Urteile in Pariser Terrorprozess:Die Lüge, dann die Hetze: Wie der Lehrer Samuel Paty starb

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Großer Andrang beim Terrorprozess: Menschen warten vor dem Gerichtssaal in Paris auf die Urteilsverkündung. (Foto: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP)

Ein Pariser Gericht verurteilt zwei Männer zu hohen Haftstrafen, die 2020 eine Hasskampagne gegen den Lehrer einer Banlieue organisiert und damit den Terroristen zu seiner Tat motiviert haben.

Von Oliver Meiler, Paris

Erwartet wurde ein Urteil mit Präzedenzcharakter - und so kam es auch. Im Prozess gegen die Hetzer und Komplizen im Terrormord an Samuel Paty, einem Lehrer aus einer Pariser Banlieue, sind alle acht Angeklagten schuldig gesprochen und zum Teil zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Das Gericht gelangte zur Überzeugung, dass sie sich vor vier Jahren mit ihrem Handeln mitschuldig gemacht hatten am Tod Patys. Der Terrorist selbst, ein damals 18-jähriger Flüchtling aus Tschetschenien, war nach der Tat von der Polizei erschossen worden.

Zur Erinnerung: Paty war Geschichts- und Geografielehrer an einem Gymnasium in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris. Im Herbst 2020 besprach er mit seinen Schülern die Frage der Meinungsfreiheit am Beispiel der Karikaturen des Propheten Mohammed, wie sie die französische Satirezeitung Charlie Hebdo kurz davor erneut publiziert hatte. Muslimischen Schülern gab Paty die Möglichkeit, das Klassenzimmer kurz zu verlassen oder die Augen zu schließen, damit sie sich die Karikaturen nicht ansehen mussten - aus Rücksicht auf die religiöse Sensibilität.

Ein 13-jähriges Mädchen der Klasse, das gar nicht am Unterricht teilgenommen hatte, erzählte danach zu Hause, Paty habe die muslimischen Schüler aus dem Unterricht geworfen. Der Lehrer habe etwas gegen sie, sagte sie zu ihren Eltern, weil sie sich gegen diese Diskriminierung auflehne. Das war eine Lüge. Im Prozess sollte man sie nun auch „die Urlüge“ nennen, sie stand am Anfang der Tragödie.

Der Vater, Brahim Chnina, glaubte seiner Tochter, empörte sich und teilte seine Empörung „über den kranken Lehrer, der unseren geliebten Propheten beschimpft“ mit seinen 1600 Kontakten auf WhatsApp. In einem Post in den sozialen Medien nannte er den Namen des Lehrers und der Schule, dann schaltete er ein Video. Den Post mit den Namen löschte er später.

Doch da war es schon zu spät, die Geschichte ging viral. Samuel Paty stand plötzlich wie ein Feind des Islam da, der Karikaturen des nackten Propheten zeige und Muslime diskriminiere. Dann wurde Chnina von Abdelhakim Sefrioui kontaktiert, einem Islamisten, der in der Geschichte das Potenzial für eine Kampagne erkannte. Er drehte ein Video fürs Netz, in dem er die erfundene Szene in Patys Schulzimmer zum Paradefall einer angeblichen Islamophobie im Land hochstilisierte.

Am 16. Oktober, elf Tage nach dem Kurs, ließ sich der junge Tschetschene von einem Freund vor das Gymnasium in Conflans-Sainte-Honorine fahren. Weil er dort niemanden kannte, bot er Schülern Geld an, wenn sie ihm zeigten, wer Samuel Paty sei. 300 Euro. Einige akzeptierten. Der Attentäter verfolgte Paty, als der nach Hause lief, und enthauptete ihn auf offener Straße. In einer Botschaft bekannte er sich zur Terrororganisation Islamischer Staat.

Das Gericht verhandelte nun die Frage, ob die beiden Männer, Chnina und Sefrioui, 52 beziehungsweise 65 Jahre alt, mit ihren Posts und Videos eine Art „digitale Fatwa“ gegen Paty ausgesprochen hatten, wie es die Anwältin der Familie im Prozess nannte. Ob sie also mit ihrer Hatz eine „Zielscheibe“ aus dem Lehrer gemacht hatten. Die Verteidiger hielten dagegen, ihre Mandanten hätten sich nur gegen das gewehrt, was sie als Diskriminierung von Muslimen erachtet hätten. Sie hätten nie dazu aufgerufen, Samuel Paty etwas anzutun. Man könne sie deshalb auch nicht verantwortlich machen für den „Kontext“, das Klima des Hasses, in dem eine solche Tat möglich geworden sei, wie das Gericht es beabsichtigt habe.

Chnina wurde nun zu 13 Jahren und Sefrioui zu 15 Jahren Haft verurteilt - beide für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die höchsten Strafen, nämlich 16 Jahre Gefängnis, gab es für die zwei jungen Männer, die dem Terroristen halfen. Einer war dabei, als der die Tatwaffe kaufte. Der andere fuhr ihn an jenem 16. Oktober zur Schule. Beide hatten beteuert, dass sie nichts gewusst hätten von den Absichten ihres Freundes.

Kürzere Haftstrafen gab es für vier Personen, mit denen der Attentäter Kontakt im Internet hatte - in der sogenannten „Dschihadsphäre“ im Netz. Alle hatten behauptet, sie hätten den Terroristen kaum gekannt.

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