Süddeutsche Zeitung

Kriegsverbrecherprozess:Lebenslange Haft für Ratko Mladić

Fast 26 Jahre nach dem Völkermord von Srebrenica bestätigt ein UN-Gericht die Strafe gegen den Ex-General. Die Ahndung vieler Verbrechen steht freilich aber aus.

Von Florian Hassel, München

Ein Berufungsgericht der Vereinten Nationen in Den Haag hat eine Verurteilung des bosnischen Serbenkommandeurs Ratko Mladić wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft bestätigt. Mladić agierte im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 in enger Abstimmung mit der erst jugoslawischen, dann serbischen Führung in Belgrad. Die Hauptstadt Sarajevo wurde jahrelang bombardiert. Im Rahmen einer systematischen Vertreibungs- und Mordkampagne wurden durch die von Mladić kommandierten bosnischen Serben nach der Eroberung der Stadt Srebrenica ab dem 13. Juli 1995 bis zu 8000 muslimische Bosniaken ermordet.

Mladić wurde 2017 vom UN-Kriegsverbrechertribunal (ICTY) wegen Völkermordes in Srebrenica und anderer Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt, aber des Völkermordes bei bereits 1992 begangenen Verbrechen freigesprochen. Bei der Berufungsverhandlung im August 2020 forderten die Verteidiger des heute 78 Jahre alten Mladić Freispruch. Die Anklage forderte hingegen einen Schuldspruch auch wegen Völkermordes in Foča, Prijedor, Sanski Most, Vlasenica und Kotor Varoš. Hier wurden allein 1992 Hunderte Bosniaken von Untergebenen Mladićs ermordet. In diesem Punkt wurde hingegen der Freispruch bestätigt. Radovan Karadžić, politischer Führer der bosnischen Serben, wurde schon im März 2019 rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die Ahndung vieler Verbrechen steht freilich aus. Dutzende mutmaßliche oder gar rechtskräftig verurteilte Kriegsverbrecher leben - wie bis 2011 auch Mladić - unbehelligt in Serbien. General Novak Djukić etwa wurde 2014 in Bosnien wegen eines Kriegsverbrechens in Tuzla zu 20 Jahren Haft verurteilt, in Serbien wurde ein Prozess gegen ihn wegen angeblicher gesundheitlicher Probleme auf September 2021 vertagt. Die Zusammenarbeit der serbischen Justiz mit anderen Ländern sei bei Kriegsverbrechen "extrem eingeschränkt", stellte die EU im letzten Serbien-Bericht im Oktober fest.

Deckung und Leugnung von Kriegsverbrechen reichen bis in die Spitzen der Politik. Ministerpräsidentin Ana Brnabić sagte 2018, der Massenmord von Srebrenica sei zwar ein scheußliches Verbrechen, doch kein Genozid gewesen. 2019 gratulierte der zur Regierungspartei SNS gehörende Parlamentarier Vladimir Djukanović am 10. Juli Mladić zu der "brillant durchgeführten militärischen Operation" von Srebrenica. Verteidigungsminister Aleksandar Vulin ergänzte Tage später, das serbische Volk habe Genozid erlitten, aber nicht begangen. Svetozar Andrić, der an Folter, Vergewaltigung und der Ermordung von mindestens 160 Bosniaken aus Srebrenica beteiligt war, war bis Sommer 2020 Vize-Vorsitzender im Belgrader Stadtteil Neu-Belgrad. Seit August 2020 ist er Abgeordneter des serbischen Parlaments und gehört der Regierungsfraktion an. Auch das Parlamentsmandat des 2018 in Den Haag rechtskräftig verurteilten Kriegsverbrechers Vojislav Šešelj wurde in Serbien nie aufgehoben.

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