Urteil:Leben zu verlängern, ist kein Schaden

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Der Bundesgerichtshof entlastet Ärzte, die Patienten weiterbehandeln und damit deren Leiden andauern lassen. Die Richter weisen die entsprechende Klage eines Angehörigen ab.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ärzte können nicht für eine medizinisch sinnlose Lebensverlängerung haftbar gemacht werden - auch dann nicht, wenn sie damit das Leiden des Patienten unnötig in die Länge gezogen haben. In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche eines schwer demenzkranken Patienten abgelehnt, der nach Ansicht seines Sohnes zuletzt ohne jede medizinische Indikation über eine Magensonde ernährt worden war, bis er 82-jährig starb. Der Sohn hatte den Anspruch als Erbe seines Vaters eingeklagt.

Das Oberlandesgericht München hatte ihm 40 000 Euro zugesprochen, der BGH hob das Urteil nun auf. Das Leben dürfe juristisch niemals als "Schaden" eingestuft werden, sei es auch noch so leidvoll: "Das Urteil über den Wert menschlichen Lebens steht keinem Dritten zu", sagte die BGH-Senatsvorsitzende Vera von Pentz.

Kompliziert war der Fall vor allem deshalb, weil der Mann, als er noch ansprechbar war, den Ärzten und Angehörigen weder eine Patientenverfügung noch eine andere Willensäußerung hinterlassen hatte. Von 2006 bis zu seinem Tod Ende 2011 wurde er künstlich ernährt; in den letzten Jahren konnte er nicht mehr kommunizieren, bekam Schmerzmittel, bald häuften sich Krankheiten und Entzündungen. Weil also kein verbindlicher Wille des Patienten vorlag, musste der BGH entscheiden, ob es einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld für ein gequältes Leben geben kann - weil der Tod die bessere Alternative gewesen wäre.

Der BGH lehnt eine solche Haftung aus sehr grundsätzlichen Erwägungen ab. Selbst wenn der Hausarzt hier einen Fehler begangen habe, weil er den Mann aus medizinischer Sicht hätte sterben lassen müssen - der BGH ließ das offen -, verbiete es sich, das leidenbehaftete Weiterleben juristisch als Schaden anzusehen. Andernfalls würde man Ärzten die Entscheidung über den Wert des Lebens abverlangen. Dies sei unzulässig: "Das Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut, es ist absolut erhaltungswürdig", erläuterte die Senatsvorsitzende.

Aus Sicht des BGH verbietet es sich deshalb auch, Ärzte haftbar zu machen, wenn sie Patienten gegen deren - zum Beispiel in einer Patientenverfügung erklärten - Willen weiterbehandeln. "Der Patient selbst mag sein eigenes Leben als lebensunwert erachten. Die Verfassungsordnung verbietet aber aller staatlichen Gewalt, ein solches Urteil über das Leben anderer Menschen zu treffen", sagte Vera von Pentz. Auch ein Ersatz von Behandlungs- und Pflegekosten kommt nicht infrage. Die ärztlichen Pflichten dienten nicht dazu, "den Erben das Vermögen des Vaters möglichst ungeschmälert zu erhalten".

Damit ändert sich freilich nichts an der Pflicht der Ärzte, den Willen des Patienten zu beachten. Hat der Betroffene eine künstliche Ernährung von vornherein abgelehnt, dann ist eine Lebenserhaltung unzulässig. Notfalls muss das Betreuungsgericht entscheiden. "Geht der Wille des Patienten dahin, lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen und so das Sterben zu ermöglichen, so folgt daraus ein Abwehranspruch gegen lebensverlängernde Maßnahmen", stellte der BGH klar.

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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