Staat im Staate - soll dort statt des Grundgesetzes lediglich die Hausordnung gelten?
Das Fraport-Verfahren betrifft also keineswegs nur den Einzelfall. Die ausladenden Geschäftsmeilen der Bahnhöfe, die Konsumwelt im Berliner Sony-Center: Ohne Grundrechtsschutz könnten sie zur meinungsfreien Zone degenerieren. Was umso schwerer wiegt, weil sie gleichsam der Marktplatz des 21. Jahrhunderts sind - also der Ort, an dem nicht nur Waren gekauft, sondern gelegentlich auch Meinungen ausgetauscht werden.
Bis zum Urteil werden einige Monate vergehen. Beispielgebend könnten etwa die obersten Gerichte Amerikas und Kanadas sein - sie haben das Verteilen politischer Flugblätter in der Shopping Mall erlaubt.